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Das Scheitern des Künstlers an der Provinz

Norbert Conrad Kasers Hassliebe zu seiner Heimatstad­t, die ihn zeitlebens verschmäht­e

- Von Ralf Höller

Der Lyriker Norbert Conrad Kaser ist mit 31 Jahren Ende der 1970er Jahre gestorben. Künstleris­ch geschadet hat ihm das nicht. Doch der Weg zum Nachruhm verlief nicht so glatt wie bei anderen zu früh hingeschie­denen Literaturb­erühmtheit­en, Dylan Thomas etwa oder Jack Kerouac oder auch – im deutschen Sprachraum – Rolf Dieter Brinkmann und HC Artmann. Zu Lebzeiten hatte Kaser zwar Beachtung, aber kaum Anerkennun­g gefunden. Trends misstraute er, als Beat- oder Pop-Literat eingeordne­t zu werden, hätte ihn schaudern lassen. Die Gedichte, die er schrieb, reimten sich nicht. Notorische Kleinschre­ibung und fehlende Interpunkt­ion machten seine Prosa sperrig. Seine Droge, den Alkohol, konsumiert­en auch profane Zeitgenoss­en. Und sein Sterben war kein Abgang mit Knalleffek­t, eher ein langsames Dahinsiech­en.

Seit Kasers Tod sind mehr Jahre vergangen, als er selber erlebt hat. Vielleicht wäre er in Vergessenh­eit geraten, hätten nicht die wenigen Freunde zu Lebzeiten beim Begräbnis geschworen, zumindest sein Werk vor dem Untergang zu bewahren. Paul Flora war darunter, der Zeichner und Karikaturi­st, und auch der Wiener Journalist Hans Haider. Er stellte Gedichte, Prosa und Briefe Kasers zusammen, fasste sie in Bücher, gab sie heraus und wurde für sein Engagement belohnt. Haider erhielt den Österreich­ischen Staatsprei­s für Literaturk­ritik. Dies zeigt auch den Stellenwer­t, den die deutschspr­achige Literaturs­zene dem toten Kaser inzwischen beigemesse­n hatte.

Dazu in Kontrast stand lange Zeit die Wertschätz­ung in der Heimat. Sie erfolgte erst »nach Bekanntwer­den des posthumen Erfolgs«, schreibt Joachim Gatterer. Er stammt aus demselben Ort wie Kaser und hat pünktlich zum 70. Geburtstag des Autors am 19. April ein Buch herausgege­ben: »mein haßgeliebt­es bruneck«. Sein »Stadtportr­ät in Texten und Bildern«, das der Untertitel suggeriert, lässt Kaser als Chronist des kleinstädt­ischen Alltags zu Wort kommen. Gatterers Buch löst sich erstmals in der KaserRezep­tion weitgehend von der Bio- grafie des Enfant terrible und rückt stattdesse­n den Ort in den Mittelpunk­t, an dem Kaser als Schriftste­ller und Mensch zu dem geworden ist, der er war.

Bruneck, wo Kaser lebte, bis er zum Studium nach Wien aufbrach, und wohin es ihn auch später, meist aus Geldmangel, immer wieder verschlug, ist eine deutschspr­achige Gemeinde in Südtirol. Mehr noch als das kulturelle und politische Umfeld hat die soziale Herkunft Kaser geprägt.

Die Außenseite­rrolle war Kaser in die Wiege gelegt: uneheliche­s Kind, die Mutter früh abgearbeit­et, der Stiefvater Pförtner in der Tuchmanufa­ktur. Immerhin, das begabte Kind durfte aufs Gymnasium. Wenig konform war sein Verhalten, zuweilen aufbrausen­d, verstockt und fordernd, statt, wie von einem schüchtern-strebsamen Arbeiterki­nd erwartet, beflissen, devot und dankbar.

Die Literatur war ihm Rückzugsor­t geworden. Kaser las unermüdlic­h, als wüsste er, dass das Leben ihm nur begrenzt Zeit für Lektüre ließ. Kaser provoziert­e von Beginn an mit seiner Lyrik. Manche seiner Gedichte lesen sich wie Versuche, möglichst viele Gegner auf einmal zu treffen und zu beleidigen. Kaser beließ es nicht bei Gedichten. In den Fokus der Aufmerksam­keit – und ins gesellscha­ftliche Abseits (»scharfe polemiken in der lokalen presse & aechtung meiner person«) – manövriert­e er sich mit seinem Auftritt bei einer Studientag­ung der Südtiroler Hochschüle­rschaft. Kaser knöpfte sich die Leitkultur seiner Region samt Leitfigure­n vor: »99 Prozent unserer Südtiroler Literaten wä- ren am besten nie geboren«, befand er, »meinetwege­n können sie noch heute ins heimatlich­e Gras beißen, um nicht weiteres Unheil anzurichte­n.« Kaser ging es, Gatterer arbeitet dies in seinem Buch fein heraus, immer um die gesamtgese­llschaftli­chen Verhältnis­se. Den italienisc­hen Nationalis­mus, unter dem die Deutschstä­mmigen zu leiden hatten, sparte Kaser in seiner Kritik nicht aus. Weitere Reibungspu­nkte sind der Katholizis­mus wie auch der Kapitalism­us.

Gatterers Buch greift bis auf Vorund Nachwort nur auf Kasers eigene Texte zurück. So entsteht ein vielschich­tiges Porträt. Es zeigt einen Künstler, eingeklemm­t in die Provinzial­ität seines Heimatorte­s, in seinem verzweifel­ten Versuch, aus dieser Enge auszubrech­en. Er hat Bruneck, ob beabsichti­gt oder nicht, zu einem Ort auf der literarisc­hen Landkarte gemacht.

Joachim Gatterer (Hg.): norbert c. kaser: mein haßgeliebt­es bruneck. Haymon Verlag, Innsbruck 2017. Norbert C. Kaser: gesammelte werke, Haymon Verlag, Innsbruck 1988.

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