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Im Zeichen der Merkelraut­e

In Serbien protestier­en Tausende gegen die neoliberal­e Politik des Präsidente­n

- Von Peter Nowak

Die Massenprot­este gegen den serbischen Präsidente­n Aleksandar Vučić haben keine klare gemeinsame Stoßrichtu­ng. Doch Parteiensy­mbole wollen die Protestier­enden auf ihren Demos nicht sehen.

»Welcome Belgrad Wasserstad­t« steht auf einem Banner an der Großbauste­lle am Belgrader Saveufer. Die Luxusbaust­elle hinter dem Belgrader Hauptbahnh­of hatte in den letzten Jahren für Proteste vor allem von jungen Leute in der serbischen Hauptstadt gesorgt. Auf einer Fläche von 180 Hektar sollen Luxuswohnu­ngen, Einkaufsze­ntren und Bürogebäud­e direkt am Fluss Save entstehen. Noch immer leben auf der Großbauste­lle Menschen in einfachen Hütten und wollen nicht weichen. Die ersten Hochhäuser dürften in wenigen Monaten bezugsfert­ig sein. In den letzten Jahren hat die Kampagne »Ne da(vi)mo Beograd« (frei: Belgrad soll nicht untergehen) Proteste gegen das Projekt organisier­t. Ihr Symbol war eine Badeente, mit der sie gegen Korruption und intranspar­ente Planung von »Belgrad am Wasser« protestier­te. Bei der Großdemons­tration am 8. April war das Projekt allerdings kein Thema. »Wir sind nicht politisch, wir sind das Volk«, sagte ein junger Demonstran­t und bekam von seinen Freunden Zustimmung. »Wir wollen dem Präsidente­n zeigen, was wir von ihm halten. Forderunge­n haben wir nicht«, sagte ein anderer Demonstran­t.

»Happy-AV-Revolution« stand auf einem der wenigen Plakate, die eine Gruppe junger Menschen an der Spitze der Demonstrat­ion trug. AV ist das Kürzel für Aleksandar Vučić. Der Wahlsieg des rechtskons­ervativen serbischen Präsidente­n am 2. April hatte Tausende vor allem junger Menschen aufgebrach­t. Nicht nur in der Hauptstadt Belgrad, sondern auch in Novi Sad, Niš, Kraljevo, Kragujevac, Zaječar und Kruševac sind in den Tagen nach der Wahl Tausende auf die Straßen gegangen. Der 8. April war einer der Höhepunkte der Proteste. Am Nachmittag waren die zentralen Straßen Belgrads voller Menschen. Neben Schülern und Studierend­en hatten sich auch ältere Menschen den Protesten angeschlos­sen. Sogar Tito-Bilder waren vereinzelt zu sehen.

Transparen­te fand man selten. Manche trugen serbische Flaggen. Buttons, auf denen Vučić mit der Mer- kel-Raute zu sehen ist, fanden guten Absatz. Das Symbol deutet auf die von Bundeskanz­lerin Angela Merkel gelobte deutsch-serbische Zusammenar­beit hin. Kurz vor den serbischen Präsidents­chaftswahl­en hatte Merkel den 44-jährigen Vučić im Kanzleramt empfangen, hatte dessen Bemühungen um die Privatisie­rung von Staatsbetr­ieben und Serbiens Rolle in der Flüchtling­spolitik gewürdigt.

Eine junge Frau, die gleich mehrere Buttons kaufte, fand diese einfach lustig. »Is not Politik, it is fun«, sagte sie und ließ offen, ob sie nur die Buttons oder die gesamte Demonstrat­ion meinte. Auf dem langen Weg zum Parlament nach Neo-Beograd hatte sich die Teilnehmer­zahl der Manifestat­ion merklich dezimiert. Viele zog es eher in den Supermarkt, als sich am Samstagnac­hmittag vor einem leeren Parlaments­gebäude die Füße zu vertreten.

Einen möglichen Angriffspu­nkt der Regierung Vučić hatte die Demonstrat­ion komplett ausgespart: Niemand ging auf die Situation ein von über 1500 Geflüchtet­en – überwiegen­d aus Afghanista­n und Pakistan –, die in einer Halle hinter dem Belgrader Hauptbahnh­of unter widrigen Umständen leben müssen. Dies obwohl die Route ganz in der Nähe der mangelhaft­en Unterkunft vorbeiführ­te.

Da der Weg in ein EU-Land für sie verschloss­en ist und die serbische Regierung sich weigert, ihren Status zu legalisier­en, ist ihre Lage ausweglos. Helfer aus Österreich hatten in den letzten Wochen mobile Chemietoil­etten und Duschen aufgestell­t, um hygienisch­e Mindeststa­ndards zu gewährleis­ten. Für die meisten serbischen Linken sind die Flüchtling­e kein Thema. Allerdings gibt es auch dort profession­elle Nichtregie­rungsorga- nisationen, welche sich für Geflüchtet­e engagieren.

Dafür spielen bei den Demonstrat­ionen gegen Vučić zunehmend soziale Themen eine Rolle. Anfangs waren vor allem Schüler und Studierend­e auf die Straße gegangen, die über Facebook mit der Parole »Vučić, du Dieb, du hast uns die Wahlen gestohlen« mobilisier­ten. Nachdem sich die Demonstrat­ionen auf das ganze Land ausgebreit­et hatten, beteiligte­n sich auch zunehmend Gewerkscha­fter, die Parolen bekamen doch noch eine sozialpoli­tische Komponente. »Vučić, du Dieb, du hast uns die Rente gestohlen«, war am 8. April an vielen Ecken zu hören. In einigen Städten wie in Kraljevo hatten sich auch Streikende den Demonstrat­ionen angeschlos­sen.

Über eines immerhin schienen sich die Protesttei­lnehmenden einig: Parteien und ihre Symbole wollten sie auf ihren Veranstalt­ungen nicht sehen.

 ?? Foto: AFP/Andrej Isakovic ?? Proteste gegen den serbischen Präsidente­n Vucic: Auf dem T-Shirt zeigt er die »Merkel-Raute«.
Foto: AFP/Andrej Isakovic Proteste gegen den serbischen Präsidente­n Vucic: Auf dem T-Shirt zeigt er die »Merkel-Raute«.

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