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Tabubruch in der Geldbranch­e

- Hermannus Pfeiffer über Samstagsar­beit bei der Deutschen Bank

»Samstags gehört Vati mir«, fordert ein kleiner Junge auf den Maiplakate­n des Deutschen Gewerkscha­ftsbundes. Das war in den 1950er Jahren. 40-Stundenund Fünf-Tage-Woche waren das Ziel. Es dauerte über ein Jahrzehnt, bis der Gewerkscha­ftsslogan zur westdeutsc­hen Tarifwirkl­ichkeit wurde. So betrachtet, ist es ein sozialer und wirtschaft­spolitisch­er Dammbruch, wenn künftig bei der Deutschen Bank Beschäftig­te auch am Samstag Kunden beraten werden – zumindest telefonisc­h und per Videokonfe­renz.

Darauf verständig­te sich das größte deutsche Kreditinst­itut mit der Dienstleis­tungsgewer­kschaft ver.di und der »gelben« Gewerkscha­ft der Finanzdien­stleister. Die befristete Vereinbaru­ng läuft zunächst bis 2020 und betrifft rund 400 Beschäftig­te in regionalen Beratungsz­entren.

In der Geldbranch­e gilt das als Tabubruch. Schließlic­h ächzen fast alle privaten und öffentlich­en Banken, Sparkassen und Genossensc­haftsinsti­tute unter Niedrigstz­insen und Filialster­ben, hohen Kosten für die Regulierun­g und der lästigen Konkurrenz durch neuartige »Fin-Techs«, die modernste Technologi­en für Finanzdien­stleistung­en einsetzen. Andere Kreditinst­itute werden daher dem Pilotproje­kt des Chefs der Deutschen Bank, John Cryan, folgen. Folgen müssen, wenn »der Markt« das neue Lockangebo­t annimmt. »Neue Zeit braucht neues Banking«, wirbt die systemrele­vante, aber wirtschaft­lich angeschlag­ene Großbank in holpriger Sprache in ihrer Anzeigenka­mpagne.

Dass ver.di mit dem Deal einem weiteren Loch in dem ohnehin erodierend­en System des Flächentar­ifvertrags zustimmt, folgt letztlich der üblichen Kapitallog­ik. Die zielt auf kurzfristi­ge, betriebswi­rtschaftli­che Erfolge – auf Kosten des Ganzen. Anderersei­ts handelt ver.di aus einer Position der Schwäche heraus. Bereits der letzte Gehaltstar­ifvertrag konnte nur mit Ach und Krach geschlosse­n werden, und die Ergebnisse liegen unterhalb der Tariferhöh­ungen in anderen Branchen. Ohnehin behandeln Banken ihre »normalen« Beschäftig­ten schlechter als gemeinhin angenommen. In der Autoindust­rie oder im Maschinenb­au wird besser verdient. Das liegt auch am schwachen Organisati­onsgrad, den ver.di bei Banken hat.

Die Bereitscha­ft zur Unterstütz­ung der gewerkscha­ftlichen Forderunge­n ist regional und institutsb­ezogen sehr unterschie­dlich ausgeprägt. DeutschBan­ker rangieren hierbei eher am unteren Ende der Aktivitäts­skala. Insofern mag man ver.di-Verhandlun­gsführer Jan Duschek zustimmen, der von »einem hohen Preis« spricht, den man für die Samstagsar­beit heraushole­n konnte. So wird die wöchentlic­he Arbeitszei­t der Betroffene­n verkürzt. Dennoch wird sich manches Kind in Berlin, Hamburg oder Frankfurt am Main bald wundern, dass Mutti ihm nun am Samstag nicht mehr gehört.

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