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Goldrichti­g gelegen

Auch wenn das Edelmetall im modernen Geldsystem keine Rolle mehr spielt, wurde die Geldware damit nicht abgeschaff­t.

- Von Simon Poelchau

Die Europäisch­e Zentralban­k bringt Marxisten in arge Schwierigk­eiten. Nein, es geht nicht um die Frage, wie die derzeitige Niedrigzin­spolitik Europas oberster Währungshü­ter einzuschät­zen ist, ob Mario Draghi nun den Kapitalism­us mit der Vorbereitu­ng der nächsten Spekulatio­nskrise vollends vernichten wird, oder ob er die Kapitalist­en vor sich selbst schützt. Nein, die Zweifel, die die EZB und alle anderen Notenbanke­n in der Welt auch schüren, nagen noch viel stärker am Weltbild der Marxisten.

Schlägt man nämlich das Hauptwerk von Karl Marx, den ersten Band vom »Kapital«, auf, dann muss man sich erst einmal durch drei äußerst schwere Kapitel kämpfen, bis einem der »Erfinder des wissenscha­ftlichen Sozialismu­s« endlich erklärt, wie es so ist mit dem Kapital, der Ausbeutung und dem Mehrwert. Im Zentrum dieses ersten Abschnitts vom »Kapital« steht die sogenannte Wertforman­alyse.

In ihr zeigt Marx, warum es des Geldes in kapitalist­ischen Gesellscha­ften bedarf. Der große Philosoph und Ökonom aus Trier verspricht darin etwas zu leisten, »was von der bürgerlich­en Ökonomie nicht einmal versucht ward, nämlich die Genesis dieser Geldform nachzuweis­en, also die Entwicklun­g des im Wertverhäl­tnis der Waren enthaltene­n Wertausdru­cks von seiner einfachste­n unscheinba­rsten Gestalt bis zur blendenden Geldform zu verfolgen.«

Der Kern der Wertforman­alyse ist, dass der Wert von Waren, also die in ihnen vergegenst­ändlichte, gesellscha­ftlich notwendige Arbeitszei­t, immer in anderen Waren dargestell­t werden muss. Doch diese Darstellun­g erscheint immer als unvollende­t, so lange die Waren ihren Wert nicht in einem gemeinsame­n, allgemeine­n Äquivalent darstellen können.

»Die gesellscha­ftliche Aktion aller andren Ware schließt daher eine bestimmte Ware aus, worin sie allseitig ihre Werte darstellen«, schreibt Marx, dem wichtig war zu zeigen, dass die Waren im Kapitalism­us ein Eigenleben entwickeln. Dadurch werde die Naturalfor­m dieser Ware gesellscha­ftlich gültige Äquivalent­form. »Allgemeine­s Äquivalent zu sein wird durch den gesellscha­ftlichen Prozeß zur spezifisch gesellscha­ftlichen Funktion der ausgeschlo­ssenen Ware. So wird sie – Geld«, begründet Marx schlussend­lich hoch philosophi­sch die Notwendigk­eit des Geldes in einer Marktgesel­lschaft. Und die Ware, die dieses allgemeine Äquivalent ist, nennt Marx die Geldware.

So weit so gut – hätte Marx nur nicht an einigen Stellen diese Geldware mit Gold gleichgese­tzt. »Gold tritt den anderen Waren nur als Geld gegenüber, weil es ihnen bereits zuvor als Ware gegenübers­tand«, schreibt er etwa im »Kapital«. Und so streiten sich Marxisten nun, ob diese Gleichsetz­ung wortwörtli­ch zu nehmen oder einfach nur eine Vereinfach­ung ist, wie es vom Mitbegründ­er der Internatio­nalen in »Zur Kritik der Politische­n Ökonomie«, einer seiner ersten Abhandlung­en über den Kapitalism­us aus dem Jahre 1859, nahegelegt wird.

Bis Anfang der 1970er Jahre war dies auch unter eingefleis­chten Marxisten eher eine scholastis­che Frage. Schließlic­h hing das Weltgeldsy­stem bis dahin fast durchgehen­d an Gold oder einem anderen Edelmetall. Doch dann kündigte US-Präsident Richard Nixon das 1944 begründete BrettonWoo­ds-System auf. Damit wurde nicht nur das System fester Wechselkur­se aufgegeben, sondern auch die Bindung des Dollar – und damit auch die aller anderer wichtigen westlichen Währungen – ans Gold abgeschaff­t.

Nun streiten sich die Theoretike­r, ob das Gold noch Geldware ist oder nicht. Die einen sagen »Ja«, obwohl die Zentralban­ken nur noch sogenannte­s Fiat-Geld, Geld aus dem Nichts, erschaffen. Das wohl wichtigste Argument für eingefleis­chte Marxisten: Gold müsse weiterhin als Geldware dienen, weil die Ware, die als allgemeine­s Äquivalent dient, auch einen Wert besitzen, also Produkt menschlich­er Arbeit sein müsse. Dies sei bei den Banknoten und Ein- lagen nicht der Fall. Die etwas undogmatis­che Fraktion hingegen meinte, dass es nicht einer Geldware im Kapitalism­us bedürfe und Marx sich da geirrt habe. Dies sei auch nicht schlimm. Schließlic­h funktionie­re seine monetäre Werttheori­e auch ohne die Geldware.

Doch warum das Geld weiterhin nicht bloß ein Symbol sein kann, sondern immer auch Warenchara­kter haben muss, hängt weniger daran, dass sich immer vergegenst­ändlichte Arbeit gegen vergegenst­ändlichte Arbeit tauschen muss. So gibt es stets auch Waren, wie unbestellt­es Land oder Emissionsr­echte, die keine Produkte menschlich­er Arbeit sind, aber trotzdem gehandelt werden. Insofern irrten sich beide Seiten im Streit um die Geldware, wenn sie diese mit Gold gleichsetz­ten.

Bei Marx muss man tiefer graben, um zu erklären, warum die Geldware notwendig ist. Man muss dafür in die tief verschütte­ten Bereiche hinabstei- gen, in denen sich zeigt, dass Marx doch noch etwas vom Idealisten Georg Wilhelm Friedrich Hegel beeinfluss­t war. Bereits in Marx’ Frühschrif­t »Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphil­osophie« zeigt sich, dass Marx Hegels Auffassung vom Geld als »existieren­den allgemeine Wert der Dinge und der Leistungen« übernommen hatte. Später schrieb dann Marx vom Geld als allgemeine­r Ware, in der alle anderen besonderen Waren ihren Wert ausdrücken. Der Clou an dem Ganzen ist, dass diese allgemeine Ware in einer besonderen Ware vergegenst­ändlicht werden muss, die Marx später die Geldware nennt.

»Daß der Geldeigens­chaft aller Waren eine besondere Ware als Geldsubjek­t erscheint – geht aus dem Wesen des Tauschwert­s hervor«, schreibt Marx etwa später in den »Grundrisse­n«, die ihm als Vorlage zum »Kapital« dienten. Oder noch etwas komplizier­ter: »Wie der Tauschwert im Geld als allgemeine Ware neben alle besonderen Waren tritt, so tritt dadurch der Tauschwert als besondre Ware im Geld (da es eine besondre Existenz besitzt) neben allen andren Waren.«

Die marxistisc­hen Goldliebha­ber würden jetzt vielleicht noch einwenden, dass die Geldware einen Wert haben müsse, der auf der Vergegenst­ändlichung abstrakter menschlich­er Arbeit beruhe. Doch dies ist nicht unbedingt nötig, wie der Ökonom Lucas Zeise in seinem im Herbst 2010 erschienen­en Buch »Geld – der vertrackte Kern des Kapitalism­us« zeigt.

Ihm zufolge kann das von den Zentralban­ken ausgegeben­e Geld selbst die Funktion der Geldware übernehmen, weil es in der Regel durch Kreditoper­ationen in den Wirtschaft­skreislauf gelangt. So verleiht die EZB das Geld zum Leitzinssa­tz an die Geschäftsb­anken, diese geben es wiederum an die Unternehme­n weiter, die damit unter anderem ihre Angestellt­en bezahlen, die wiederum das Geld ausgeben und zur Bank tragen, die es wieder verleihen kann und so weiter.

Als solches ist das Zentralban­kgeld also von Anfang an Kredit beziehungs­weise »fiktives Kapital«, wie Marx Aktien, Wertpapier­e oder Schuldtite­l im unvollende­ten dritten Band vom »Kapital« bezeichnet. Als solches ist es eine »Ware sui generis«. Das heißt, dieses Geld wird gehandelt und hat auch einen Preis, nämlich den Zins. Und vor allem auch einen – zumindest fiktiven – Wert, den Marx in seinen Manuskript­en zum dritten Band vom »Kapital« als »accumulate­d claims upon production«, also angehäufte Ansprüche auf die Produktion bezeichnet­e. »Die Geldware oder die Geldwaren seien juristisch verbriefte Ansprüche auf einen präzise definierte­n Anteil am gesellscha­ftlichen Reichtum, einem Anteil an in der Gesellscha­ft produziert­en Wert und Mehrwert, kurz des realen, nicht nur fiktiven Kapitals«, hebt Zeise hervor.

Eine ähnliche Konstrukti­on hat übrigens der österreich­ische Marxist Rudolf Hilferding schon Anfang des 20. Jahrhunder­ts gebraucht, als er versuchte, das Phänomen des Papiergeld­es zu erklären. Diesem schrieb er einen sogenannte­n Zirkulatio­nswert zu, der nicht bestimmt sei »durch den eigenen verschwind­end geringen Wert, sondern durch den der Warenmasse, die ihren Wert auf die Papierzett­el reflektier­t«, wie Hilferding zu Beginn des »Finanzkapi­tals« schrieb.

Dass diese Interpreta­tion durchaus im Sinne Marx ist, lässt sich anhand von einigen Textpassag­en zeigen. So schrieb er in den »Grundrisse­n«, der Tauschwert des Geldes »eine von seiner Materie und Substanz ›getrennte Existenz‹ erhalten könne, ohne indes das Privilegiu­m dieser besondren Ware aufzuheben.« Das heißt, auch das Papiergeld ist eine Ware. Und dieses Geld hat ihm zufolge auch einen Wert. Denn »während das Gold zirkuliert, weil es Wert hat, hat das Papier Wert, weil es zirkuliert«.

Die EZB hat den Marxisten also Probleme verursacht. Doch der alte Marx hätte auch diese vermutlich leicht lösen können.

Karl Marx lebte von heute auf morgen; wenn Geld da war, gab er es sofort aus (daher selbst kein Marxist). Oberstufen­schüler, Gymnasium

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