Mit den Künstlern ist zu rechnen
Das Kreativhaus im alten Rechenzentrum möchte der Garnisonkirche nicht weichen
Das Kunst- und Kreativhaus an der Potsdamer Dortustraße steht dem kompletten Wiederaufbau der Garnisonkirche im Weg. Doch es gäbe Alternativen zum Abriss.
An einer Wand hängt das Bild »Abend in Potsdam«. 1930 malte Lotte Laserstein (1898-1993) das Original. In der Nazizeit ging die jüdische Künstlerin in die Emigration. Der Maler und Holzbildhauer Stefan Pietryga kopierte Lasersteins moderne Abendmahlsszene, in der die Stadt Potsdam den Hintergrund bildet. Er schmückt damit einen seiner Atelierräume im alten Rechenzentrum an der Dortustraße. Im selben Raum und nebenan sind diverse Entwürfe des Künstlers aufgestellt. Er arbeitet an der Ausgestaltung verschiedener Kirchen. Aktuell verwirklicht er ein solches Projekt im nordrhein-westfälischen Bökenförde.
Es ist ein seltsam, dass gerade diese Tätigkeit für lebendige Kirchengemeinden durch den geplanten Wiederaufbau der Potsdamer Garnisonkirche bedrängt und bedroht ist, einer Kirche also, die für Gottesdienste nicht benötigt wird, die aber als Symbol der unheiligen Allianz von preußischem Militarismus und deutschem Faschismus verschrien ist.
Im Herbst 2017 soll der Wiederaufbau der Garnisonkirche beginnen. Die Arbeiten starten am Turm, der nur eine Armeslänge von der Fassade des Rechenzentrums entfernt emporwachsen würde. Aus Brandschutzgründen müssten dann an der südöstlichen Ecke des Rechenzentrums die Fenster zugemauert werden. Pro Etage könnten damit sieben Räume nicht weiter als Atelier genutzt werden. Es würde Stefan Pietryga treffen und auch seine Tochter Sophia, die Kunstgeschichte studiert und nebenan ein Büro hat, um in Ruhe an ihrer Abschlussarbeit über polnische Ma- lerei der 1960er Jahre zu schreiben. Sophia Pietryga gehört zum Sprecherrat der Nutzer des Rechenzentrums und engagiert sich dafür, dass aus der Zwischenlösung eine dauerhafte Einrichtung wird. Betreiber ist die Stiftung SPI. Die Abkürzung steht für Sozialpädagogisches Institut. Der Mietvertrag läuft am 31. August 2018 aus. Die Kreativen sollen weichen, sobald sie dem Schiff der Garnisonkirche im Wege stehen. Das Kirchenschiff soll nach dem Kirchturm errichtet werden.
Die Künstler wollen sich das aber nicht widerspruchslos gefallen lassen. Am 9. März gründeten sie einen Verein, der das Rechenzentrum »als Ort für Kunst, Kultur und Kreativwirtschaft über den Sommer 2018 hinaus« erhalten möchte.
Am 1. September 2015 hatte die Zwischennutzung in der 3. und 4. Etage begonnen. Die 1. und 2. Etage kamen später dazu. »Die waren auch innerhalb von drei Monaten vollgelaufen«, erinnert sich Kulturmanagerin Anja Engel von der Stiftung SPI. 250 Männer und Frauen teilen sich einen oder mehrere der 225 Räume, die bis auf wenige Ausnahmen nur 15 oder 20 Quadratmeter groß sind. Dadurch ist die Nutzungsgebühr von sieben Euro pro Quadratmeter erschwinglich. »Schon für 105 Euro im Monat ist man dabei«, rechnet Engel vor. Darum sind die Ateliers und Büros begehrt. Es gibt viele Anfragen und eine lange Warteliste. »Es war von Anfang an klar: Wenn die Künstler ersatzlos gehen sollen, wird es Proteste geben«, erklärt Engel. »Also wurde eine Alternative versprochen.«
Die Husarenkaserne an der Schiffbauergasse war im Gespräch. »Aber die befindet sich nicht in städtischem Eigentum«, bemerkt die Filmemacherin Kristina Tschesch. »Aus unserer Sicht ist das eine Nebelkerze.« Tschesch kämpfte in der Kulturlobby Potsdam dafür, das Rechenzentrum erst einmal für die Kunst zu gewinnen und möchte es nun auch für diesen Zweck bewahren. Zusammen mit einem Kollegen drehte Tschesch eine 45-minütige Dokumentation über das Kreativhaus.
Für den langfristigen Erhalt spricht sich auch die Landtagsabgeordnete Anita Tack (LINKE) aus. Sie verweist darauf, dass der Büroleiter von Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) bei der Ein-Jahres-Feier des Kreativhauses habe ausrichten lassen, Jakobs gehe davon aus, es werde auch noch eine Fünf-Jahres-Feier geben – diese wäre 2020. Das Stadtparlament befasste sich bereits mit Modellrechnungen, was zu investieren wäre, um eine Nutzung bis 2023, bis 2028 oder darüber hinaus sicherzustellen. So müssten bis 2023 rund 400 000 Euro in die Immobilie gesteckt werden, an der bislang maximal kleine Reparaturen ausgeführt werden dürfen. Etliche Künstler wären durchaus bereit, künftig acht oder neun Euro Nutzungsgebühr zu entrichten, wenn sie im Rechenzentrum bleiben dürfen.
Nach Ansicht des Stadtverordneten Sascha Krämer (LINKE) ist der Abriss keineswegs unumgänglich. Das Schiff der Garnisonkirche müsste nicht zwingend originalgetreu wiederaufgebaut werden, wendet sich Krämer gegen ein Dogma. »Es sind moderne Architekturlösungen denkbar. So könnte man sich das Rechenzentrum als Kirchenschiff denken«, findet der Stadtverordnete. Tack und Krämer sind begeistert davon, was sich im Rechenzentrum entwickelte. Sophia Pietryga gesteht, sie habe sich in das Gebäude »verliebt«.
Der Abriss des Hauses wäre ein großer Verlust für Potsdam. Wer etwas anderes denkt, lässt sich vielleicht von dem Äußeren des Kastens täuschen und ist nie im Innenhof gewesen, auf den künstlerisch gestalteten Fluren und in den Ateliers, hat die Kreativen nicht erlebt, hat ihre Arbeiten nicht gesehen. Vom 22. April bis zum 28. Mai werden im Gutshaus Berlin-Steglitz Werke von Stefan Pietryga, Ben Kamili und Martin Noll gezeigt. Pietryga lernte die beiden Künstlerkollegen erst im Rechenzentrum kennen. Anders wäre es zu dieser Ausstellung nie gekommen, betont er. Was denken die Theologen, mit denen Pietryga bundesweit bei der Ausgestaltung von Kirchen zu tun hat, über den Wiederaufbau der Garnisonkirche? »Die schütteln alle den Kopf«, erzählt er.