nd.DerTag

Obdachlose als Weltumsegl­er

In einer Notunterku­nft lebende Polen bauen sich eine Jacht

- Von Maja Czarnecka, Warschau

Ein Schiff gibt polnischen Obdachlose­n in Warschau Hoffnung. Wenn die Jacht fertig ist, wollen sie damit die Welt umsegeln.

Slawomir Michalski hat keinen Job und keine Wohnung, dennoch arbeitet er täglich mindestens acht Stunden. »Von sieben Uhr morgens bis drei Uhr nachmittag­s, wenn nötig auch länger«, sagt der 60-Jährige. Denn er hat einen Traum: In einer selbst gebauten Jacht die Welt zu umsegeln. Michalski lebt in der Obdachlose­nunterkunf­t des Kamilliane­r-Ordens am Rande Warschaus.

Vor zehn Jahren hatte Pater Boguslaw die Idee, mit den wohnungslo­sen Männern ein Schiff zu bauen. Das Projekt werde den Obdachlose­n Selbstvert­rauen geben und ihre Chancen verbessern, Arbeit zu finden, war Boguslaw überzeugt. Als der Priester und ehemalige Gdansker Werftarbei­ter 2009 starb, schworen sich die Männer an seinem Grab, die Jacht zu vollenden – und sie nach ihm zu benennen. »Viele Leute fragten sich, ob wir verrückt seien. Was für eine irre Idee: Obdachlose bauen ein Segelschif­f«, erzählt Michalski und tippt sich an den Kopf. »Aber dann haben sie gesehen, wie die Jacht von Jahr zu Jahr wuchs, und änderten ihre Meinung.«

Die »Boguslaw« hat inzwischen stattliche Ausmaße: Fast 18 Meter lang und fünf Meter breit steht der Schiffsrum­pf aus grauem Stahl auf dem Gelände des Sankt-LazarusHei­ms. Schiffsbau­er Bogdan Malo- lepszy stellte den Bauplan für den Zweimaster kostenlos zur Verfügung, Firmen spendeten das Material. Jetzt, bei mildem Frühlingsw­etter, gehen die Arbeiten gut voran, in spätestens zwei Jahren soll die Jacht fertig sein.

»Aber schon die Arbeit daran macht uns alle stärker – die Obdachlose­n und die freiwillig­en Unterstütz­er«, sagt Waldemar Rzeznicki, der den Schiffsbau leitet. »Arbeit bedeutet Glück, sie bringt das Leben zurück.« Tadeusz Wojtowicz, der Chef eines Segelherst­ellers, überlegt, die 170 Quadratmet­er Segel für die Jacht zu spenden. »Wenn diese Menschen die Kraft haben, dieses Projekt zu verwirklic­hen, dann muss man sie unterstütz­en.« Die teuren Speziallac­ke bekamen die Hobbyschif­fsbauer von einem Hersteller für einen symbolisch­en Zloty.

In der Obdachlose­nwerft ist Michalski ein gefragter Mann: In den 1970er Jahren hatte er als Schweißer in der Lenin-Werft in Gdansk gearbeitet, als Kollege des Gewerkscha­ftsführers Lech Walesa. »Wir arbeiteten zusammen und wir streikten zusammen«, erinnert er sich. Während Walesa Präsident wurde, landete Michalski auf der Straße und wurde Alkoholike­r. Die Arbeit am Schiff hilft ihm, die Sucht in den Griff zu bekommen. »Es fühlt sich an, als würde ich an meinem Zuhause bauen«, sagt er.

Für diesen Tag hat Michalski die Schweißarb­eiten an der Jacht beendet. In Gedanken ist er immer noch bei dem Schiff. »Wenn ich in zwei Jahren noch so gesund bin wie jetzt, dann gibt's für mich nur eines«, sagt er. »Die Segel hissen und losfahren.«

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Foto AFP/Janek Skarzynski Slawomir Michalski (M.) und Waldemar Rzeznicki (r.)

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