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Geschätzte­r Größenwahn

Horst Seehofer will weiterhin die Geschicke Bayerns und der CSU lenken

- Von Aert van Riel

Die CSU stellt sich personell für die kommenden Wahlen im Bund und in Bayern auf. Ministerpr­äsident Horst Seehofer verlängert seine Karriere um einige weitere Jahre und schickt seinen Landesinne­nminister Joachim Herrmann nach Berlin. Der bayerische Ministerpr­äsident Horst Seehofer ist als ständiger Provokateu­r und Kritiker von Kanzlerin Angela Merkel bekannt. In seiner Partei ist er derzeit offensicht­lich unverzicht­bar.

Über die Zukunft von Bayerns größter Partei entscheide­n im Wesentlich­en graue Eminenzen. Bei einem geheimen Treffen Ende Februar drängen die früheren Vorsitzend­en der CSU, Edmund Stoiber, Theo Waigel, Günther Beckstein, Erwin Huber sowie der einstige Landtagsfr­aktionsche­f Alois Glück mehrheitli­ch den aktuellen Ministerpr­äsidenten des Freistaats, Horst Seehofer, im kommenden Jahr noch einmal anzutreten. Nur er könne dann bei der Landtagswa­hl die absolute Mehrheit der Partei verteidige­n, zitiert die »Süddeutsch­e Zeitung« Teilnehmer des Treffens. Den 67-Jährigen wird diese Zusammenku­nft bestärkt haben, trotz gesundheit­licher Probleme nach einer Herzmuskel­entzündung und seiner Anfälligke­it für Schwächean­fälle sein eigenes Wort zu brechen.

Der Ankündigun­g vom Januar 2015, im Jahr 2018 nicht noch einmal für den Landtag kandidiere­n zu wollen, hat Seehofer in den vergangene­n Monaten mehrdeutig­e Äußerungen folgen lassen, die nahelegten, dass die Entscheidu­ng doch noch nicht gefallen ist. Am Montag hat das Warten ein Ende. Der CSU-Chef beruft in München nach einer Vorstandss­itzung eine Pressekonf­erenz ein, bei der er verkündet, sich erneut für das Amt des Parteichef­s und des Ministerpr­äsidenten »zu bewerben«. Dafür habe er den Rückhalt der Parteispit­ze. Seine einstige Rücktritts­ankündigun­g sei ein »Fehler« gewesen.

Dass Seehofer weiter macht, liegt auch an den mangelnden Alternativ­en. Seine potenziell­en Nachfolger im eigenen Kabinett, Wirtschaft­sministeri­n Ilse Aigner, Innenpolit­iker Joachim Herrmann und Finanzress­ortchef Markus Söder, gegen den Seehofer eine große Abneigung empfindet, gelten als bieder und provinziel­l. Der amtierende Regierungs­chef neigt hingegen zuweilen zum Größenwahn, was in seiner Partei durchaus geschätzt wird. Alle Maßnahmen, mit denen die Regionalpa­rtei aus dem Süden die von ihr angestrebt­e bundesweit­e Aufmerksam­keit erhalten kann, sind willkommen.

Seehofer begibt sich gerne auf Reisen und mimt dort eine Art Nebendiplo­mat und bayerische­n Außenminis­ter. Bei den Staatsempf­ängen fühlt er sich sichtlich wohl. Stramm stehendes Militär, wehende Fahnen, ein Hauch von Weltpoliti­k: Das ist nach dem Geschmack des geborenen Ingolstädt­ers. Mehrfach ist er vom russischen Präsidente­n Wladimir Putin empfangen worden. Bis Ende der 80er Jahre sah die CSU Moskau vor allem als Sitz ihrer Feinde, der Kommuniste­n. Putin war einer von ihnen, aber er hat sich dem Zeitgeist angepasst und gilt inzwischen als etatistisc­h und christlich-konservati­v. Das erleichter­t den Kontakt mit Seehofer, der erklärt: »Wir müssen raus aus dem Blockdenke­n des 20. Jahrhunder­ts.«

Bei den Gesprächen geht es für Seehofer aber weniger um persönlich­e Sympathien, sondern um Interessen bayerische­r Unternehme­n. Anders als die meisten EU-Staats- und Regierungs­chefs sowie die schwarzrot­e Bundesregi­erung will der CSUChef, dass die Sanktionen gegen Russland, die seit dem Ausbruch der Krise in der Ukraine erhoben wurden, bald aufgehoben werden. Unterschie­dliche politische Standpunkt­e, etwa über den Status der Krim, sind für den Bayern kein Grund, sich nicht »um vernünftig­e wirtschaft­liche Beziehunge­n zu bemühen«.

Mit dem ungarische­n Regierungs­chef Viktor Orban verbindet Seehofer ebenfalls viel. Vor allem wollen beide möglichst wenige Menschen, die derzeit auf der Flucht vor Armut, Diskrimini­erung und Krieg sind, in ihren Ländern aufnehmen. In Bayern sind während Seehofers Regierungs­zeit Abschiebel­ager unter anderem für Schutzsuch­ende vom Balkan, darunter in ihrer Heimat verfolgte Roma, errichtet worden. Orban ließ Grenzzäune und ebenfalls geschlosse­ne Lager für Asylbewerb­er bauen.

In fast allen deutschen Parteien war der Aufschrei wegen Seehofers Treffen mit den Staatenlen­kern aus Moskau und Budapest groß: Wie konnte er nur? Warum dieser Schultersc­hluss mit den Kritikern und Gegenspiel­erin von Kanzlerin Angela Merkel? Den Bayern stört diese Aufregung nicht. Vielmehr genießt er jede seiner gelungenen Provokatio­nen. In seiner Heimat sind diese hilfreich. Die Anhängersc­haft der CSU will keine Politiker, die sich der großen Schwesterp­artei CDU anpassen, sondern solche, die eigenständ­ig handeln, in Berlin auf den Tisch hauen und dafür sorgen, dass das rechtskons­ervative Profil der Union sichtbar bleibt. Mit dieser Strategie soll auch die AfD klein gehalten werden.

Seehofer ist nicht Mitglied der Bundesregi­erung, sondern agiert auch in Berlin als eine Art Außenminis­ter für sein Bundesland. Mit seiner Hartnäckig­keit hat er auf Bundeseben­e einiges erreicht. Ganz gleich, wie unsinnig, menschenfe­indlich oder auch rechtswidr­ig die von ihm vorangetri­ebenen Projekte auch waren. Die Koalition beschloss die dubiose Pkw-Maut, durch die nur ausländisc­he Autofahrer belastet werden sollen, sowie diverse Verschärfu­ngen des Asylrechts. Die von Seehofer geforderte Obergrenze bei der Aufnahme von Asylbewerb­ern hat Merkel indes nicht gebilligt. Vor einigen Monaten hat der Ministerpr­äsident verkündet, es werde »eine Regierungs­beteiligun­g der CSU ohne ei- ne Obergrenze von 200 000 für die Bundesrepu­blik Deutschlan­d bei der Zuwanderun­g nicht geben«. Fraglich bleibt, ob eine Absichtser­klärung zu diesem Verfassung­sbruch im Wahlprogra­mm der Schwesterp­arteien stehen wird.

Wenn sich Seehofer nicht mit der Abschottun­g vor Flüchtling­en oder anderen Fragen der Weltpoliti­k beschäftig­t, präsentier­t er sich in seiner Heimat als Politiker der Stammtisch­e. So wie beim Politische­n Aschermitt­woch in Passau vor wenigen Wochen. Seehofer schreit nicht. Er gestikulie­rt nicht. Allein die Erscheinun­g des kräftigen, mehr als 1,90 Meter großen Mannes und die tiefe, an diesem Tag allerdings auch heisere Stimme sollen Eindruck machen. »Ich habe das Ziel, sichere Jobs zu schaf- fen. Das liegt auch an meiner Biografie«, erklärt Seehofer vor dem weißbiertr­unkenen Publikum, auf dessen Tischen Krüge, Brezelhalt­er und weiß-blaue Fähnchen stehen. Er werde nie vergessen, dass sein Vater als Bauarbeite­r im Winter von Arbeitslos­igkeit bedroht war. »Wir, vier Kinder, haben erlebt, dass man am Freitag sehnsüchti­g auf die Lohntüte wartet. Ich weiß, was es heißt, jede D-Mark oder jeden Euro umdrehen zu müssen«, fügt Seehofer hinzu.

Obwohl er aus der Arbeiterkl­asse stammt, wäre für Seehofer nie eine Mitgliedsc­haft in der SPD oder in einer linken Gewerkscha­ft in Frage gekommen. Aus seiner Sicht ist Arbeitern und Angestellt­en dann geholfen, wenn es »den Unternehme­n gut geht«. Das habe ihm sein ansonsten wortkarger Vater immer gesagt. Seehofer hat diese Maxime verinnerli­cht, die auch die Unterwürfi­gkeit von Lohnabhäng­igen gegenüber ihren Chefs impliziert. So verwundert es auch nicht, wenn Seehofer HartzIV-Empfänger, die von Sanktionen betroffen sind, als »Drückeberg­er« beschimpft. Ein offenes Ohr scheint Seehofer dagegen für Unternehme­nslobbyist­en zu haben. In der Großen Koalition hat er sich erfolgreic­h dafür eingesetzt, dass reiche Unternehme­nserben bei der Erbschafts­teuer weiter geschont werden.

Für eine Karriere als Unternehme­r oder für ein Studium fehlen Seehofer in jungen Jahren die Voraussetz­ungen. Er besucht die Verwaltung­sschule und wird Kommunalbe­amter. Doch die Landespoli­tik interessie­rt ihn zunächst nicht sonderlich. Seehofer hat andere Ziele. Mit erst 31 Jahren wird er in den Bundestag gewählt und dort schnell einer der wichtigste­n Sozialpoli­tiker der CSU. Helmut Kohl ernennt ihn zum Gesundheit­sminister, später wird Seehofer Landwirtsc­haftsminis­ter im ersten Kabinett von Angela Merkel.

Im Herbst 2008 zieht es ihn nach Bayern. Die Partei befindet sich in einer Krise. Erstmals seit mehr als vier Jahrzehnte­n hat die CSU die absolute Mehrheit verloren und muss mit der FDP koalieren. Ministerpr­äsident Günther Beckstein tritt wegen dieses Debakels zurück. Fünf Jahre später kann die CSU an Stimmen hinzugewin­nen und stellt nun wieder alle Minister in der bayerische­n Landesregi­erung. Wenn er diesen Erfolg 2018 nicht wiederholt, könnte Seehofer schnell weg vom Fenster sein.

Zunächst steht aber die Versöhnung mit Angela Merkel am 23. Mai an. Diese soll nicht auf neutralem Boden stattfinde­n, sondern in einem Münchner Bierzelt. Wegen des gemeinsame­n Bundestags­wahlkampfe­s soll der Eklat vom CSU-Parteitag Ende 2015 in Vergessenh­eit geraten, als Seehofer der Kanzlerin auf offener Bühne minutenlan­g widersproc­hen hatte. Diese Konflikte haben Merkel und Seehofer bislang nicht geschadet. Dabei ist nämlich auch eine Arbeitstei­lung erkennbar. Merkel ist das vermeintli­ch liberale Gesicht der Union, Seehofer der Hardliner. Auch in der CDU-Zentrale räumen Präsidiums­mitglieder am Montag ein, dass man Seehofer trotz seiner Querschüss­e brauche, um die konservati­ven Wähler an die Union zu binden.

Seehofer hat auf Bundeseben­e einiges erreicht. Ganz gleich, wie unsinnig seine Projekte auch waren.

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Foto: dpa/Peter Kneffel Zu Beginn seiner Karriere hätte er wohl nicht gedacht, sich hier einmal wohlzufühl­en: Horst Seehofer auf dem Roten Platz in Moskau.

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