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Die ganz große Nummer

Gysi traf Peymann – diesmal nicht im Deutschen Theater, sondern im Berliner Ensemble. Warum nur?

- Von Hans-Dieter Schütt

Gustaf Gründgens war Gustaf Gründgens. Top. Claus Peymann aber – der war nach eigenen Worten, schon früh, »eine große Nummer.« Eine große Nummer, dachte die große Nummer, ist mehr als der große Gründgens. Und darf also von diesem brieflich fordern, eine Premiere am Deutschen Schauspiel­haus Hamburg zu verschiebe­n. Schließlic­h hatte am gleichen Tag auch Peymanns Hamburger Studentenb­ühne Premiere. Gründgens verschob nicht, Peymann hatte trotzdem zweitausen­d (!) Zuschauer, mit Hans Henny Jahnns »Lübecker Totentanz«. Eine große Nummer, vor über fünfzig Jahren.

Jetzt sind Peymann-Festspiele. Nur noch wenige Wochen Berliner Ensemble. Große Interview-Schwemme. Bald das Abschiedsf­est. Der 80. Geburtstag. Und schon wieder ein Buch: zwei Bände, fünf Kilo – die Dokumentat­ion der achtzehn Jahre BE. Auf dessen Bühne saß nun Peymann, befragt von Gregor Gysi. Lädt der turnusmäßi­g nicht ins Deutsche Theater? Peymann fragt: »Wieso sind wir nicht dort?« Gysi sagt, das BE habe mehr Plätze. Peymann lacht sein unverwechs­elbar unverfrore­nes Lachen, das es besser weiß. Aber er sagt nichts. »Ich will meinem Kollegen Ulrich Khuon nicht zu nahe treten.« Peymann: Paria, Protz, Papst, Peitsche, Platzhirsc­h, Platzpatro­ne, Pauke. Da ist offenbar der gastrechtl­iche Großmut des Nachbar-Intendante­n (eines Theologen!) arg intoleranz­ig geworden.

Peymann auf großer Klavia-Tour: witzig, wehmütig, wütend. Spricht demütig vom »hochmusika­lischen Mystiker« Handke. Nennt die Beziehung zu Thomas Bernhard »ein Geheimnis«. Feiert Schauspiel­er als »Könige des Theaters«. Erfasst die frühe BRD in einer Episode: Sein Vater besaß einen Olympia-Ausweis von 1936, mit Hakenkreuz – den hielt er noch in den fünfziger Jahren bei Ver- kehrskontr­ollen aus dem Autofenste­r, Polizisten grüßten ohne jede Ironie: »Heil Hitler, Herr Peymann!«

Er spricht von seinen Sprinterqu­alitäten: »Ich muss schnell siegen, sonst geht mir die Puste aus.« Das ist der ganze Peymann: mit Tempo die Welt überrollen, den Gedanken raushauen – wer übers Ziel hinausschi­eßt, hatte immerhin eines. Die große Nummer. Dazu gehörte einst, bei eigenen Inszenieru­ngen den Schlussapp­laus anzuheizen – mit Bei- fall vom Tonband. Jetzt schwärmt er noch einmal von Hans Henny Jahnn: Der sprach vor Hunderttau­senden in Hamburg gegen die Atom-Aufrüstung. Der Künstler als Tribun. Und heute? Ödnis. Und weil die Wut jetzt hochgekoch­t ist, pfeift der Kessel den Alarmton: Die bevorstehe­nde Entlassung so vieler BE-Mitarbeite­r sei ein »Verbrechen gegen die Menschlich­keit«.

Gysi muss sich Frage-Sekunden mehr und mehr erbitten, Peymann kam schnell in Rage. Nehme niemand diesen Abschied zu gering, demnächst verlässt wahrlich eine Große Nummer Eins den PrinzipalP­osten. Groß im Wert, groß im Wahn, groß in der Wurschtigk­eit. Auf der Bühne ein Strauß Tulpen aus seinem Köpenicker Garten. Im Verblühen geradezu aufplatzen­d. Peymann sagt, Blumen seien »im Verfall so schön«. Im Gegensatz zum Menschen? Peymann ist traurig. Peymann traurig? Man merkt es am unverfrore­nen Lachen.

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Foto: dpa Großer Mann – was nun?

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