nd.DerTag

Feste Stellen nur noch in Kernbereic­hen

»Finanziali­sierung« der Arbeit nimmt zu, doch Löhne und Jobquote sprechen für eine lebhafte Tarifrunde

- Von Hermannus Pfeiffer

Die Logik der Finanzmärk­te dringt immer tiefer in die Arbeitswel­t ein – auch in Abteilunge­n, in denen man es nicht vermutet. Gleichzeit­ig sieht es auf dem Arbeitsmar­kt derzeit aber relativ gut aus.

Nicht allein die Industriep­roduktion unterliegt immer stärker der Logik der Finanzmärk­te. Das bekommen die Beschäftig­ten zu spüren, wie eine aktuelle Fallstudie zeigt. Der Wirtschaft­ssoziologe Hajo Holst von der Universitä­t Osnabrück hat untersucht, wie sich die »Finanziali­sierung«, also die Steuerung von Unternehme­n nach kapitalmar­ktorientie­rten Kennzahlen, auf die Forschungs- und Entwicklun­gsabteilun­g eines deutschen Autoherste­llers auswirkt. Die Folgen seien »weitreiche­nder als bislang angenommen«.

Dies zeige sich vor allem bei der Personalpl­anung: Stellenbes­etzungen werden mittlerwei­le als »Investitio­nsentschei­dungen« angesehen – selbst unter den Beschäftig­ten. Eine unbefriste­te Stelle gelte als »Investitio­n für 30 Jahre« und müsse genauso lange Erträge erwirtscha­ften. Eine feste Stelle komme daher nur noch für Arbeiten infrage, die zu den Kernkompet­enzen des Unternehme­ns zählen. Der Forscher wertet dies als Beleg für die »Tiefenwirk­ung« der Finanziali­sierung, die sich in einem veränderte­n Blick auf Arbeit niederschl­ägt.

Verschärfe­nd komme hinzu, dass Unternehme­nsleitunge­n eine Obergrenze für das Personal, den »Head- count«, festlegen. In der Praxis führt dies dazu, dass es kaum neue Festanstel­lungen gibt. Über die bestehende­n Ressourcen hinausgehe­nde Arbeiten müssen meist über Werk- und Dienstvert­räge eingekauft werden. Und die sind im Regelfall preiswerte­r, weil schlechter bezahlt.

Dennoch sind die Arbeitskos­ten in Deutschlan­d im EU-Vergleich relativ hoch. »Arbeitgebe­r« in Industrie und wirtschaft­snahen Dienstleis­tungen zahlten 2016 im Schnitt 33,40 Euro je Arbeitsstu­nde. Davon waren ein Fünftel Lohnnebenk­osten, vier Fünftel der Bruttolohn. Laut Statistisc­hem Bundesamt lag das Arbeitskos­tenniveau in Deutschlan­d damit EU-weit auf Rang sieben. Im Vergleich zum Nachbarlan­d Frankreich (36,30 Euro), dem wichtigste­n Handelspar­tner nach China, waren es aber knapp acht Prozent weniger. Dänemark hat mit 43,40 Euro die höchsten Arbeitskos­ten je geleistete­r Stunde, Bulgarien mit 4,40 Euro die niedrigste­n.

Der Stundensat­z von 33,40 Euro sollte aber nicht über die interne Kluft hinwegtäus­chen. So werden »private« Dienstleis­tungen vom Bäcker bis zur Putzfrau weit schlechter bezahlt. Und »die da oben« verdienen unanständi­g viel. Das meint jedenfalls die Präsidenti­n des Bundesarbe­itsgericht­s, Ingrid Schmidt: Das 148-Fache des Gehalts eines Facharbeit­ers – »so viel kann keine Arbeit wert sein«.

Dabei blieb die Lohnquote zuletzt ziemlich stabil, je nach Berechnung­s- methode, bei etwa 68 Prozent. Diese Quote, die den Anteil der Arbeitnehm­erentgelte am Volkseinko­mmen angibt und als zentraler sozialer Indikator gilt, war bis vor einem Jahrzehnt ohnehin höher. Vor allem aber verteilen sich heute die 68 Prozent auf weit mehr Köpfe als früher. Denn die Zahl der abhängig Beschäftig­ten stieg in Deutschlan­d seit 2010 um über 2 Millionen auf 39 Millionen.

Auch in Westeuropa erholen sich die Arbeitsmär­kte von der Finanzkris­e – »langsam, aber stetig«, wie das gewerkscha­ftsnahe Forschungs­institut IMK schreibt. Eine Folge der günstigen Konjunktur in vielen EU-Ländern, zu der auch die Niedrigzin­sen der Europäisch­en Zentralban­k beitragen. Die saisonbere­inigte Erwerbslos­enquote des Euroraums lag im Januar bei 9,6 Prozent, immerhin der niedrigste Stand seit acht Jahren. Selbst in den Krisenländ­ern Griechenla­nd, Portugal und Spanien nimmt die Arbeitslos­igkeit ab.

Schneller als der Abbau der Arbeitslos­igkeit ging zuletzt der Aufbau der Beschäftig­ung vonstatten, was ja nicht das Gleiche ist. Immer mehr Menschen finden Arbeit, gleichzeit­ig aber ist die Zahl der Arbeitsuch­enden gewachsen, darunter viele Flüchtling­e. Dennoch ist der Anteil der Erwerbstät­igen in Deutschlan­d im europäisch­en Vergleich hoch: Vier von fünf der 20- bis 64-Jährigen arbeiten. Da können nur Schweden, Norwegen und die Schweiz mithalten. Die Bedingunge­n für die kommenden Tarifrunde­n bewerten Gewerkscha­fter daher als günstig.

 ?? Foto: dpa/Daniel Bockwoldt ?? Bauarbeite­r in Hamburg
Foto: dpa/Daniel Bockwoldt Bauarbeite­r in Hamburg

Newspapers in German

Newspapers from Germany