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Kranker Mann Europas?

Banken und Investoren warnen vor Mélenchon und Le Pen

- Von Hermannus Pfeiffer

»Wählt nicht die Radikalen!« So lassen sich die offenen oder verdeckten Wahlempfeh­lungen der Finanzdien­stleister vor der französisc­hen Präsidente­nwahl zusammenfa­ssen. »Die Anleger müssen das Risiko einer Präsidenti­n Marine Le Pen einkalkuli­eren«, mahnen etwa die Analysten des britischen Derivatehä­ndlers CMC Markets. Bei der Deutschen Bank warnt man vor einem WorstCase-Szenario«: einer Stichwahl zwischen der Ultrarecht­en Le Pen, die aus dem Euro-System aussteigen will, und dem linken Kandidaten Jean-Luc Mélenchon, der mit dem Ausstieg droht, sofern Neuverhand­lungen scheitern.

Selbst Frankreich­s Notenbank warnt seit Monaten vor einem »Frexit«. Eine falsche Wahl würde die Banken hart treffen, denn wie nach dem Brexit-Votum in Großbritan­nien flösse viel Kapital ins Ausland ab. Die Finanzieru­ng der Staatsschu­ld würde um 30 Milliarden Euro pro Jahr teurer werden. Nichts zu hören ist dagegen aus der Europäisch­en Zentralban­k (EZB) – womöglich, weil ein ungeschick­ter Kommentar die Wahlentsch­eidung zugunsten von Le Pen oder von Mélenchon beeinfluss­en könnte. In der Finanzszen­e gilt Emmanuel Macron mit seinem soziallibe­ralen Programm neben dem konservati­ven Kandidaten François Fillon als »positive Seite«. Sie könnten das europäisch­e »Börsenfeue­rwerk« weiter anfachen, hofft die Fondsgesel­lschaft Loys. Zumindest würden sie den gewohnten Lauf der Geschäfte nicht stören.

Und diese laufen besser, als dies östlich des Rheins wahrgenomm­en wird. Der amtierende Präsident François Hollande von der Sozialisti­schen Partei hat viele Re-formprogra­mme auf den Weg gebracht, die in der Summe an Gerhard Schröders »Agenda 2010« erinnern. Der Flexibilis­ierung der Arbeitswel­t stimmten Gewerkscha­ften wie Unternehme­rver-bände nach Kompromiss­en zu. Unter Bankern und Finanzdien­stleistern gilt Frankreich, anders als in Teilen der deutschen Wirtschaft­spresse, nicht mehr als »kranker Mann Europas«.

Die Wirtschaft dürfte laut Prognose der Deutschen Bank 2017 mit 1,3 Prozent stärker wachsen als hierzuland­e (1,1 Prozent). Die Preise sind stabil, die Leistungsb­ilanz ist ausgeglich­en und der Staat profitiert beim Schuldendi­enst von der Nullzinspo­litik der EZB. Die Beschäftig­ung nimmt zu und die Arbeitslos­igkeit geht seit 2015 zurück. Dürfte aber mit knapp zehn Prozent doppelt so hoch bleiben wie in Deutschlan­d.

Mélenchons Aufstieg in den Umfragen verunsiche­rt die Anleger. Die Rabobank empfiehlt, französisc­he Wertpapier­e abzustoßen. Bis nach Japan wird über Verkäufe berichtet. Der Renditeabs­tand zu deutschen Staatsanle­ihen hat mit über 1,0 Prozent einen langjährig­en Höchststan­d erreicht. Weniger beunruhigt Le Pen die Finanzszen­e: Im zweiten Wahlgang, so die Spekulatio­n, würden linke und bürgerlich­e Kräfte gemeinsam gegen die Rechtsauße­n stimmen und deren Triumph verhindern.

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