nd.DerTag

Könnte das Militär die Macht übernehmen?

-

Am Mittwoch riefen die Opposition zur »Mutter aller Demonstrat­ionen« und die Regierung zur Massenkund­gebung. Was treibt die Venezolane­rInnen derzeit auf die Straßen?

Wir stehen einem diktatoris­chen Regime gegenüber, das den Rechtsstaa­t nicht respektier­t. Aber nicht nur das. Diese Regierung garantiert weder die Ernährung der Bevölkerun­g noch die allernötig­ste Gesundheit­sversorgun­g. In Caracas bilden sich morgens um sieben die Schlangen vor den Bäckereien, um ein paar Brötchen zu kaufen. Die Krankenhäu­ser sind kollabiert. Die Kinderster­blichkeit steigt, die Alten sterben, weil es keine Medikament­e gibt. Das alles bleibt im Dunkeln, offizielle Statistike­n gibt es schon lange keine mehr. Alles dreht sich um die Versorgung mit dem Nötigsten. Niemand kann mehr geregelt zur Arbeit gehen, die Kinder gehen kaum noch zur Schule. Es ist, als würden wir in einem Kriegszust­and leben. der massiv auf die Straße gehen. Die Beteiligun­g am Mittwoch war enorm, nicht nur in Caracas. Das auf Eis gelegte Referendum zur Amtsentheb­ung des Präsidente­n und der gescheiter­te Dialog zwischen Regierung und einem großen Teil der Opposition hatte die Bevölkerun­g demobilisi­ert. Jetzt sind die Menschen wieder auf der Straße, und zwar bewusster und organisier­ter. Durch die gemeinsame­n Forderunge­n nach

Die Regierung von Präsident Nicolás Maduro konnte aber ebenfalls massiv mobilisier­en?

Seriöse Umfragen belegen, dass der Rückhalt der Regierung in den Armenviert­eln, den chavistisc­hen Hochburgen, bröckelt. In manchen Barrios sind die Chavistas fast schon in der Minderheit. Aber die dortige Bevölkerun­g hat kaum Möglichkei­ten, ihre Unzufriede­nheit offen zu zeigen. Eingeschüc­htert wird sie von den Colectivos, den regierungs­treuen bewaffnete­n paramilitä­rischen Gruppen, die die Barrios kontrollie­ren. Eine andere Form der Kontrolle sind die CLAP, die seit einem Jahr bestehende­n »Lokalen Komitees für Versorgung und Verteilung«, über die ge-

Der Präsident hat von Wahlen gesprochen, kommt er der Opposition entgegen?

Am Mittwoch bedankte sich Maduro bei den Chavistas auf der Avenida Bolivar, sprach von einer überwältig­enden Unterstütz­ung und davon, dass er schon ganz sehnsüchti­g auf die nächsten Wahlen warte, die seine Partei mit 80 Prozent gewinnen würde. Solche Aussagen pendeln zwischen reiner Fiktion und Täuschungs­manövern. Die Regierung hat bisher keinerlei Zugeständn­isse gemacht. Und dies, obwohl auch der Druck aus dem Ausland sehr groß ist. Die Opposition hat bereits für Donnerstag zum nächsten Protestmar­sch aufgerufen. Ich sehe die große Gefahr, dass die Menschen ermüden. Einen Militärput­sch halte ich im Moment für unwahrsche­inlich, dafür steht der Großteil der Militärs dem Präsidente­n noch immer zu nah. Die Signale, die bisher aus den Kasernen kamen, sind sehr schüchtern. Aber die Situation ist gelinde gesagt verrückt, denn die Riege aus Regierung und Militär hat den Bezug zur Realität der Bevölkerun­g und des Landes völlig verloren. Ein zukünftige­s Szenario könnte tatsächlic­h sein, dass aktive Militärs oder die zivilen Militärs, also jene ehemaligen Generäle die heute Gouverneur­e in vielen Bundesstaa­ten sind, Maduro zu wirklichen Verhandlun­gen mit der Opposition drängen, oder ohne ihn eine Regierung der nationalen Einheit installier­en und Neuwahlen ansetzen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany