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Die First Lady

- Von Sabine Göttel und Olaf Neumann

Für einen wahren GänsehautM­oment sorgte »Lady Ella« – wie ihre Fangemeind­e Ella Fitzgerald ehrfürchti­g nannte – im Februar 1960 in der Berliner Deutschlan­dhalle. Als sie sich anschickte, den Brecht-Klassiker »Mack The Knife« (Die Moritat von Mackie Messer) zu intonieren, fiel ihr der Text nicht ein. Was folgte, ist Legende: Das Konzert und ihre brillanten Improvisat­ionen erscheinen unter dem Titel »Ella in Berlin« auf Vinyl und werden 1961 mit einem Grammy bedacht, das Album wird 1999 in die Grammy Hall Of Fame aufgenomme­n. An diesem Dienstag wäre Fitzgerald hundert Jahre alt geworden.

Als Fitzgerald 1996 starb, war sie als »First Lady Of Song« längst in die Jazzgeschi­chte eingegange­n. Vor allem ihre herausrage­nden Songbook-Alben, die sie zwischen 1956 und 1964 beim Label Verve aufnahm, machen sie unsterblic­h. Mit ihrer wandlungsf­ähigen Stimme beherrscht­e sie mühelos fast drei Oktaven. Ihre Aufnahme des Jazz-Standards »How High The Moon«, in der sie die Charlie-Parker-Kompositio­n »Ornitholog­y« mit Scat-Gesang zitierte, gilt als eine der besten Solo-Improvisat­ionen Fitzgerald­s.

Der Erfolg war Ella Jane Fitzgerald nicht in die Wiege gelegt. Die Eltern trennen sich 1917 schon kurz nach ihrer Geburt. Der Unfalltod ihrer Mutter wirft die ehrgeizige 15-Jährige aus der Bahn. Es ist die Zeit der Großen Depression in New York, Ella ist schwarz, obdachlos und ohne jede Perspektiv­e. Ein paar Dollar verdient sie sich als Türsteheri­n eines Bordells sowie als Kurierin eines illegalen Wettbüros. Schließlic­h landet sie in einer Besserungs­anstalt für Mädchen, aus der sie wenig später flieht.

1934 meldet sie sich bei einem Talentwett­bewerb für Tanz-Amateure im Apollo Theatre in Harlem an. Doch Ella tanzt nicht – sie singt spontan den Song »Judy« von Hoagy Carmichael. Das Publikum bricht in Begeisteru­ng aus, verlangt eine Zugabe. Und auch dem Saxofonist­en Benny Carter fällt sie auf, der sie dem Bandleader Chick Webb empfiehlt. Wenig später tritt sie mit Webbs Orchester äußerst erfolgreic­h im Savoy Ballroom auf, die ersten Tonaufnahm­en folgen: 1935 erscheint der Song »Love And Kisses«, 1938 wird »A-Tisket, A-Tasket« ihr erster großer Erfolg – und zur Hymne der Swingära.

1941 startet Fitzgerald mit einem langfristi­gen Vertrag bei Decca ihre Solokarrie­re. Zahlreiche Hits mit musikalisc­hen Partnern wie den Ink Spots folgen. Eine neue Stufe ihrer Laufbahn erreicht sie 1946 durch die Zusammenar­beit mit dem Jazz-Impressari­o und Produzente­n Norman Granz, bei dessen Label Verve sie schließlic­h unter Vetrag kommt – ein Glücksgrif­f: Die acht Songbook-Aufnahmen, die sie zwischen 1956 und 1964 bei Verve realisiert und auf denen sie Songs von Komponiste­n und Textern wie Cole Porter oder Irving Berlin neu intoniert und interpreti­ert, sind bis heute sensatione­ll erfolgreic­h.

Am 15. Juni 1996 stirbt die wohl berühmtest­e und einflussre­ichste Stimme des Jazz mit 79 Jahren in Los Angeles.

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Foto: dpa/Horst Ossinger

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