BGH stärkt Kündigungsschutz in Berlin
Fragen & Antworten zum Zweckentfremdungsverbot
Keine Feriengäste mehr in schicken Altbauwohnungen, nicht noch eine Anwaltskanzlei im Mietshaus: Seit drei Jahren bekämpft Berlin die Wohnungsnot mit strengen Auflagen. Nun stärkt der BGH grundsätzlich und bundesweit gekündigte Mieter.
Massenandrang bei der Wohnungsbesichtigung, Konkurrenz, entmutigte Bewerber: Damit das in begehrten Berliner Wohnlagen nicht der Normalfall bleibt, versucht die Politik gegenzusteuern – mit einem sogenannten Zweckentfremdungsverbot für Wohnraum. Aber was ist noch erlaubt? Das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 29. März 2017 (Az. VIII ZR 44/16) macht deutlich, dass es auch ohne regionale Auflagen für Wohnungskündigungen klare Regeln gibt.
Warum das Verbot?
Die Hauptstadt wächst – allein 2016 um rund 60 000 auf jetzt 3,67 Millionen Einwohner. Viele Neuberliner zieht es in angesagte Innenstadtbezirke. »Wer heute in Schöneberg eine Wohnung besichtigt, muss mit 80 oder 100 Konkurrenten rechnen«, so Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins. Touristen finden auf Plattformen wie Airbnb oder Wimdu große Auswahl. Über 20 000 Ferienwohnungen sind in Berlin im Angebot. Das Verbot soll die Lage entspannen.
Wie funktioniert das Zweckentfremdungsverbot?
Die zum 1. Mai 2014 in Kraft getretene Regelung soll dafür sorgen, »dass dem Markt dringend benötigte Mietwohnungen erhalten bleiben«, sagt die Berli- ner Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (LINKE). Das zielt auf Leute ab, die lieber wochenweise Feriengäste aufnehmen, statt dauerhaft zu vermieten. Es geht aber auch darum, dass nicht anstelle neuer Mieter eine Arztpraxis oder Anwaltskanzlei einzieht oder der Eigentümer die Wohnung jahrelang leer stehen lässt, weil er noch nicht den passenden Käufer gefunden hat. So eine »Zweckentfremdung« ist nur noch mit Ausnahmegenehmigung erlaubt. Verstöße können anonym über ein Internetformular gemeldet werden. Wer erwischt wird, muss mit bis zu 100 000 Euro Strafe rechnen.
Klappt das in der Praxis?
Nach Zahlenangaben der Senatsverwaltung von Ende 2016 sind inzwischen 4470 früher anders genutzte Wohnungen wieder auf dem Markt, davon knapp 2580 Ferienwohnungen. Bei den Bezirken gebe es dafür heute 60 statt früher 30 Mitarbeiter. InkaMarie Storm, Chefjustiziarin vom Eigentümerverband Haus & Grund Deutschland, sieht aber noch rechtliche Grauzonen: »Da gibt es noch immer viele offene Fragen und Abgrenzungsschwierigkeiten.«
Etliche Streitfälle beschäftigen inzwischen die Berliner Gerichte. So hat das Verwaltungsgericht im August 2016 entschieden, dass Leute mit einer Zweitwohnung in der Hauptstadt diese durchaus an Touristen vermieten dürfen, wenn sie gerade nicht da sind – auf den Wohnungsmarkt habe das schließlich keine Auswirkungen.
Worum ging es vor dem BGH? Um die Nutzung als Büro. Ein Mieter sollte nach 40 Jahren seine Wohnung räumen. Diese hat vor einiger Zeit den Eigentümer gewechselt. Der Mann der neuen Vermieterin hat im Haus ein Beratungsunternehmen, das ihrer Darstellung nach inzwischen aus allen Nähten platzt. In die kleine Wohnung sollten ein Aktenarchiv und ein Extraarbeitsplatz ausgelagert werden. Die Berliner Gerichte sahen darin zwar einen legitimen Kündigungsgrund, verhinderten trotzdem die Räumung wegen des Zweckentfremdungsverbots.
Wie entschied das Gericht? Verbot hin oder her – der Mieter darf in jedem Fall bleiben, denn schon die Kündigung entbehrt jeder Grundlage. Zwar können Vermieter auch berechtigte Gründe habe, ihre Mietwohnung fürs Geschäft zu nutzen. Platzmangel wegen alter Akten gehört nach Überzeugung des Senats aber nicht dazu. Die Unterlagen könnten ohne größere Probleme auch woanders untergebracht werden. Die Richter nehmen den Fall zum Anlass, die unteren Gerichtsinstanzen daran zu erinnern, dass bei Wohnungskündigungen Existenzen auf dem Spiel stehen. In all diesen Fällen sollten die Gerichte ganz genau hinzuschauen. Als Orientierung für die Zukunft hat der Berliner Senat neue Leitlinien formuliert. dpa/nd