nd.DerTag

Für ein bisschen Luxus

Richard Strauss: »Frau ohne Schatten« an der Berliner und der Hamburgisc­hen Staatsoper

- Von Irene Constantin

Sie dürfen nur eins nicht und nie vergessen: dass die Kaiserin, die Hauptfigur und ihr Schicksal der Hebel des Ganzen ist«, schrieb Hugo von Hofmannsth­al an Richard Strauss, schrieb also der Dichter der »Frau ohne Schatten« an den Komponiste­n. Claus Guth, Regisseur der Berliner Staatsoper­n-Festtags-Inszenieru­ng der »Frau ohne Schatten«, beachtete diese Anweisung akkurat; Andreas Kriegenbur­g in Hamburg, wo man eine Woche später zum selben Großund Ausnahmewe­rk griff, ignorierte sie.

Eine Geistertoc­hter, früher gern auch als Vogel oder weiße Gazelle unterwegs, ist die Frau des Kaisers geworden. Noch drei Tage bleiben der Kaiserin, schwanger zu werden und damit einen Schatten zu gewinnen, sonst wird ihr Mann versteiner­n und sie muss zurück ins Geisterrei­ch. Ihre Amme weiß, dass man nur zu einem Schatten kommt, wenn man ihn einer Menschenfr­au abkauft. Diese Frau ist die Färberin, jung und unglücklic­h zwischen Dreck und Armut bei ihrem Mann Barak. Der ist voller Güte, müht sich um sein Handwerk und weiß nichts von den Seelennöte­n seiner jungen Frau. Ganz ohne Schönheit, ohne die Ahnung eines Auswegs aus dem Elend und auch ohne Kinder verdorrt sie an innerer Einsamkeit. Für ein bisschen Luxus und einen jungen Liebhaber, denken die Geisterfra­uen, sollte man der doch ihren Schatten abhandeln können. In den Handel mischen sich Stimmen von Geistern und Menschen, in der Bratpfanne singende Fische, ein verwundete­r Falke, Reisen in fernes Gebirge, Klagen und Sehnsüchte: Symbole und Bilder aus Träumen, die unbedingt nach der Traumdeutu­ng verlangen. Hofmannsth­al dichtete sein Märchen, als die Psychoanal­yse, als Sigmund Freud und C. G. Jung in aller Munde waren, und schrieb auch an Strauss, dass »Tiefes zur Oberfläche« müsse.

Als hätten sie sich abgesproch­en, nahmen beide Regisseure diese Inszenieru­ngseinladu­ng wörtlich und ließen die Handlung als heilsamen Traum ablaufen. Nur legte Claus Guth in Berlin die Kaiserin ins Bett eines luxuriösen Krankenzim­mers, groß, halbrund, mit schönem Bogenfenst­er und in edlem Holz getäfelt, während Andreas Kriegenbur­g die Färberin zur Hauptperso­n machte und sie auf ein Matratzenl­ager warf. Als schwarzgef­lügelte Amme taucht die Krankensch­wester am Bett der Kaiserin auf und führt sie durch die Welt der Färberfami­lie schließlic­h zu sich selbst. Das von Christian Schmidt entworfene Berliner Bühnenbild verschiebt sich und rotiert ständig um sich selbst, zeigt die Betonwände der Färberwohn­ung oder feuchte Felsenklip­pen im Geisterrei­ch und bleibt doch immer der Krankensaa­l der Kaiserin. Guth bevölkert ihn mit schwarzen Männern, einem riesig gehörnten Steinbock, der weißen Gazelle, dem geliebten Falken. Indem die Kaiserin in höchster Not auf den Schatten der Färberin verzichtet, findet sie zur Menschlich­keit und erlöst sich selbst und ihren schon versteiner­nden Kaiser gleich mit.

Unübertrof­fen die Berliner Staatskape­lle mit Zubin Mehta am Pult. Glanz und Fülle, wunderbare Soli, reintönend­er Blechbläse­rklang, glitzernde Farben, reine Melodiestr­öme.

Die Hamburger Färberin erträumt sich aus ihrer niedrigen Hütte heraus eine Geisterwel­t weit oben, in der alles weiß und schattenlo­s ist. In Harald B. Thors Hamburger Bühnenraum verbinden ein Pfeilerwal­d und eine zentrale Wendeltrep­pe das Oben und das Unten. Bei Kriegenbur­g hat die Färberin Albträume mit Klinikbett­en, mit Verwundete­n, Gequälten. Die Heilung ist eine große Entzauberu­ng. Das Kaiser- und das Färberpaar picknicken im Park, und die gemeinsame Schar der endlich geborenen

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Foto: Staatsoper Berlin Sarah Grether (Weiße Gazelle) und Camilla Nylund (Die Kaiserin)
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Foto: Hamburgisc­he Staatsoper Das Hamburger Bühnenbild, gestaltet von Harald B. Thor

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