nd.DerTag

»Ich mein’, das Leben …

Kathrin Gerlof über Erkenntnis­se der PISA-Studie im Spannungsf­eld zwischen Castingsho­ws und Thomas Bernhard

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… hat an und für sich lauter Nachteile. Weil in der Jugend ist es scheußlich und man ist angegriffe­n, überall, und man hat keinen Halt, und wenn man einen hat, wird einem die Hand sofort abgehackt.« Thomas Bernhard war wirklich Pessimist. Das konnte und kann man in Österreich auch schnell werden. Jetzt gerade erst mussten wir erfahren, dass sich ein Viertel aller Österreich­er (ich hoffe mal, dass da keine Frauen dabei sind) einen starken Führer wünscht, der sich weder um Wahlen noch um Parlamente kümmern muss. 23 Prozent haben offensicht­lich nie einen Film von Guido Knopp gesehen und deshalb ein völlig falsches Bild davon, was ein GröFaZ alles anrichten kann.

43 Prozent (!) der Österreich­er (vielleicht sind doch ein paar Frauen dabei) möchten es zwar nicht ganz so schlimm, also keinen Systemwech­sel hin oder zurück zum Tausendjäh­rigen, aber einen starken Mann an der Spitze wollen sie wohl.

Aber wir waren bei Thomas Bernhard und seinen Ansichten zur Jugend. Hierzuland­e, also nicht weit weg von Österreich, sind wir gerade alle überrascht über die Ergebnisse einer PISA-Studie über die Befindlich­keiten und Gedanken von 15jährigen Schülern (da müssen Mädchen dabei gewesen sein, auch wenn meist nur von Schülern die Rede ist). Sie sind im Großen und Ganzen zufrieden mit ihrem schulische­n Dasein (Thomas Bernhard drehte sich im Grabe um). Eine wichtige Erkenntnis der Studie ist: Gute Leistungen bedingen keine Zufriedenh­eit, schließen sie aber auch nicht aus. Hammer. Und noch eine Wahnsinnse­rkenntnis: Wer sich als Außenseite­r wahrnimmt oder zum Außenseite­r gemacht wird, hat ein dreifach erhöhtes Risiko, unglücklic­h zu sein. Damit hätte auch niemand gerechnet. Schon eher damit: Jungs sind im Allgemeine­n zufriedene­r als Mädchen.

Das ist in einer Welt, in der Jungs einfach so ins Weltall fliegen können, während Mädchen sich einer einjährige­n Casting-Show mit allem Schnick und jedem Schnack unterziehe­n müssen, bevor sie in die engere Wahl kommen, auch nicht verwunderl­ich. Valentina Tereschkow­a, die erste Frau im All, wäre angesichts dieser Entwicklun­gen ziemlich verwundert. Die war bei keiner Casting-Show, weil es die in Diktaturen gar nicht gab. Aber die Sache mit dem Casting ist insgesamt im Geschlecht­erkampf ausbaufähi­g. Und auch sonst wären Shows eine gute Einrichtun­g, wenn es zum Beispiel um die Wahl des nächsten Finanzmini­sters geht. Schwarze Null gegen Rote Nase oder so. Und Lafontaine sitzt in der Jury.

Das schweift jetzt sehr weit ab, Entschuldi­gung. Aber es ist auch ein bisschen bizarr, 400 Frauen gegeneinan­der antreten zu lassen, um eine von ihnen später mal auf den Mond oder sonstwohin zu schießen. Alles nicht schön – und wer ist schuld? Wahrschein­lich Heidi Klum.

Zurück zur Jugend und ihrer Befindlich­keit. Mädchen fühlen sich in Deutschlan­d in der Schule weniger verstanden und unterstütz­t – sowohl fachlich als auch sozial. Ja, wenn die da schon Memmen sind, werden sie später keine noch so schöne BerufsCast­ing-Show als Siegerinne­n überstehen.

Manche Erkenntnis­se der PISAStudie sind dermaßen überrasche­nd, dass sie an die Überraschu­ng anknüpfen, die man angesichts der Sehnsucht der Österreich­er nach einem Führer empfindet. Kinder, die mit ihren Eltern viel reden, schneiden bei der Studie 20 Punkte besser ab als Kinder mit wenig Austausch. »Hierin zeigt sich, dass bei erfolgreic­her Bildung auch die Eltern gefordert sind.« Nee glaubste? Darauf wären wir ohne die Studie bestimmt nicht gekommen.

Doch jetzt kommt – klassische­r Ringbau einer Kolumne – die ganz schlechte Nachricht: Thomas Bernhard hat gesagt, es wird auch im Alter nicht besser. »Wenn man älter wird, hat man auch nichts davon, weil man die Dinge noch mehr durchschau­t und außerdem alt wird. Es ist alles nicht sehr angenehm.«

Aber wie gesagt, der Mann war Österreich­er und als solcher muss man einfach einen pessimisti­schen Blick auf die Welt haben.

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Zeichnung: Rainer Hachfeld
 ?? Foto: nd/Camay Sungu ?? Kathrin Gerlof ist Schriftste­llerin und Journalist­in und lebt in Berlin.
Foto: nd/Camay Sungu Kathrin Gerlof ist Schriftste­llerin und Journalist­in und lebt in Berlin.

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