Das Kind frisst seine Revolution
»Crisis in Six Scenes«: Wie sehenswert ist die erste Serie von Woody Allen?
Eigentlich ist dieser Text eine Mogelpackung. Streng genommen dürfte er gar nicht in dieser Reihe erscheinen. Dass er es doch tut, liegt am Marketinggeschick der Produzenten, vor allem aber an der künstlerischen Bedeutung des Regisseurs jener Flimmervorführungsproduktion, die hier vorzustellen ist. 2015 teilte Woody Allen in Cannes der versammelten Presse mit, Amazon habe ihm ein Angebot unterbreitet, das er nicht ablehnen konnte. Er, der sein Leben lang fast nur Filme gedreht hatte, sollte mal etwas ganz anderes machen. Sofort kam die Werbemaschinerie in Gang: »Crisis in Six Scenes«, die erste Serie des Woody Allen. Mit dieser Nachricht hatte Amazon einen Coup gelandet. Und der Konzern gewährte Allen jede Unabhängigkeit. Bei dem Namen würde schon Brauchbares herausspringen, mag man sich da gedacht haben. Prominenz schien fürs Geschäft wichtiger als Qualität.
Über die aber ist dringend zu reden. Das beginnt schon beim Genre. Denn die mittlerweile online verfügbare Serie ist ein in sechs jeweils 25minütige Teile gesplitteter Film mit allen typischen Ingredienzen des Woody Allen. Vom Vorspann in Schwarz-Weiß bis zu den Jazz-Lines weicht er formal nicht von der bewährten Benchmark ab. Natürlich ist Woody Allen selbst in seinen schwachen Momenten noch immer besser als der Großteil des Unterhaltungsgewerbes. In »Crisis in Six Scenes« aber versucht er, einen seiner wunderbaren Filmstoffe in ein unpassendes Serienkostüm zu zwängen. Denn Allen scheint sich nicht für das serielle Erzählen zu interessieren. Weder sind seine Figuren romanhaft gezeichnet, noch hat er Cliffhanger zwischen den Episoden platziert. Was am schwersten wiegt: Es gibt keine Nebenstränge, die dem Figurenensemb- le eine Substanz und dem Plot seine Epik verleihen könnten.
Dabei verspricht die Story alles, was einen guten Stoff von Woody Allen ausmacht. Im Zentrum steht der von Allen selbst gespielte Werbefachmann Sidney J. Munsinger, der mit seiner Frau Kay (Elaine May) in einer US-amerikanischen Kleinstadt in den späten sechziger Jahren sei- nen Ruhestand genießt. Eines Tages steht eine Bürgerrechtlerin vor der Tür, die sich auf der Flucht vor den Behörden befindet und das Leben der Senioren durcheinander bringt. Das blonde Hippiemädchen Lennie, und da wären wir auch schon beim größten Problem dieser Serie, wird gespielt von Miley Cyrus. Ihre Besetzung entpuppt sich als Desaster.
Woody Allens routinierte Satire über die Neurosen der Konservativen und das heute mancherorts zum Lifestyle degradierte Linkssein am Beispiel der Black-Panther-Bewegung, des Kampfes um die Gleichberechtigung oder des Protests gegen den Vietnamkrieg verpufft wegen einer mit ihrer Rolle überforderten Hauptdarstellerin. Wenn sie mit Munsinger diskutiert, wirkt Lennie weniger wie eine Überzeugungstäterin, sondern eher wie ein unglaubwürdig plärrendes Wohlstandskind, das sich mehr für Lippenstift und XXL-Muskelmannpos- ter interessiert als für Freiheit und Revolution. Cyrus’ Spiel fehlt die Leichtigkeit und darum fehlt Lennies politischer Haltung jeder mimetische Halt.
Wer die Arbeitsweise des 81-jährigen Allen kennt, kann sich das Zustandekommen dieser Serie gut vorstellen. Ständig schreibt er Drehbücher, sodass noch immer jedes Jahr zuverlässig ein neuer Kinofilm erscheint. Als Amazon anklopfte, dürfte Allen recht wahllos ein Skript aus der Schublade gekramt haben. Wenn es dereinst an die Bewertung seines Gesamtwerks gehen sollte, wird »Crisis in Six Scenes« wohl kaum der Rede Wert sein. Vielleicht greift Woody Allen dann zu dem Trick, diese Serie als Verteidigung der kinematografischen Magie gegenüber dem häuslichen Serienstreaming zu verkaufen: »Ich hab’s euch ja immer gesagt: Geht lieber ins Kino!«