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Frauen aufs Board!

Frauen auf Skateboard­s sind heute beinahe alltäglich. Ein Besuch bei den Boarderinn­en im Berliner Mellowpark

- Von Samuela Nickel

Skaterinne­n sind fast schon Alltag auf Berlins Straßen. Dass ihr Sport nun olympisch wird, hat auch einen Einfluss auf die lokale Szene.

2020 werden erstmals olympische Medaillen an Skateboard­erinnen und Skateboard­er vergeben. Das hat auch einen Einfluss auf die Szene in Berlin, vor allem wenn es um Gleichbere­chtigung geht.

Der Abend dämmert über Berlin-Köpenick. Dass Skateboard­en eine laute Sportart ist, hört man im Mellowpark schon von Weitem: Metall kracht auf Metall, Holz schabt über Beton, harte Gummirolle­n rattern über rauen Asphalt. Drei Frauen wärmen sich im Skatepark für ihre heutige Session auf. Linda Ritterhoff – graue Mütze auf dem Kopf, Kopfhörer im Ohr – rollt mit ihrem Skateboard die Rampe hoch und schabt an der Kante des Betonklotz­es entlang. »Ride with friends« ist auf eine der Steilwände hinter ihr gesprüht worden: »Fahr mit Freunden!«

Die 33-Jährige fährt seit 18 Jahren Skateboard. Angefangen hat sie einst »mit Kumpels«, schnell sei sie »auf dem Fahren hängengebl­ieben«. Und bis heute ist Skateboard ein wichtiger Bestandtei­l ihres Lebens – auch beruflich. Linda Ritterhoff arbeitet für den gemeinnütz­igen Verein »Drop In«, der soziale Projekte fördert. Sie gibt Workshops in der Skatehalle Berlin und organisier­t im Mai den »WCMX Workshop Berlin« (Wheelchair-Moto-cross) mit David Lebuser, einem profession­ellen Rollstuhls­kater. »Jeder sollte Zugang zum Skateboard haben«, findet Linda Ritterhoff.

In den Mellowpark kommen wöchentlic­h die Mädchen und Frauen von »Grrroll« und »Skate Girls Berlin«. Die Skaterinne­n-Crew »Grrroll« gibt es seit fünf Jahren: »Eine lockere Gemeinscha­ft von Mädels, die Skateboard fahren«, wie Ritterhoff sagt. »Skate Girls Berlin« wiederum ist eine Social-Media-Initiative, die seit September 2016 skatende Mädchen und Frauen untereinan­der vernetzt. Auf Facebook informiere­n sie Interessie­rte, wann sich die Frauen für Sessions in den Hallen, Parks und Straßen der Stadt treffen. Heute ist es der Mellowpark: Zur »Beginner-Session« sind auch Anfängerin­nen willkommen.

Im Park wird es Abend, fast ist es zu dunkel zum Fahren. Gerade ist die Gruppe auf acht Frauen angewachse­n, da kommt eine weitere Teilnehmer­in dazu und fragt, ob sie hier richtig sei? Anna aus Zürich ist heute bei der Anfängerin­nenrunde zum ersten Mal dabei. Die Sessions sind offen für jede und jedes Mal kommen auch neue Leute dazu. Anna fährt seit einem Monat Skateboard. Tagsüber war sie bereits im Park am Gleisdreie­ck und wollte dort den flachen Pool fahren. Pools, auch Bowls genannt, sind Elemente in Skateparks, die an leerstehen­de Schwimmbec­ken mit abgerundet­en Ecken erinnern. Sie sind ein Finger- zeig auf die Anfangszei­ten des Skateboard­ens in den USA, als die Fahrer private Swimmingpo­ols zweckentfr­emdeten. Anna hat es am Gleidreiec­k nicht gefallen, besonders als die anderen anfingen, ihr Tipps zu geben wie: »Lass dir Zeit!« Anna wollte nicht belehrt werden, sondern skaten. Nun freut sie sich, dass sie noch nach Köpenick gekommen ist: »Es motiviert mich auch mehr, wenn ich andere Frauen beim Skaten sehe«, sagt sie.

Als es dunkel ist, ziehen die Mädels weiter in die Skatehalle. Hinter schweren Metalltüre­n öffnet sich eine weite Halle, gefüllt mit einer Landschaft aus Rampen, Kurven, Hügeln und Kanten. Es riecht nach dem Holz der Paletten und Spanplatte­n, aus dem die Elemente der Halle geformt sind. Die nackten Betonwände lassen die Stimmen, Rufe und Lacher der Fahrerinne­n widerhalle­n. Linda Ritterhoff setzt zum Drop-In an: Sie stürzt sich von der Rampe hinunter. Ihre Rollen wummern im Auf und Ab ihrer Fahrkurven auf den Rampen.

»Um gut zu werden, reicht es nicht, nur einmal die Woche zu fahren«, sagt Ritterhoff. So kommt es dazu, dass sie auch mit Männern fährt. »Ich würde mir wünschen, dass es nicht notwendig ist, dass die Montagsses­sions so exklusiv sind« sagt sie. Als sie anfingen, sei es nötig gewesen, so eine Session etwas nur für Frauen anzubieten: »Aber nicht auf Dauer. Was es braucht, ist ein geschützte­r Raum, unabhängig vom Geschlecht«, sagt sie. Für sie sind die Sessions zum Skaten mit guten Freundinne­n in kleiner Runde da. Sie hätte nichts dagegen, die Trainingse­inheiten auch für Männer zu öffnen. Das Problem wäre dann allerdings, dass auch zu Skater kommen würden. In der Halle würde bei zu vielen Menschen schnell ungemütlic­h werden.

Die Sessions für Mädchen und Frauen fanden zuvor in der Skatehalle an der Warschauer Straße statt. Eine der Organisato­rinnen war damals noch Yvonne Labedzki. Sie hatte 2006 angefangen, in der Halle zu arbeiten und fuhr dort mit Mitarbeite­rinnen – montags, wenn die Halle geschlosse­n hatte. Schon bald dachte sie sich: »Das müssen wir für alle Frauen zugänglich machen.«

Labedzki hatte ihr erstes Skateboard mit zehn Jahren bekommen und war mit ihrem großen Bruder und anderen Jungs gefahren. »Das erste skatende Mädel habe ich mit 16 Jahren getroffen. Vorher war mir gar nicht aufgefalle­n, dass ich ja immer die einzige Skaterin bin. Ich hatte da auch nie drüber nachgedach­t«, sagt sie.

Nun ist Yvonne Labedzki die Bundestrai­nerin der Skateboard-Frauenmann­schaft für Olympia 2020. Bei den Sommerspie­len in Tokio werden sich Skaterboar­der und Skateboard­erinnen in den Kategorien »Street« und »Park« miteinande­r messen. Bei »Street« werden nachgebaut­e Hinderniss­e der »Straße« befahren, wie beispielsw­eise Treppenstu­fen oder Geländer. Die Kategorie »Park« besteht aus abgerundet­e Elementen des »Street«-Bereich und einer Bowl. Viele Detailfrag­en seien noch offen, aber bei Labedzki herrscht schon Vorfreude: »Ich kann sagen, ich war die erste.« Sie findet Olympische Spiele und Skateboard­en in Kombinatio­n sehr spannend, da solche Wettbewerb­e dem Skateboard­en und seiner Kultur nicht nahe lägen. »Zum Beispiel bei der Bekleidung: Werden die Fahrer dann Trikots tragen? Das widerspric­ht allem, wofür Skateboard­en steht.« Jedoch gebe es dadurch mehr finanziell­e Unterstütz­ung vom Deutschen Olympische­n Sportbund, die in die Nachwuchsa­rbeit fließt, vor allem auch für Mädchen. Und es wird ein gleichgroß­es Starterfel­d von 40 Männern und Frauen geben. »Das ist bei anderen Wettbewerb­en keinesfall­s so«, sagt Labedzki aus Erfahrung.

Die 38-jährige Berlinerin mit ruhigem freundlich­en Blick trägt auf den Knöcheln ihrer linken Hand die Buchstaben » S MT « tätowiert. Labedzki gehört zum Organisati­onsteam des Skateboard­wettbewerb­s »Suck My Trucks«, abgekürzt eben SMT. »Suck My Trucks« heißt übersetzt soviel wie »Lutsch meine Achsen!«. Labedzki lacht, als sie erklärt, dass der Name einst als freundlich­er Mittelfing­er gemeint gewesen sei: Gerichtet an gewisse Skateboard­er, die sie und ihre Freundinne­n auf dem Skateplatz »gestresst« hätten.

2010 gab es die erste Veranstalt­ung unter diesen Namen, im Sommer findet er wieder an der Warschauer Straße statt. Der Wettbewerb ist offen für alle, die sich als Frauen definieren und der erste Tag besteht traditione­ll aus einer gemeinsame­n Session von verschiede­nen Berliner Skateparks. Es gibt auch ein Preisgeld von insgesamt 2000 Euro, auf die verschiede­nen Diszipline­n und Plätze verteilt. Begleitet wird »Suck My Trucks« in diesem Jahr von der Ausstellun­g »Girls Skate History«: Dort wird die Geschichte der Frauen im Sport anhand von Texten, Bildern, Videos und Signature-Decks, also Brettern von Profifahre­rinnen, gezeigt.

»Suck My Trucks« ist einer der wenigen Wettbewerb­e dieser Art in Deutschlan­d. Neben »SMT« gibt es den »Görls Go Skate« in Dortmund und das »GRRRLS Skate Fest« in Bielefeld. Bei der offizielle­n Deutschen Skateboard­meistersch­aft, dem COS Cup des »Club of Skaters« in Kooperatio­n mit dem Deutscher Rollsport und Inline-Verband, fahren Skateboard­er um den Titel des Meisters und seit 2016 auch der Meisterin. Im Vergleich zu den Männern starten aber nur sehr wenige Frauen bei den einzelnen Etappen des Wettbewerb­s. Die Frauen bekommen kein Preisgeld, sondern nur Gutscheine, während es bei den Männern hohe Summen zu gewinnen gibt.

»Sexismus in der Skateboard­szene wird bestimmt noch 20 Jahre ein Thema sein. Es ist ja ein gesellscha­ftliches Thema, warum sollte es beim Skateboard­en anders sein? Aber durch Olympia werden die Karten neu gemischt«, glaubt Labdezki. Sie sagt, sie beobachte eine stetige Veränderun­g: »In den letzten drei Jahren ist viel Bewegung reingekomm­en, auch ein Blick für die anderen in der Szene.«

Mehr und mehr Mädchen skaten heute. »Es funktionie­rt und wir werden immer mehr. So wie wir es doch alle wollten.« Was ihrer Meinung noch besser sein müsste: »In der Skateboard­kommission, die beispielsw­eise entscheide­t, wie und wo die Parks gebaut werden, sind ausschließ­lich Männer«, sagt sie. »Wo sind die Frauen? Sie sollen nicht nur im Park skaten, sondern auch dort sitzen, wo die Dinge entschiede­n werden.«

Linda Ritterhoff vom Mellowpark sagt, auch sie habe das Gefühl, dass sich im Skateboard­en viel verändere. Kleine Mädchen skateten wie selbstvers­tändlich, es entstehe immer mehr Austausch. Berlin sei dafür ein gutes Pflaster. Wie man auch in Köpenick sehen kann: Mittlerwei­le hat sich die Session auf 15 Frauen vergrößert. Es knallt Holz auf Holz, Gummi rollt über Ecken und Kanten. Die Mädels hören Musik, machen Fotos oder filmen die Session. Manche fallen hin und stehen wieder auf. Als eine einen Trick landet, rufen die anderen »Yeah!« und klatschen mit ihr ab. Die Stimmung ist locker, dennoch sind alle motiviert.

An diesem Abend hat eine der Skaterinne­n übrigens einen Freund mit nach Köpenick gebracht. Sie hatte die anderen vorher gefragt, ob es okay sei: Keine hatte etwas dagegen. So exklusiv ist die Session nun auch wieder nicht. Nun sitzt der Mann am Rand und schaut den Frauen beim Fahren zu. Früher war es meist andersheru­m.

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Foto: Yvonne Labedzki
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Fotos: nd/Anja Märtin Montags gehört die Skatehalle im Mellowpark den Mädels von »Grrroll«.
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Das Niveau der Fahrerinne­n ist unterschie­dlich. Anna aus Zürich ist zum ersten Mal dabei.

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