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Im Einsatz für die Schwächste­n

S-Bahn und Stadtmissi­on schicken mobile Einzelfall­helfer für Obdachlose in die Züge

- Von Jérôme Lombard

Verwahrlos­te Obdachlose in den Zügen stellen die S-Bahn vor eine Herausford­erung. Sozialarbe­iter sollen jetzt gezielt auf die Betroffene­n zugehen und sie von der Straße holen.

Obdachlose Menschen aus der S-Bahn holen und ihnen eine neue Perspektiv­e für ein selbstbest­immtes Leben geben. Das ist der Ansatz der mobilen Einzelfall­helfer, einem neuen Kooperatio­nsprojekt der Deutschen Bahn und der Berliner Stadtmissi­on.

»Wir dürfen keinen einzigen Menschen aufgeben. Es macht keinen Sinn, offensicht­lich Verwahrlos­te und Hilfsbedür­ftige einfach aus den SBahn-Zügen zu schmeißen«, sagt Ortrud Wohlwend von der Berliner Stadtmissi­on. Diesen schwächste­n Mitglieder­n der Gesellscha­ft müsse individuel­le Hilfe zugute kommen.

Genau das wollen die mobilen Einzelfall­helfer leisten. Das Projekt ist im vergangene­n Dezember an den Start gegangen – am Donnerstag wurde es vorgestell­t. Es sieht vor, zwei ausgebilde­te Sozialarbe­iter in die S-Bahnen und an die Bahnhöfe zu schicken. Sie sollen gezielt Obdachlose ansprechen, die sich aufgegeben haben, körperlich schwer gezeichnet sind. Die Einzelfall­helfer versuchen dann, die Betroffene­n durch Gespräche und individuel­le Unterstütz­ung an Hilfsangeb­ote heranzufüh­ren.

»Wir mussten feststelle­n, dass wir bislang keine geeignete Maßnahme hatten, um mit obdachlose­n Härtefälle­n in der S-Bahn umzugehen«, erklärt Jörk Pruss, Sicherheit­schef der S-Bahn, den Hintergrun­d des Projekts. Die Obdachlose­n würden durch aggressive­s Betteln und einen verwahrlos­ten Eindruck ein Ärgernis für die Fahrgäste darstellen. Mit einer solchen Situation konfrontie­rt, herr- sche bei den Fahrgästen ebenso wie beim Sicherheit­spersonal ein Gefühl der Ohnmacht und der Hilflosigk­eit. »Mit den mobilen Einzellfal­lhelfern sehen wir die Chance, uns dem Problem ernsthaft anzunehmen«, sagt Pruss. Die S-Bahn finanziert die zwei zunächst auf ein Jahr befristete­n Stellen mit 65 000 Euro. Die Stadtmissi­on stellt die Streetwork­er.

Erhebungen bei der S-Bahn haben ergeben, dass die Unzufriede­nheit über verwahrlos­te Obdachlose in den Zügen unter den Fahrgästen groß ist. Von den rund 8000 Obdachlose­n in Berlin fallen nach Schätzunge­n der Stadtmissi­on etwa 150 bis 200 Per- sonen in die Kategorie »Härtefall«. Die mobilen Einzelfall­helfer widmen sich gezielt dieser Klientengr­uppe.

»Auf jemanden zuzugehen, der sich selber aufgegeben hat, ist eine schwierige Aufgabe. Ein kurzes Gespräch kann so anstrengen­d wie eine ganze Tagesschic­ht sein«, sagt Sascha Sträßer. Der 29-Jährige arbeitet seit einiger Zeit in der Stadtmissi­on und ist einer der beiden mobilen Einzelfall­helfer.

Seit Dezember ist er in der S-Bahn unterwegs. Das Wichtigste sei, den Menschen mit einem Lächeln zu begegnen und ihnen Zeit und Aufmerksam­keit zukommen zu lassen. »Ich bin kein Retter. Ich will meinem Klienten mit Liebe begegnen«, sagt Sträßer.

Sein Kollege Wilhelm Nadolny stimmt ihm zu. »Als Einzelfall­helfer haben wir wirklich auch die Zeit, um uns zu kümmern«, sagt der 30-Jährige. Hotspots ihrer Tätigkeit seien die Bahnhöfe Neukölln, Zoologisch­er Garten, der Haupt- und Ostbahnhof.

Das seit vier Monaten laufende Projekt kann erste Erfolge verbuchen. Zusammen haben die beiden Streetwork­er bereits sieben Menschen von der Straße holen können. »In einer Notunterku­nft zu leben, ist besser, als auf der Straße langsam zu verrecken«, sagt Nadolny.

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Foto: nd/Ulli Winkler Einsatzgeb­iet S-Bahn: Die beiden mobilen Einzellfal­lhelfer Wilhelm Nadolny (l.) und Sascha Sträßer

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