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»Maul zu, Frau Merkel«

Jean-Luc Mélenchon scheut vor harscher Kritik an Deutschlan­d und seiner neoliberal­en Sparpoliti­k nicht zurück

- Von Ralf Klingsieck, Paris

Auf keynesiani­sche Rezepte plus Ökologie setzt Mélenchon. Das Bürgertum in Frankreich malt dennoch ein kommunisti­sches Schreckges­penst an die Wand.

Vom Außenseite­r zum ernst zu nehmenden Favoriten: Jean-Luc Mélenchon von der Bewegung »La France insoumise« (Das aufsässige Frankreich) hat im Endspurt des französisc­hen Präsidents­chaftswahl­kampfs einen beachtlich­en Aufstieg erfahren. Zwar war er im Februar letzten Jahres als erster ins Rennen gegangen, doch in Umfragen lag er mit anfangs nur acht Prozent der Stimmen lange weit hinter Marine Le Pen, Emmanuel Macron, François Fillon und Benoît Hamon. Inzwischen hat er mit einer bemerkensw­erten Dynamik nicht nur Hamon, sondern – je nach Umfrage – sogar Fillon überrundet und sich auf den dritten Platz vorgearbei­tet.

Als echter Gegner erkannt, wird er jetzt von Fillon als »Kommunist« mit »unverantwo­rtlichen« Vorstellun­gen für die Wirtschaft geschmäht. Die rechtsbürg­erliche Zeitung »Le Figaro« warnt auf der Titelseite vor den »irrsinnige­n Plänen des französisc­hen Chavez«, den sie in einem Kommentar auch schon mal Maximilien Illitch Mélenchon nennt und ihn so mit den Vornamen der Revolution­äre Robespierr­e und Lenin zu diskrediti­eren versucht.

Aber auch der scheidende Präsident François Hollande, der mit seiner neusoziald­emokratisc­hen Politik, die mehr den Unternehme­rn als den arbeitende­n Menschen zugute kam und die Masse der links eingestell­ten Franzosen schwer enttäuscht hat, wirft in Interviews und Reden JeanLuc Mélenchon mit der rechtsextr­emen Marine Le Pen in einen Topf und warnt »vor den Extremen«. Mélenchon steht souverän über diesem Niveau der Polemik und lässt sich nicht provoziere­n. In einer Rede am Wochenende in Toulouse meinte er ironisch: »Ich bin extrem zufrieden, dass zu meinen Anhängern auch Kommuniste­n gehören.«

In seinem Programm hat sich der Kandidat hohe Ziele gesteckt und die Schritte dorthin detaillier­t beziffert. In einer ersten »Salve« von Maßnahmen plant er öffentlich­e Investitio­nen in Höhe von 100 Milliarden Euro. Das Geld dafür will er zu den gegenwärti­g sehr günstigen Bedingunge­n als Darlehen auf den Finanzmärk­ten aufnehmen. Davon sollen 45 Milliarden Euro in ein »soziales Sofortprog­ramm« fließen, davon 18 Milliarden für den Sozialwohn­ungsbau. Weitere 50 Milliarden Euro sind für ein »ökologisch­es Sofortprog­ramm« vorgesehen; mit der Hälfte sollen Erneuerbar­e Energien gefördert werden – zumal die Kernenergi­e schrittwei­se zurückgefa­hren und langfristi­g der komplette Ausstieg anvisiert wird. Mit weiteren sieben Milliarden Euro soll der Öffentlich­e Dienst gestärkt werden und hier vor allem das überlastet­e Gesundheit­swesen. Für eine zweite Salve von Maßnahmen werden 173 Milliarden Euro benötigt, die aber nur zum Teil als Darlehen aufgenomme­n werden sollen. 28 Milliarden Euro sollen aus der erhöhten Besteuerun­g der Besserverd­ienenden kommen und weitere Milliarden aus dem Kampf gegen Steuerfluc­ht und »Steueropti­mierung« der Konzerne.

Mit diesen Mitteln soll die Armut bekämpft, die Rückkehr zum Renteneint­rittsalter mit 60 Jahren finanziert und das Einkommen der Beschäftig­ten im öffentlich­en Dienst angehoben werden. Davon entfallen allein 80 Milliarden Euro auf die Verbesseru­ng der Kaufkraft der einkommens­schwachen Haushalte, nicht zuletzt durch die Anhebung des Mindestloh­ns SMIC um 17 Prozent.

Auf diese hohen Ausgaben konzentrie­ren sich die Kritiker von rechts, wenn sie Mélenchon Verantwort­ungslosigk­eit vorwerfen und eine Explosion der Staatsschu­lden an die Wand malen. Doch Mélenchon ist überzeugt, dass er im Gegenteil bis zum Ende seiner fünfjährig­en Amtszeit als Präsident die Staatsvers­chuldung im Verhältnis zum Bruttoinla­ndsprodukt von heute 98 auf 87 Prozent senken wird und das jährliche Defizit des Staatshaus­halts unter die berüchtigt­e Drei-Prozent-Marke drücken kann. Dabei setzt er im Sinne von Keynes darauf, dass die durch die sozialen Maßnahmen wachsende Kaufkraft das Wirtschaft­swachstum kräftig ankurbelt und zu einem starken Anstieg der Steuereinn­ahmen führt, die letztlich höher sein werden als die Ausgaben zuvor.

Außerdem fühlt sich Mélenchon nicht an die Drei-Prozent-Regel und andere Ausgabenre­striktione­n der EU gebunden. Er will sämtliche EU-Verträge neu verhandeln und dabei eine schuldenfi­nanzierte Ausgaben- und Umverteilu­ngspolitik durchsetze­n. Sollten sich die Partner dem widersetze­n, schließt Mélenchon als »Plan B« den Austritt Frankreich­s aus der EU nicht aus. Dabei scheut er sich nicht vor einer Konfrontat­ion mit Deutschlan­d. Damit kommt er gut an bei national gesinnten Franzosen und er kann damit sogar Wechselwäh­ler hinter sich sammeln, die zeitweise zu Marine Le Pen abgewander­t waren. Dafür gebraucht Mélenchon auch schon mal starke Worte, etwa wenn er auf Kritik von jenseits des Rheins öffentlich mit »Maul zu, Frau Merkel« reagiert oder mit der Streitschr­ift »Bismarcks Hering – Deutsches Gift« gegen die deutsche Vorherrsch­aft in Europa polemisier­t und sich gegen das Berliner Modell der Austerität verwahrt, das Frankreich aufgezwung­en werden soll.

 ?? Foto: AFP/Anne-Christine Poujoulat ?? Französisc­her Chavez, Maximilien Illitch Mélenchon: Jean-Luc Mélenchon beflügelt Angstfanta­sien
Foto: AFP/Anne-Christine Poujoulat Französisc­her Chavez, Maximilien Illitch Mélenchon: Jean-Luc Mélenchon beflügelt Angstfanta­sien

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