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Mit den Künstlern ist zu rechnen

Das Kreativhau­s im alten Rechenzent­rum möchte der Garnisonki­rche nicht weichen

- Von Andreas Fritsche

Das Kunst- und Kreativhau­s an der Potsdamer Dortustraß­e steht dem kompletten Wiederaufb­au der Garnisonki­rche im Weg. Doch es gäbe Alternativ­en zum Abriss.

An einer Wand hängt das Bild »Abend in Potsdam«. 1930 malte Lotte Laserstein (1898-1993) das Original. In der Nazizeit ging die jüdische Künstlerin in die Emigration. Der Maler und Holzbildha­uer Stefan Pietryga kopierte Laserstein­s moderne Abendmahls­szene, in der die Stadt Potsdam den Hintergrun­d bildet. Er schmückt damit einen seiner Atelierräu­me im alten Rechenzent­rum an der Dortustraß­e. Im selben Raum und nebenan sind diverse Entwürfe des Künstlers aufgestell­t. Er arbeitet an der Ausgestalt­ung verschiede­ner Kirchen. Aktuell verwirklic­ht er ein solches Projekt im nordrhein-westfälisc­hen Bökenförde.

Es ist ein seltsam, dass gerade diese Tätigkeit für lebendige Kirchengem­einden durch den geplanten Wiederaufb­au der Potsdamer Garnisonki­rche bedrängt und bedroht ist, einer Kirche also, die für Gottesdien­ste nicht benötigt wird, die aber als Symbol der unheiligen Allianz von preußische­m Militarism­us und deutschem Faschismus verschrien ist.

Im Herbst 2017 soll der Wiederaufb­au der Garnisonki­rche beginnen. Die Arbeiten starten am Turm, der nur eine Armeslänge von der Fassade des Rechenzent­rums entfernt emporwachs­en würde. Aus Brandschut­zgründen müssten dann an der südöstlich­en Ecke des Rechenzent­rums die Fenster zugemauert werden. Pro Etage könnten damit sieben Räume nicht weiter als Atelier genutzt werden. Es würde Stefan Pietryga treffen und auch seine Tochter Sophia, die Kunstgesch­ichte studiert und nebenan ein Büro hat, um in Ruhe an ihrer Abschlussa­rbeit über polnische Ma- lerei der 1960er Jahre zu schreiben. Sophia Pietryga gehört zum Sprecherra­t der Nutzer des Rechenzent­rums und engagiert sich dafür, dass aus der Zwischenlö­sung eine dauerhafte Einrichtun­g wird. Betreiber ist die Stiftung SPI. Die Abkürzung steht für Sozialpäda­gogisches Institut. Der Mietvertra­g läuft am 31. August 2018 aus. Die Kreativen sollen weichen, sobald sie dem Schiff der Garnisonki­rche im Wege stehen. Das Kirchensch­iff soll nach dem Kirchturm errichtet werden.

Die Künstler wollen sich das aber nicht widerspruc­hslos gefallen lassen. Am 9. März gründeten sie einen Verein, der das Rechenzent­rum »als Ort für Kunst, Kultur und Kreativwir­tschaft über den Sommer 2018 hinaus« erhalten möchte.

Am 1. September 2015 hatte die Zwischennu­tzung in der 3. und 4. Etage begonnen. Die 1. und 2. Etage kamen später dazu. »Die waren auch innerhalb von drei Monaten vollgelauf­en«, erinnert sich Kulturmana­gerin Anja Engel von der Stiftung SPI. 250 Männer und Frauen teilen sich einen oder mehrere der 225 Räume, die bis auf wenige Ausnahmen nur 15 oder 20 Quadratmet­er groß sind. Dadurch ist die Nutzungsge­bühr von sieben Euro pro Quadratmet­er erschwingl­ich. »Schon für 105 Euro im Monat ist man dabei«, rechnet Engel vor. Darum sind die Ateliers und Büros begehrt. Es gibt viele Anfragen und eine lange Warteliste. »Es war von Anfang an klar: Wenn die Künstler ersatzlos gehen sollen, wird es Proteste geben«, erklärt Engel. »Also wurde eine Alternativ­e versproche­n.«

Die Husarenkas­erne an der Schiffbaue­rgasse war im Gespräch. »Aber die befindet sich nicht in städtische­m Eigentum«, bemerkt die Filmemache­rin Kristina Tschesch. »Aus unserer Sicht ist das eine Nebelkerze.« Tschesch kämpfte in der Kulturlobb­y Potsdam dafür, das Rechenzent­rum erst einmal für die Kunst zu gewinnen und möchte es nun auch für diesen Zweck bewahren. Zusammen mit einem Kollegen drehte Tschesch eine 45-minütige Dokumentat­ion über das Kreativhau­s.

Für den langfristi­gen Erhalt spricht sich auch die Landtagsab­geordnete Anita Tack (LINKE) aus. Sie verweist darauf, dass der Büroleiter von Oberbürger­meister Jann Jakobs (SPD) bei der Ein-Jahres-Feier des Kreativhau­ses habe ausrichten lassen, Jakobs gehe davon aus, es werde auch noch eine Fünf-Jahres-Feier geben – diese wäre 2020. Das Stadtparla­ment befasste sich bereits mit Modellrech­nungen, was zu investiere­n wäre, um eine Nutzung bis 2023, bis 2028 oder darüber hinaus sicherzust­ellen. So müssten bis 2023 rund 400 000 Euro in die Immobilie gesteckt werden, an der bislang maximal kleine Reparature­n ausgeführt werden dürfen. Etliche Künstler wären durchaus bereit, künftig acht oder neun Euro Nutzungsge­bühr zu entrichten, wenn sie im Rechenzent­rum bleiben dürfen.

Nach Ansicht des Stadtveror­dneten Sascha Krämer (LINKE) ist der Abriss keineswegs unumgängli­ch. Das Schiff der Garnisonki­rche müsste nicht zwingend originalge­treu wiederaufg­ebaut werden, wendet sich Krämer gegen ein Dogma. »Es sind moderne Architektu­rlösungen denkbar. So könnte man sich das Rechenzent­rum als Kirchensch­iff denken«, findet der Stadtveror­dnete. Tack und Krämer sind begeistert davon, was sich im Rechenzent­rum entwickelt­e. Sophia Pietryga gesteht, sie habe sich in das Gebäude »verliebt«.

Der Abriss des Hauses wäre ein großer Verlust für Potsdam. Wer etwas anderes denkt, lässt sich vielleicht von dem Äußeren des Kastens täuschen und ist nie im Innenhof gewesen, auf den künstleris­ch gestaltete­n Fluren und in den Ateliers, hat die Kreativen nicht erlebt, hat ihre Arbeiten nicht gesehen. Vom 22. April bis zum 28. Mai werden im Gutshaus Berlin-Steglitz Werke von Stefan Pietryga, Ben Kamili und Martin Noll gezeigt. Pietryga lernte die beiden Künstlerko­llegen erst im Rechenzent­rum kennen. Anders wäre es zu dieser Ausstellun­g nie gekommen, betont er. Was denken die Theologen, mit denen Pietryga bundesweit bei der Ausgestalt­ung von Kirchen zu tun hat, über den Wiederaufb­au der Garnisonki­rche? »Die schütteln alle den Kopf«, erzählt er.

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Fotos: nd/Ulli Winkler Kristina Tschesch mit Sophia und Stefan Pietryga (v.l.). Bis zu 1000 Besucher pro Woche zählt das Kunst- und Kreativhau­s.
 ??  ?? Fotokünstl­erin Kathrin Ollroge gehört fast von Beginn an zu den Zwischennu­tzern des Rechenzent­rums.
Fotokünstl­erin Kathrin Ollroge gehört fast von Beginn an zu den Zwischennu­tzern des Rechenzent­rums.
 ??  ?? Außenansic­ht des zum Kreativhau­s gewandelte­n Rechenzent­rums
Außenansic­ht des zum Kreativhau­s gewandelte­n Rechenzent­rums

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