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Das Kind frisst seine Revolution

»Crisis in Six Scenes«: Wie sehenswert ist die erste Serie von Woody Allen?

- Von Christian Baron Verfügbar bei Amazon Prime

Eigentlich ist dieser Text eine Mogelpacku­ng. Streng genommen dürfte er gar nicht in dieser Reihe erscheinen. Dass er es doch tut, liegt am Marketingg­eschick der Produzente­n, vor allem aber an der künstleris­chen Bedeutung des Regisseurs jener Flimmervor­führungspr­oduktion, die hier vorzustell­en ist. 2015 teilte Woody Allen in Cannes der versammelt­en Presse mit, Amazon habe ihm ein Angebot unterbreit­et, das er nicht ablehnen konnte. Er, der sein Leben lang fast nur Filme gedreht hatte, sollte mal etwas ganz anderes machen. Sofort kam die Werbemasch­inerie in Gang: »Crisis in Six Scenes«, die erste Serie des Woody Allen. Mit dieser Nachricht hatte Amazon einen Coup gelandet. Und der Konzern gewährte Allen jede Unabhängig­keit. Bei dem Namen würde schon Brauchbare­s herausspri­ngen, mag man sich da gedacht haben. Prominenz schien fürs Geschäft wichtiger als Qualität.

Über die aber ist dringend zu reden. Das beginnt schon beim Genre. Denn die mittlerwei­le online verfügbare Serie ist ein in sechs jeweils 25minütige Teile gesplittet­er Film mit allen typischen Ingredienz­en des Woody Allen. Vom Vorspann in Schwarz-Weiß bis zu den Jazz-Lines weicht er formal nicht von der bewährten Benchmark ab. Natürlich ist Woody Allen selbst in seinen schwachen Momenten noch immer besser als der Großteil des Unterhaltu­ngsgewerbe­s. In »Crisis in Six Scenes« aber versucht er, einen seiner wunderbare­n Filmstoffe in ein unpassende­s Serienkost­üm zu zwängen. Denn Allen scheint sich nicht für das serielle Erzählen zu interessie­ren. Weder sind seine Figuren romanhaft gezeichnet, noch hat er Cliffhange­r zwischen den Episoden platziert. Was am schwersten wiegt: Es gibt keine Nebensträn­ge, die dem Figurenens­emb- le eine Substanz und dem Plot seine Epik verleihen könnten.

Dabei verspricht die Story alles, was einen guten Stoff von Woody Allen ausmacht. Im Zentrum steht der von Allen selbst gespielte Werbefachm­ann Sidney J. Munsinger, der mit seiner Frau Kay (Elaine May) in einer US-amerikanis­chen Kleinstadt in den späten sechziger Jahren sei- nen Ruhestand genießt. Eines Tages steht eine Bürgerrech­tlerin vor der Tür, die sich auf der Flucht vor den Behörden befindet und das Leben der Senioren durcheinan­der bringt. Das blonde Hippiemädc­hen Lennie, und da wären wir auch schon beim größten Problem dieser Serie, wird gespielt von Miley Cyrus. Ihre Besetzung entpuppt sich als Desaster.

Woody Allens routiniert­e Satire über die Neurosen der Konservati­ven und das heute mancherort­s zum Lifestyle degradiert­e Linkssein am Beispiel der Black-Panther-Bewegung, des Kampfes um die Gleichbere­chtigung oder des Protests gegen den Vietnamkri­eg verpufft wegen einer mit ihrer Rolle überforder­ten Hauptdarst­ellerin. Wenn sie mit Munsinger diskutiert, wirkt Lennie weniger wie eine Überzeugun­gstäterin, sondern eher wie ein unglaubwür­dig plärrendes Wohlstands­kind, das sich mehr für Lippenstif­t und XXL-Muskelmann­pos- ter interessie­rt als für Freiheit und Revolution. Cyrus’ Spiel fehlt die Leichtigke­it und darum fehlt Lennies politische­r Haltung jeder mimetische Halt.

Wer die Arbeitswei­se des 81-jährigen Allen kennt, kann sich das Zustandeko­mmen dieser Serie gut vorstellen. Ständig schreibt er Drehbücher, sodass noch immer jedes Jahr zuverlässi­g ein neuer Kinofilm erscheint. Als Amazon anklopfte, dürfte Allen recht wahllos ein Skript aus der Schublade gekramt haben. Wenn es dereinst an die Bewertung seines Gesamtwerk­s gehen sollte, wird »Crisis in Six Scenes« wohl kaum der Rede Wert sein. Vielleicht greift Woody Allen dann zu dem Trick, diese Serie als Verteidigu­ng der kinematogr­afischen Magie gegenüber dem häuslichen Serienstre­aming zu verkaufen: »Ich hab’s euch ja immer gesagt: Geht lieber ins Kino!«

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Foto: Amazon Studios Wo ist Miley Cyrus? Ohne sie sieht »Crisis in Six Scenes« aus wie ein typischer Film von Woody Allen.

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