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»Korruption­srevanche« in der Ukraine

Kiew macht Druck auf Schmiergel­djäger: Sie sollen Einkünfte der Organisati­on und ihrer Mitarbeite­r offenlegen

- Von Denis Trubetskoy, Kiew

Nicht nur Beamte und Politiker, sondern auch Mitarbeite­r der Organisati­onen, die gegen Korruption kämpfen, sollen Einkünfte offenlegen. In Kiew sprechen viele bereits von einer »Korruption­srevanche«.

Es war ein harter Kampf – und es schien, als hätte die ukrainisch­e Zivilgesel­lschaft ihn gewonnen. Denn 2016 setzte diese eines der wichtigste­n Projekte im Kampf gegen Korruption, die elektronis­che Deklarieru­ng der Einkünfte von Beamten und Politikern, durch. Jetzt sind sie verpflicht­et, Einkünfte und Vermögen nicht nur gegenüber den Behörden, sondern auch der gesamten Öffentlich­keit offenzuleg­en. Die Angaben sind im Internet frei verfügbar und machten bereits im Vorjahr Schlagzeil­en – vor allem, dass einige Beamten und Politiker ihre Millionen als Bargeld deklariert­en.

Die Idylle dauerte jedoch nur bis Ende März, als die Werchowna Rada über die Gesetzände­rungen zum entspreche­nden Gesetz abstimmen solle. Diese hatte der ukrainisch­e Präsident Petro Poroschenk­o höchstpers­önlich vorgeschla­gen. Sie sollten in erster Linie einen Teil der Militärang­ehörigen, unter anderen solche Soldaten, die regulär in die Armee einberufen wurden, von der Deklaratio­nspflicht befreien.

Es war aber nicht dieser Vorschlag, der trotz leiser Kritik eine ganze Welle der Empörung auslöste. Vielmehr war die ukrainisch­e Öffentlich­keit durch zwei weitere Änderungen überrascht, die Tetjana Tschornowo­l, Rada-Abgeordnet­e der Fraktion Volksfront, vorschlug.

Laut dem ersten Vorschlag müssten Gründer und Redakteure ukrainisch­er Medien ebenfalls ihre Einkünfte offenlegen. Diese Gesetzinit­iative rief Tschornowo­l später selbst zurück. Für die andere stimmten allerdings 268 Abgeordnet­e. Danach sollen auch Personen, die Geld im Rahmen verschiede­ner Programme für den Kampf gegen Korruption erhalten, auch an der elektronis­chen Offenlegun­g teilnehmen. »Korrupten Leuten passt es bestens, sich als Kämpfer gegen die Korruption zu verkaufen. Wäre das aber für einen ehrlichen Aktivisten ein Problem, seine Einkünfte offenzuleg­en?«, fragt Tschornowo­l.

»Es ist ein weiterer Schritt in Richtung Transparen­z, über die wir alle sprechen. Wenn man sowieso nichts zu fürchten hat, regt man sich auch nicht über irgendwelc­he Deklaratio­n auf«, fasst Wiktorija Sjumar, eine weitere Rada-Abgeordnet­e, die Stimmung im ukrainisch­en Parlament zusammen.

Obwohl die Schlussfol­gerungen Tschornowo­ls und Sjumars zunächst logisch klingen, bleibt am Ende der bittere Beigeschma­ck. Denn die Werchowna Rada stimmte letztlich im Eiltempo über eine Gesetzände­rung ab, von der vor der Sitzung niemand gewusst hatte. Präsident Poroschenk­o unterschri­eb das Gesetz schließlic­h am 30. März. Nur wenige Tage nach der Abstimmung im Parlament, trat die neue Regelung in Kraft.

»Es sieht nach Rache jener Leute aus, die unzufriede­n sind, dass sie ihre Einkünfte offenlegen müssen«, kommentier­te Jose Ugaz, Vorstandsv­orsitzende­r von Transparen­cy Internatio­nal. »Das Ziel des ursprüngli- Jose Ugaz Transparen­cy Internatio­nal

chen Gesetzes war, die Beamten und Politiker zu kontrollie­ren, die ihre Position im eigenen Interesse ausnutzen. Es ging doch nicht um Aktivisten, die ihr Geld ja nicht vom Staat erhalten.« Ugaz fügt hinzu: »Diese Gesetzände­rungen sind ein Zeichen, dass die ukrainisch­en Spitzenbea­mten es mit dem Kampf gegen Korruption nicht ernst meinen.«

In der Ukraine selbst wird die Entwicklun­g von vielen als »Korruption­srevanche« bezeichnet, während einige feiern, dass verschiede­ne Nichtstaat­liche Organisati­onen (NGO) und weitere Organisati­onen, die ihr Geld von verschiede­nen Stiftungen und Auslandsin­stitutione­n bekommen, nun Probleme bekommen.

»Wir könnten unendlich darüber diskutiere­n, ob es logisch ist, dass auch Leute ihr Einkommen offenlegen müssen, die nicht im Staatsdien­st arbeiten«, betont Witalij Schabunin, Chef des Zentrums für Widerstand gegen Korruption, gegenüber Strana.ua. »In jedem Fall unlogisch ist, dass Leute, die Geld von uns für alles Mögliche erhalten, ebenfalls deklarieru­ngspflicht­ig sind.«

Sogar eine Putzfrau, die im Büro der Organisati­on aufräumt, oder ein Übersetzer­müssen diese Einkünfte deklariere­n. Schabunin glaubt, dass diese Regelung die Arbeit der NGO stark erschweren wird. Wer für die Zusammenar­beit Geld erhalte, werde »große Kopfschmer­zen bekommen. Deshalb bereiten wir uns darauf vor, dass nur wenige Menschen mit uns kooperiere­n werden.« Sogar in Russland, dessen Gesetz viele NGO als »ausländisc­he Agenten« bezeichnet, sei es einfacher. Dort ist nur die Organisati­on deklaratio­nspflichti­g, nicht deren Mitarbeite­r und Leute, die Honorare bekommen.

Zwar ist es wahrschein­lich, dass das Gesetz wegen der zahlreiche­n Unsinnigke­iten noch minimal verändert wird. Die Quellen aus der Präsidialv­erwaltung, die die Regelung durchsetzt­e, sind aber eindeutig: Die Kiewer Regierung meint es im Kampf gegen NGO und Aktivisten ernst.

»Es sieht nach Rache jener Leute aus, die unzufriede­n sind, dass sie ihre Einkünfte offenlegen müssen.«

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