Deutsche Journalistin verhaftet
Türkische Behörden stecken Mesale Tolu unter dem Vorwand der Terrorpropaganda in Untersuchungshaft / Akten werden unter Verschluss gehalten
Die Journalistin Mesale Tolu arbeitete in Istanbul für einen Radiosender und einer Nachrichtenagentur. Der Besuch einer Beerdigung zweier getöteter Kommunistinnen wurde ihr zum Verhängnis.
Erneut wurde in der Türkei eine kritische Journalistin unter dem Vorwand der Terrorpropaganda verhaf- tet. In der Nacht zum 30. April drangen Spezialeinheiten der Antiterrorabteilung der Istanbuler Polizei in die Wohnung der deutschen Journalistin Mesale Tolu ein, die sich zu diesem Zeitpunkt allein mit ihrem zweieinhalbjährigen Sohn in der Wohnung aufhielt. Die mit Sturmhauben vermummte und mit Sturmgewehren im Anschlag ausgestattete Spezialeinheit drang nachts um 4.30 Uhr gewaltsam in die Wohnung ein und verwüstete die Räume.
Mesale Tolu wurde daraufhin unter dem Vorwand der Verbreitung von »Propaganda für eine terroristischen Organisation« sowie der »Mitgliedschaft einer terroristischen Vereinigung« festgenommen. Vom 30. April bis zum 6. Mai befand sich die Journalistin anschließend in Polizeigewahrsam der Istanbuler Antiterrorabteilung. Am 6. Mai wurde sie dem Haftrichter vorgeführt und befindet sich seitdem bis auf Weiteres in Untersuchungshaft.
Weder Mesale Tolu noch ihr Anwalt wissen, was ihr genau vorgeworfen wird. Da die Unterlagen zu diesem Fall vom Untersuchungsgericht als geheim eingestuft wurden, haben die Angeklagte und ihr Anwalt keine Akteneinsicht. Bei der Anordnung der Untersuchungshaft berief sich das Gericht lediglich auf Tolus Teilnahme an einer Beerdigung von zwei Kommunistinnen, die von der Polizei in Istanbul erschossen wurden, sowie ihre Teilnahme an einer Gedenkveranstaltung für die im Kampf gegen die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) getötete Deutsche Ivana Hoffmann.
Der Vorwurf der Terrorpropaganda ist in der Türkei mittlerweile ein häufiger Vorwand, um sich kritischer Journalisten zu entledigen. Neben dem deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel, dessen Verhaftung im Februar wegen angeblicher Terrorpropaganda und Volksverhetzung international Empörung auslöste, sitzen in der Türkei mehr als 200 weitere Journalisten wegen ähnlicher Vorwürfe im Gefängnis.
Unter ihnen auch Tolus Ehemann Suat Corlu, der sich seit seiner Verhaftung am 5. April auch in Untersuchungshaft befindet. Da beide Elternteile in Haft sind, muss der zwei-
Weder Mesale Tolu noch ihr Anwalt wissen, was ihr vorgeworfen wird. Da die Unterlagen als geheim eingestuft wurden, erhalten sie keine Akteneinsicht.
einhalbjährige Sohn von Verwandten versorgt werden.
Mesale Tolu ist in Baden-Württemberg geboren und aufgewachsen, wo sie nach ihrem Studium in Frankfurt am Main ihren Lebensmittelpunkt hatte. 2007 erhielt sie die deutsche Staatsbürgerschaft, woraufhin sie ihre türkische Staatsbürgerschaft ablegte. Nach der Geburt ihres Sohnes im Jahr 2014 zog sie gemeinsam mit ihrem Mann nach Istanbul, wo sie für den regionalen Radiosender »Özgür Radyo« arbeitete. Nach dessen Schließung durch ein Dekret von Staatspräsident Erdogan arbeitete sie bis zu ihrer Inhaftierung für die Nachrichtenagentur »Etkin Haber Ajansı«.