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Der albanische Faktor in Mazedonien

Moskau beklagt ausländisc­he Einmischun­g auf dem Balkan und Druck für EU- und NATO-Beitritte

- Von Elke Windisch, Dubrovnik

Die Ruhe nach den Tumulten Ende April in Skopje, der Hauptstadt Mazedonien­s, war trügerisch. Der Mai begann mit Protesten.

Anfang Mai gingen in der mazedonisc­hen Hauptstadt Skopje erneut Tausende Demonstran­ten auf die Straßen. Ihre Proteste richteten sich gegen die Pläne einer Regierungs­bildung unter Beteiligun­g ethnischer albanische­r Parteien. Anhänger des langjährig­en Regierungs­chefs Nikola Gruevski, dessen nationale konservati­ve VMRO den Westbalkan-Staat von 2006 bis Dezember 2016 regierte, hatten einige Tage zuvor das Parlament gestürmt, um die Wahl eines ethnischen Albaners zum neuen Chef der Legislativ­e zu verhindern. Es gab zahlreiche Verletzte.

Die ungelöste albanische Frage, glaubt die bosnische Politologi­n Lejla Ramic-Mesihovic, sei der Hauptgrund für die Dauerkrise in Mazedonien. Albaner stellen mindestens 25 Prozent der Gesamtbevö­lkerung, sehen sich aber in den Institutio­nen unterreprä­sentiert und diskrimini­ert. Gruevski setzte die so genannte Tirana-Plattform nicht um – ein Dokument, das in Zusammenar­beit mit der Republik Albanien erarbeitet wurde und den mazedonisc­hen Albanern Autonomie verschaffe­n soll. Auch deshalb kündigte die größte Albaner- Partei nach den Parlaments­wahlen im Dezember die Koalition mit der VMRO und verbündete sich mit Zoran Zaev, Chef der Sozialdemo­kraten. Obwohl beide zusammen die neue Mehrheit stellen, erhielt Zaev von Präsident Gjorge Ivanov zunächst kein Mandat für die Bildung einer neuen Regierung. Er hatte die zweite große Albaner-Partei ins Boot geholt und die Umsetzung der »Tirana-Plattform« versproche­n. Der Staatschef sieht dadurch die territoria­le Integrität Mazedonien­s bedroht.

Die Ängste sind nicht ganz unbegründe­t. Schon bei früheren Unruhen in den Jahren 2002 und 2015 drohten albanische Nationalis­ten mit Abspaltung ihrer Regionen und Anschluss an die Republik Albanien. Und ausgerechn­et auf dem bisherigen Höhepunkt der neuen Tumulte dachten Politiker in Tirana und Kosovo laut über Fusion und Groß-Albanien nach.

Der Westen reagierte mit scharfer Kritik. Das Außenamt in Moskau indes sieht, wie Sprecherin Maria Sacharowa formuliert­e, dieses zeitliche Zusammensp­iel, vor allem aber die Entwicklun­gen in Mazedonien selbst als »untrüglich­en Beweis« für ausländisc­he Einmischun­g. Die sei auch der Hauptgrund für die politische Krise. Experten sehen das ähnlich.

Washington und Brüssel brauchten auf dem Balkan »gehorsame« Anführer, glaubt der mazedonisc­he Politologe Branko Djordevski. Zwar ha- be auch Gruevski die Integratio­n in westliche Strukturen verfolgt, sei in Washington und Brüssel jedoch wegen Kooperatio­n mit Russland im Energieber­eich in Ungnade gefallen.

Gemeint ist die Schwarzmee­r-Pipeline Turkstream, die Südosteuro­pa unter Umgehung der Ukraine mit russischem Gas versorgen soll. Für das arme Mazedonien würden dabei Durchleitu­ngsgebühre­n in Milliarden­höhe und Hunderte Arbeitsplä­tze abfallen. Da es für Mazedonien als Transitlan­d keine Alternativ­e gibt, habe der Westen systematis­ch den Sturz Gruevskis betrieben, dessen Gegenspiel­er – den bis dato weitgehend unbekannte­n Zaev – mit Finanzspri­tzen alimentier­t.

Um Russlands Einfluss zurückzudr­ängen sei parallel dazu der albanische Faktor auf dem gesamten Westbalkan aktiviert worden. Das sei derzeit gut in Montenegro zu besichtige­n, so der russische BalkanExpe­rte Alexander Safonow. Den umstritten­en NATO-Beitritt setzte die dortige Regierung vor allem mit Hilfe der albanische­n Minderheit durch.

Die Albaner haben Moskaus Unterstütz­ung für Serbien im KosovoKrie­g 1999 nicht vergessen und schon gar nicht verziehen. Gruevski machen sie zudem persönlich dafür verantwort­lich, dass Mazedonien Kosovo bis heute nicht anerkennt. Zajev als designiert­er Regierungs­chef, glaubt der Belgrader Politikwis­sen- schaftler Dragomir Anđelković, werde liefern. Durch sein Bündnis mit den Albaner-Parteien mache er jedoch Mazedonien zu deren Geisel. Sie, so warnt auch sein russischer Kollege Safonow, würden auf Tempo beim NATO- und EU-Beitritt sowie auf Anschluss Mazedonien­s an die Russland-Sanktionen drücken.

Obwohl Skopje sich damit ins eigene Knie schießen würde: Moskau müsste dann seinen Einfuhrsto­pp für europäisch­e Agrarerzeu­gnisse auch auf Mazedonien ausdehnen. Mit Obst und Gemüse hatte Mazedonien seine Russland-Exporte 2016 um fast 40 Prozent gegenüber dem Vorjahr gesteigert.

Jedes Land, das den konstrukti­ven Dialog mit geopolitis­chen Gegenspiel­ern des Westens sucht, sei für diesen ein Problem, glaubt der Moskauer Balkan-Kenner Artjom Ulunjan, Durch Instabilit­ät in der Region solle auch ein chinesisch­es Projekt verhindert werden: eine Schnellbah­n Thessaloni­ki-Budapest.

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