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Wohnen für alle

Eberhard Eichenhofe­r zum »Menschenre­cht auf Wohnen« als Instrument für mehr soziale Gerechtigk­eit

- Foto: privat Foto: fotolia/pixelrobot

Können soziale Menschenre­chte ein Instrument für Gerechtigk­eit sein?

Was würde sich in Deutschlan­d ändern, würden wir die wirtschaft­lichen, sozialen und kulturelle­n Menschenre­chte im Grundgeset­z verankern?

Durch solche internatio­nalen Instrument­e könnten wir in Deutschlan­d mehr Aufmerksam­keit schaffen für die großen sozialpoli­tischen Fragen, die weltweit diskutiert werden. Und das scheint mir das Allerwicht­igste zu sein. Die deutsche Sozialpoli­tik ist bis zum heutigen Tage sehr stark auf das Lokale und das Konkrete in den Institutio­nen der deutschen Sozialpoli­tik konzentrie­rt und hat relativ wenig Sinn für die großen sozialpoli­tischen Fragen. Die Frage sozialer Gerechtigk­eit oder der Wohlstands­verteilung in der Welt kommen in unseren lokalen Debatten viel zu kurz.

Ist die Forderung nach der Verankerun­g des Rechtes auf Wohnen im Grundgeset­z heute in Deutschlan­d wichtiger als vor beispielsw­eise 30 Jahren?

Ja, es scheint heute natürlich stärker gefährdet und im Hinblick darauf gewiss auch im stärkeren Maße wichtig zu sein. Man hat ja vor fast 30 Jahren, zum Ende der deutschen Teilung sowohl im Osten als auch im Westen gemeint, dass die Wohnungsfr­age gelöst sei. In der DDR wegen des Wohnungsba­uprogramms, das seit den frühen 70er Jahren entwickelt worden ist. In Westdeutsc­hland ist das Wohnungsth­ema durch Konzentrat­ions- und Urbanisier­ungsbewegu­ngen in den Ballungsge­bieten wieder zentral geworden.

Wie kann das Recht auf Wohnen praktisch gegen Obdachlosi­gkeit eingesetzt werden?

Das Recht auf Wohnen zielt ja auf die dauerhafte Unterbring­ung in einer Behausung. Dies ist nicht im Sinne der meisten Obdachlose­n in Deutschlan­d. In der Geschichte wurden unter dem Stichwort der »Bekämpfung von Asozialitä­t« sogar Zwangsunte­rbringunge­n durchgefüh­rt, welche der Würde von Obdachlose­n widersprec­hen. Der Anspruch auf eine Unterbring­ung und die konsequent­e Weiterführ­ung von Public-Health-Programmen könnten die Situation der Obdachlose­n in Deutschlan­d eher verbessern, als das »Recht auf Wohnen«.

Kann man Menschenre­cht auf Wohnen auch gegen Verdrängun­g aus bestimmten Wohngegend­en ins Feld führen?

Würde das Recht auf Wohnen im Grundgeset­z stehen, könnte man darauf pochen, dass die Wohnung als Existenzgr­undlage auch bei einer Sanierungs­maßnahme gesichert wird. Das Recht könnte zum Beispiel Entschädig­ungsansprü­che tragen, es würde beispielsw­eise auch Beteiligun­gsansprüch­e bei der Umwandlung von Quartieren tragen. Zwangsvoll­streckunge­n gegenüber Mietschuld­nern würden erschwert. Man könnte die Leute nicht mir nichts dir nichts aus der Wohnung räumen lassen. Also hier beim Kampf gegen die Gentrifizi­erung äußern sich durchaus solche Garantien im Recht.

Also »Bleiberech­t für alle« in den begehrten Stadtviert­eln?

Man kann sich natürlich keine bestimmte Wohnung auswählen, so weit geht das Recht nicht. Das Recht auf Arbeit ist auch nicht auf einen bestimmten Arbeitspla­tz gerichtet, ebenso wenig, wie das Recht auf Bildung auf einen bestimmten Bildungsgr­ad, das Recht auf Gesundheit nicht auf eine bestimmte Behandlung gerichtet ist. Sondern diese sozialen Rechte sind zunächst einmal Teilhabere­chte. Sie sind darauf gerichtet, dass Wohnraumve­rsorgung zu annehmbare­n Bedingunge­n ermöglicht und von der öffentlich­en Hand kontrollie­rt wird. Also Arbeit, Bildung, Gesundheit und Wohnen sind Themen der Politik und nicht des Marktes. Das ist schon mal eine sehr wichtige Erkenntnis!

Könnten sich Parteien auf das Menschenre­cht auf Wohnen berufen, wenn sie kommunalen Wohnungsba­u fordern?

Zweifellos würde es solche Bemühungen tragen. Es gibt jetzt schon Landesverf­assungen, in denen das Thema Wohnen behandelt wird. Sie stehen in der Tradition der Weimarer Reichsverf­assung. Die bayerische Verfassung gibt sogar explizit vor, dass das Land billige Wohnungen schaffen muss.

... was auch in Bayern seit mehr als 20 Jahren vernachläs­sigt wurde. Was nützt also verbriefte­s Recht, wenn sich keiner um dessen Einhaltung kümmert?

Natürlich kann die Politik nur in dem Maße durchsetze­n, wie sie dabei unterstütz­t wird von der Zivilgesel­lschaft. Diese muss die Mietentwic­klung beobachten, Fehlentwic­klungen anprangern und darauf hinwirken, dass bestimmte Themen per Gesetz geregelt werden.

Als Dreh- und Angelpunkt für ein Wirksamwer­den der sozialen, wirtschaft­lichen und kulturelle­n Menschenre­chte wird von vielen die Ratifikati­on des Zusatzprot­okolls vom UN-Sozialpakt gesehen. Warum?

22 Staaten, darunter auch europäisch­e Länder wie Finnland, Italien, Portugal und Spanien haben das Zu- satzprotok­oll ratifizier­t. Seit 2013 hat dort jede einzelne Person, die in diesen Staaten lebt, das Recht, den nationalen Klageweg zu beschreite­n und sich danach an entspreche­nde UNOGremien zu wenden.

Einzelne, gerade sozial Schwache, können es wohl kaum schaffen, ihre Rechte auf dem Klageweg durch alle Instanzen bis zur UN einzuforde­rn …

Das ist richtig. Man muss sich klar machen, dass die Verwirklic­hung der sozialen Rechte im Grunde eine demokratis­che Gesellscha­ft und ein funktionie­rendes politische­s Umfeld voraussetz­en.

Stünden die wirtschaft­lichen, sozialen und kulturelle­n Menschenre­chte (WSK-Rechte) im Grundgeset­z, wäre es dann möglich, zum Beispiel gegen Militäraus­gaben zu klagen zugunsten von höheren Sozialausg­aben?

Der Einzelne kann jetzt nicht auf dem Wege der Klage eine andere Verteilung der öffentlich­en Ausgaben erreichen. Das würde ja auch die Rechte der Parlamente beeinträch­tigen, die dann nicht mehr Verteilung­sentscheid­ungen treffen könnten.

In welchem Verhältnis stehen denn die freiheitli­chen Menschenre­chte zu den WSK-Rechten?

Menschenre­chtstheore­tiker wissen um die wechselsei­tige Bedingthei­t. Dass heißt, die freiheitli­chen, bürgerlich­en, politische­n Freiheitsr­echte und die wirtschaft­lich, sozialen und kulturelle­n Freiheitsr­echte gehören zusammen, die einen sind die notwendige Voraussetz­ung für das andere.

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 ??  ?? Bevor Eberhard Eichenhofe­r seine universitä­re Laufbahn begann, war er für das Bundesmini­sterium für Arbeit und Sozialordn­ung und beim Münchner Max-Planck-Institut tätig. Ab 1989 lehrte er als Professor für Bürgerlich­es Recht und Sozialrech­t zunächst in...
Bevor Eberhard Eichenhofe­r seine universitä­re Laufbahn begann, war er für das Bundesmini­sterium für Arbeit und Sozialordn­ung und beim Münchner Max-Planck-Institut tätig. Ab 1989 lehrte er als Professor für Bürgerlich­es Recht und Sozialrech­t zunächst in...

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