»Strahlende Helden«, vom »Führer« geliebt
Von der Leyens Aussagen zum Trotz: In der Bundeswehr herrscht weiterhin eine zweifelhafte Erinnerungskultur
In vielen deutschen Kasernen stehen Wehrmachtssoldaten als Namensgeber immer noch hoch im Kurs. Kritik daran gibt es oft, doch ernsthafte Anstrengungen zur Veränderung halten sich in Grenzen.
»Die Wehrmacht ist in keiner Form traditionsstiftend für die Bundeswehr.« Eine kühne Behauptung, die Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) anlässlich eines Besuchs in Illkirch von sich gab, wo der kürzlich wegen Anschlagsplänen festgenommene mutmaßliche Rechtsterrorist Franco A. stationiert war und wo auch Wehrmachtsdevotionalien gefunden wurden. Denn es haben zwar in den vergangenen Jahren einige nach Nazis und »Kriegshelden« benannte Kasernen einen neuen Namen erhalten. Doch es gibt nach wie vor Fälle, bei denen ein solcher Schritt aussteht.
Eigentlich wäre es ganz einfach: »Ein Unrechtsregime, wie das Dritte Reich, kann Tradition nicht begründen.« So steht es im aktuellen Traditionserlass der Bundeswehr aus dem Jahr 1982. Die Wirklichkeit sieht mancherorts freilich nach wie vor anders aus. Etwa im niedersächsischen Rotenburg (Wümme). Die dortige Kaserne ist immer noch nach Oberst Helmut Lent benannt. Am 22. Juni 1944, am dritten Jahrestag des An- griffs auf die Sowjetunion, gab der Nachtjägerpilot Durchhalteparolen aus: »Wir sind in der entscheidenden Phase dieses Krieges angelangt. Durch den Einsatz unserer neuen Waffen ist das Vertrauen nicht nur des deutschen Menschen in der Heimat, sondern auch des deutschen Soldaten an der Front zur Führung und vor allem auch zum Endsieg unerhört gewachsen. Ich bin gewiss, dass der Endsieg nicht mehr fern ist.«
Lent starb 1944 den »Fliegertod«. Die Gedenkrede des Oberbefehlshabers der Luftwaffe, Hermann Göring, abgedruckt im »Völkischen Beobachter«, glich einem Loblied: »Unser Lent war ein begeisterter Soldat, ein harter und zäher Kämpfer, ein strahlender Held. Er war aber nicht nur Soldat, nicht nur Kämpfer, er war auch ein leidenschaftlicher Anhänger unserer nationalsozialistischen Weltanschauung und auch hier Erzieher und Vorbild seiner Männer.« Zu Kriegsbeginn am 1. September 1939 hatte der Wehrmachtsflieger geäußert: »Jeder von uns weiß, dass heute ein schicksalschwerer Abschnitt Weltgeschichte beginnt, der nicht mit Worten und auf Papier, sondern mit Blut geschrieben wird.«
Zwar hatte der Inspekteur des Heeres schon 2013 angeregt, eine Umbenennung der Lent-Kaserne zu prüfen. Doch die Tilgung des Namens lässt auf sich warten. Allerdings findet sich in der aktuellen Standortbroschüre von Rotenburg kein Hinweis mehr auf den Kasernenpatron. In der Ausgabe von 1995 huldigte man ihm noch: »Oberst Helmut Lent, Kommodore des Nachtjagdgeschwaders 3, war mit 110 Abschüssen und ca. 300 Feindflügen Inhaber der höchsten Tapferkeitsauszeichnung, des Ritterkreuzes mit Eichenlaub, Schwertern und Brillanten. Er war als Nachtjäger das, was Oberst Mölders für die Tagjagd war, ein Leitbild für die gesamten Nachtjäger.« Im Februar 2017 wurde dann die Informationsseite zu Lent von der Homepage des Vereins Casinos Rotenburg entfernt. Zuvor waren dort Fotos mit Hakenkreuz zu sehen, die nicht abgeklebt waren.
Angeblich soll bald eine Entscheidung zum Kasernennamen fallen. Abgeordnete der Bundestagsfraktion der Linkspartei haben kürzlich in der Causa Lent eine kleine Anfrage ein- gereicht. Wobei in Rotenburg ohnehin ein völkischer Mief zu herrschen scheint: Der Altnazi-Unterstützungsverein Stille Hilfe für Kriegsgefangene und Internierte hielt dort im Januar seine Jahresversammlung ab. Früher hatte die Organisation ihr Büro in der Lent-Kaserne.
Eine weitere Altlast ist im ebenfalls niedersächsischen Delmenhorst zu finden. Die dortige Kaserne trägt nach wie vor den Namen des Russenpanzerknackers Dirk Lilienthal. Dabei spricht folgende Passage aus einem Gutachten des Militärgeschichtlichen Forschungsamts eigentlich Bände: »Sein militärischer Einsatz diente der gewaltsamen Durchsetzung der rasseideologischen Ziele des nationalsozialistischen Regimes, das vor allem auf dem ost- und südosteuropäischen Kriegsschauplatz den Massenmord an den europäischen Juden, die Vernichtung des ›jüdischen Bolschewismus‹, betrieb.«
Kommen wir nach Appen-Uetersen (Schleswig-Holstein), wo ein Militärareal nach Hauptmann Hans-Joachim Marseille (»Stern von Afrika«) benannt ist. Das Grundgesetz war längst in Kraft, als folgende Huldigung erschien: »Sein Jungengesicht trug edle Züge, aber seine Augen hatten den Glanz des Wissenden um Leben und Tod. Selten wird es einen solchen Piloten geben, einen Flieger, der vom Feinde so gefürchtet, von seinen Freunden so verehrt, von sei- nem Volk so geliebt wird.« Auch Adolf Hitler liebte Marseille. Er verlieh ihm das Ritterkreuz mit Eichenlaub, Schwertern und Brillanten.
Es gibt weitere Fälle fragwürdiger Traditionspflege in den deutschen Streitkräften. In Lebach im Saarland steht etwa die Graf-Haeseler-Kaserne. Patron ist der preußische Generalfeldmarschall Gottlieb von Haeseler (1836-1919). Der Krieg – für ihn eine Kraft der Erneuerung: »Es ist notwendig, dass unsere Zivilisation ihren Tempel auf Bergen von Leichen, auf einem Ozean von Tränen und auf dem Röcheln von unzähligen Sterbenden errichten wird.«
Einer, der seit Jahren die Traditionspflege der Bundeswehr anprangert, ist Jakob Knab, Sprecher der »Initiative gegen falsche Glorie«. Anlässlich der Äußerungen der Verteidigungsministerin zur Wehrmacht verweist der pensionierte Studiendirektor unter anderem auf die Admiral-Johannesson-Büste. Sie ist in der Aula der Marineschule Mürwik (Schleswig Holstein) ausgestellt. Für Knab ein Unding: »Noch am 21. April 1945 bestätigte Johannessen die Todesurteile gegen Angehörige der ›Widerstandsgruppe Helgoland‹; diese Urteile wurden am gleichen Tag in Cuxhaven-Sahlenburg vollstreckt.« Der »Frankfurter Rundschau« sagte Knab: »Dieser Saustall, in dem die Wehrmacht glorifiziert wird, muss endlich ausgemistet werden.«