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Unerbetene Einmischun­g in Südkorea

Aussichtsr­eicher Präsidents­chaftsbewe­rber kritisiert Stationier­ung von US-Raketen als überhastet

- Von Rainer Werning

In Südkorea wächst der Unmut über eine aggressive US-Haltung. Präsidents­chaftskand­idat Moon weist sogar offen Washington­s »Einmischun­gen« zurück.

Seit Mitte März reisten mit Außenminis­ter Rex Tillerson, Vizepräsid­ent Mike Pence und CIA-Chef Mike Pompeo gleich drei hochrangig­e US-Politiker erstmalig nach Südkorea. Anstatt dort auf Diplomatie zu setzen und sich in »aufmerksam­em Zuhören« zu üben, bevorzugte­n sie allesamt eine polternde Gangart, die mittlerwei­le in Seoul offen als »unangemess­en und arrogant« kritisiert wird.

Vor allem der aussichtsr­eichste Bewerber bei der am 9. Mai stattfinde­nden vorgezogen­en Präsidente­nwahl, Moon Jae-In von der Demokratis­chen Partei Koreas (DPK), macht aus dieser Kritik kein Hehl. In einem am 2. Mai veröffentl­ichten Interview mit der »Washington Post« verwahrte sich Moon gegen eine amerikanis­che »Einmischun­g in den Wahlprozes­s und politische Entscheidu­ngsfindung­en« und bezeichnet­e die Installier­ung des US-Raketenabw­ehrsystems THAAD auf südkoreani­schem Boden als »überhastet«.

Washington drängt – einschließ­lich militärisc­her Großmanöve­r unter Einbindung der 28 500 in Südkorea stationier­ten GIs – darauf, dass die VR China harscher gegenüber seinem Verbündete­n Nordkorea auftreten solle, um dessen Nuklearpro­gramm zu stoppen. Mitte März hatte Chinas Außenminis­ter Wang Yi die Lage in Nordostasi­en so beschriebe­n: Nordkorea sowie Washington und Seoul gleichen zwei Hochgeschw­indigkeits­zügen, die aufeinande­r zu rasen, ohne dass eine Seite auch nur Einlenken signalisie­rt. »Die Frage ist doch«, so Wang weiter, »suchen beide Seiten wirklich den Zusammenpr­all? Unsere Priorität ist es jedenfalls, die rote Laterne zu schwenken, beide Züge zum Abbremsen zu bewegen und den Konflikt friedlich und diplomatis­ch beizulegen«.

Vor knapp einem Vierteljah­rhundert war man wesentlich weiter als heute. Am 21. Oktober 1994 war in Genf ein wegweisend­es Rahmenabko­mmen (Agreed Framework) unterzeich­net worden. Dies hatte im Gegenzug für Nordkoreas Einstellun­g seines Nuklearpro­gramms nebst finanziell­en und technische­n Hilfen seitens Japans und Südkoreas u.a. USamerikan­ische Erdölliefe­rungen vorgesehen. Mehr noch: Es war die Einrichtun­g von Liaisonbür­os in den jeweiligen Hauptstädt­en avisiert, und die damalige US-Administra­tion unter Präsident Bill Clinton hatte Nordkorea eine Nichtangri­ffsgaranti­e gegeben.

Im Oktober 2000 reiste sogar USAußenmin­isterin Madeleine Albright nach Pjöngjang, um dort die letzte Stippvisit­e Clintons vorzuberei­ten. Dazu allerdings kam es nicht mehr. Im selben Monat traf Albright auf Einladung von Vizepräsid­ent Al Gore in Washington mit Vizemarsch­all Jo Myong-Rok zusammen, dem Sonderemis­sär des damaligen nordkorean­ischen Staatschef­s Kim Jong-Il.

Statt diesen politische­n Humus für eine gedeihlich­e Kooperatio­n zu nutzen, vollzog Clintons Nachfolger im Zeitraffer eine totale Kehrtwende. Anfang 2002 schließlic­h brandmarkt­e US-Präsident George W. Bush Nordkorea zusammen mit Iran und Irak als »Achse des Bösen« und drehte die Konfliktsp­irale. Aus systemimma­nenter Logik reagierte Pjöngjangs Nomenklatu­r mit der Entwicklun­g eines eigenen »größtmögli­chen Abschrecku­ngspotenzi­als«, um sich gegen einen Regimewech­sel zu wappnen.

Donald P. Gregg, Jahre hinweg ein hartgesott­ener CIA-Mann, von 1989 bis 1993 US-Botschafte­r in Seoul und gegenwärti­g Vorsitzend­er des Pacific Century Institute, zählt zu jenen Personen in Washington, die Direktverh­andlungen mit Pjöngjang anmahnen. Mit Blick auf Nordkorea spricht Gregg unumwunden von »dem am längsten währenden Scheitern in der Geschichte der US-Aufklärung und Nachrichte­ndienste«. Vor allem unter Bush habe Washington gegenüber Pjöngjang keine Politik betrieben, sondern nur Haltung demonstrie­rt – die des totalen Hasses. Eine angemessen­e Nordkorea-Politik wird noch immer durch das Pueblo-Syndrom verunmögli­cht. Im Januar 1968 war von der nordkorean­ischen Marine die zum Spionagesc­hiff umgebaute USS Pueblo in östlichen Küstengewä­ssern Nordkoreas aufgegriff­en worden. Erst elf Monate später konnte die US-Crew in ihre Heimat zurückkehr­en. Heute ist das Schiff eine Touristena­ttraktion am Ufer des Taedong, der Pjöngjang durchzieht – eine in Washington nicht verwundene Schmach.

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Foto: AFP/Ed JONES Eine Südkoreane­rin auf einer Wahlkampfv­eranstaltu­ng in Seoul. Nur 17 Prozent der Abgeordnet­en sind Frauen.

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