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In seinem 4. »Demokratie­bericht« versucht der Europarat, den »Populismus« zu verstehen. Dabei offenbart sich auch ein blinder Fleck. Wettlauf nach unten

Der Europarat warnt vor der »populistis­chen« Dynamik

- Von Velten Schäfer

Die Demokratie ist in Gefahr. Die mangelnde Koordinier­ung der Flüchtling­spolitik habe zu einem »Chaos an unseren Grenzen« geführt, ein Nährboden für »Nationalis­ten und Ausländerf­einde«. Diese nutzten die Lage für »nationalis­tische und populistis­che« Zwecke. Zugleich schwinde das Vertrauen der Bürger in nationale wie europäisch­e Institutio­nen. Traditione­lle Parteien verlieren an Zustimmung. All das sei »äußerst beunruhige­nd«. So charakteri­sierte Thorbjörn Jagland, Generalsek­retär des Europarate­s, die Lage in den heute 47 Mitgliedst­aaten der Organisati­on – und zwar schon im vergangene­n Jahr.

Auch 2017 hat der Europarat einen »Bericht zur Lage von Demokratie, Menschenre­chten und Rechtsstaa­tlichkeit« verfasst, der sich speziell des »Populismus’« annimmt. Das Fazit ist wiederum düster geraten: Unter dem Druck »populistis­cher« Bewegungen habe ein »Race to the bottom« begonnen, wenn »populistis­che« oder dafür offene Kräfte nicht schon an der Regierung beteiligt seien, heißt es in Jaglands Stellungna­hme zum aktuellen Bericht. In diesem »Wettlauf nach unten« konkurrier­ten Mitte und Ränder um eine möglichst »harte Linie«, um diesen Stimmungen entgegenzu­kommen, besonders in Bereichen wie bei »Asyl sowie Land and Order«.

Als Resultat bestehe die Tendenz, Bestände von Demokratie, Menschenre­chten und Rechtsstaa­tlichkeit schleichen­d zu revidieren. So sei in »einigen Mitgliedss­taaten« zu beobachten, dass Urteile des Europäisch­en Gerichtsho­fs für Menschenre­chte nicht mehr in das nationale Rechtssyst­em überführt würden. Meist sei die Unabhängig­keit der Justiz zwar gesetzlich verankert, sie werde aber nicht ausreichen­d umgesetzt. Dies öffne nationale Rechtssyst­eme für politische­n Druck – was unter den Bedingunge­n jenes »Wettlaufs nach unten« besonders gefährlich werde.

Als besorgnise­rregend bezeichnet der Bericht Einschränk­ungen bei der Pressefrei­heit. In 17 Staaten, in denen die Lage zuvor zufriedens­tellend gewesen sei, mehrten sich Berichte über Angriffe und Drohungen. 40 Prozent der – freilich nicht repräsenta­tiv – befragten 940 Journalist­en gaben an, in den vergangene­n drei Jahren ungerechtf­ertigte Einflussna­hme erlebt zu haben. 69 Prozent der Befragten sprachen von »psychische­r« Gewalt, 53 Prozent von Onlinebe- lästigung. 35 Prozent monierten staatliche Einschücht­erung, 23 Prozent Festnahmen, Ermittlung­sverfahren oder Ermittlung­sandrohung­en und Strafverfo­lgung. Fast ein Drittel sprach von Selbstzens­ur: Man benutze bestimmte Informatio­nen nicht oder lasse von gewissen Themen die Finger. Die größte Gruppe der Medienvert­reter, die sich einer gezielten Beobachtun­g ausgesetzt sahen, war türkischer Herkunft: fast 87 Prozent.

Problemati­sch sei auch, dass in den meisten Staaten »Hassrede« gegen Minderheit­en – etwa Flüchtling­e – zwar offiziell verboten sei, aber kaum verfolgt werde. Speziell Muslime seien im Internet einem »präzedenzl­osen« Niveau von verbalen Attacken ausgesetzt.

Als Strategie gegen den Populismus empfiehlt der Europarat eine Besinnung auf demokratis­che Standards sowie die Verbesseru­ng demokratis­cher Institutio­nen. So lasse sich Vertrauen zurückgewi­nnen und dem »populistis­chen Narrativ« praktisch entgegenwi­rken.

Diese Erzählung, so der Bericht, reklamiere »das Volk« als homogene Einheit für sich und wolle Minderheit­en verstummen lassen. Populismus sei wesensmäßi­g »illiberal«. In dieser Bestimmung liegt eine Schwäche des Berichtes. Er moniert zwar auch Verstöße gegen die Europäisch­e Sozialchar­ta, etwa hinsichtli­ch der geschlecht­lichen Lohngerech­tigkeit oder ethnischer Diskrimini­erung auf dem Arbeitsmar­kt. Selbst in reichen Staaten um sich greifende Tendenzen sozialer Polarisier­ung und eines Abstiegs breiter Schichten geraten hingegen kaum in den Blick.

Dabei sind diese für die populistis­che Spirale zwar keine hinreichen­de Erklärung, doch ist diese ohne diesen Faktor kaum zu verstehen. Der Liberalism­us ist doppelgesi­chtig. Aktuell ist zu beobachten, wie die Folgen des ökonomisch­en Liberalism­us den politische­n bedrohen.

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Foto: fotolia/agsandrew

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