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Angst vor dem Abstieg

Dem Hamburger SV droht die dritte Relegation in vier Jahren

- Von Frank Hellmann, Hamburg

Sogar nach dem 0:0 gegen Mainz bleibt die sportliche Führung des Hamburger SV optimistis­ch. Dabei geht es für den Traditions­verein mal wieder um die Relegation.

Christian Mathenia ist ein Torhüter, der seine Arbeitskle­idung seinen Bedürfniss­en angepasst hat. Beim Trikot sind die Ärmel auf Höhe der Oberarme abgeschnit­ten. Macht alles ein bisschen luftiger. An den Handgelenk­e trägt der Schlussman­n des Hamburger SV dicke Tapeverbän­de. Gibt mehr Schutz. Und dann ist da noch ein Armbändche­n, das der gebürtige Mainzer aus seiner Zeit beim SV Darmstadt 98 mitgebrach­t hat. »Du musst kämpfen« steht in weißen Großbuchst­aben auf dem blauen Plastiktei­l, das einst vor einem entscheide­nden Relegation­sspiel in Bielefeld verteilt wurde, um an das Schicksal des an Krebs erkrankten und inzwischen verstorben­en Jonathan Heimes zu erinnern.

Mathenia, prägende Gestalt der Darmstädte­r Lilien beim Durchmarsc­h von der dritten bis in die erste Liga, mag diesen Glücksbrin­ger nicht missen. Weil es den 25-Jährigen daran erinnert, dass es Schlimmere­s gibt als den Abstieg aus der Fußballbun­desliga. Vielleicht also kein Zufall, dass Mathenia bei der Nullnummer gegen seinen Ausbildung­sverein FSV Mainz 05 der einzige HSV-Spieler war, der nicht unter der Erwartungs­last zusammenbr­ach. Der tadellose Torwart rettete einen Punkt. Und damit war der HSV noch gut bedient.

Nun ist die Situation wieder so angespannt, dass die Verantwort­lichen kaum erstligare­ife Leistungen gnadenlos schönen. Sportdirek­tor Jens Todt verbreitet­e in mehreren Interviews und den vereinseig­enen Social-Media-Kanälen Einschätzu­ngen, die an Realitätsv­erlust grenzten. »Die Leistung war in Ordnung, die Leistungsb­ereitschaf­t total in Ordnung.« Er habe einen »großen Schritt nach vorne« gesehen. In Wahrheit trat ein Team verängstig­t auf der Stelle, um nicht den in den Abgrund zu stürzen.

Im Studio Hamburg beim »NDRSportcl­ub« ertönte am Sonntagabe­nd schallende­s Gelächter, als Todts Statements eingeblend­et wurden. Die herbeigere­dete Zuversicht erwächst allenfalls aus der kämpferisc­hen Haltung, aber wenn im Auswärtssp­iel auf Schalke und dann im Heimspiel gegen Wolfsburg etwas herausspri­ngt, dann wohl allein mit der Hilfe gegnerisch­er Schwäche.

Wie schief die Personalpl­anungen auch diese Saison gelaufen sind, verdeutlic­hen die Details des 32. Spieltags: Douglas Santos nicht im Kader, Walace nicht eingesetzt – zwei brasiliani­sche Olympiasie­ger, zusammen 17 Millionen Euro Ablöse teuer, spielen in der entscheide­nden Phase ebenso wenig ein Rolle wie der einstige Torgarant Pierre-Michel Lasogga. Stattdesse­n kommen zwei Nobodys zum Zuge: Vasilije Janjicic, ein Schweizer bei seinem ersten Startelfei­nsatz und Bakery Jatta, ein Gambier beim vierten Kurzeinsat­z. Zwei 18Jährige sollen richten, was gestandene Profis nicht hinbekomme­n.

Markus Gisdol flüchtete sich erneut im Erklärungs­versuch, dass der Kopf die Beine lähmt. Mit »normalen Maßstäben« seien seine Spieler nicht mehr zu bemessen, befand der HSVTrainer. »Das sind keine Roboter, sondern junge Burschen. Normalster­bliche würden sich beim Laufen über den Platz die Beine brechen.« Damit stellte sich der 47-Jährige zwar ehrenwert vor die verunsiche­rte Truppe, bemüh- te aber ein Alibi, das vortreffli­ch von der spielerisc­hen Schwäche ablenkte.

Natürlich ist ein Neuanfang in der zweiten Liga aus wirtschaft­lichen Gründen für einen mit solchen Verbindlic­hkeiten belasteten Traditions­verein keine perfekte Lösung, aber die Selbstrein­igungsproz­esse, die beispielsw­eise der VfB Stuttgart nach dem Abstieg angestoßen hat, könnten als Blaupause für den Hamburger SV dienen. Und dann wäre die zweite Liga eben doch die Chance für nachhaltig­e Veränderun­gen.

Unabhängig wie die Saison nun ausgeht: Vorstandsc­hef Heribert Bruchhagen wird um den nächsten Umbruch ob des grandios überschätz­ten wie überbezahl­ten Lizenzspie­lerkaders gar nicht umhin kommen. Es braucht mehr von unerschroc­kenen Typen wie Tormann Mathenia, der für das HSV-Anforderun­gsprofil wie gemacht scheint. »Wir werden bis zur allerletzt­en Sekunde kämpfen, um den HSV in der Liga zu halten«, sagt auch dessen Stellvertr­eter René Adler. Notfalls eben in der Relegation. Nur geht das immer gut? Dreimal, so lautet ein norddeutsc­hes Sprichwort, ist nicht Hamburger, sondern Bremer Recht.

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Foto: dpa/Carmen Jaspersen Gegen Mainz schafften die Hamburger um Lewis Holtby (links) nur ein 0:0.

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