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Österreich steht vor Neuwahlen

Rücktritt des Vizekanzle­rs Reinhold Mitterlehn­er bringt Regierungs­koalition ins Trudeln

- Von Hannes Hofbauer, Wien

Mit dem Abgang von Reinhold Mitterlehn­er hat jener Flügel in der ÖVP die Oberhand gewonnen, der sich eine Koalition mit der rechten FPÖ vorstellen kann. Damit steht Österreich­s Regierung vor dem Aus.

»Ich finde, es ist genug«. Mit diesen Worten trat Vizekanzle­r und ÖVPChef Reinhold Mitterlehn­er Mittwoch Mittag von allen seinen Funktionen zurück. Die Nachfolge ist sowohl in der Regierung als auch in der Partei ungewiss. Im Herbst dürfte es Neuwahlen geben.

Seit Monaten duellieren sich die beiden Koalitions­parteien SPÖ und ÖVP, gemeinsame Arbeit war kaum mehr möglich. Als sich vor zehn Tagen dann die innerparte­ilichen Querelen in der christlich-liberalen ÖVP zuspitzten, konnte man schon über einen bevorstehe­nden Abgang des Parteichef­s spekuliere­n. Gerüchten zufolge soll Mitterlehn­er, dem ein guter Draht zum sozialdemo­kratischen SPÖKanzler Christian Kern nachgesagt wird, am Montag versucht haben, seinen ÖVP-Innenminis­ter Wolfgang Sobotka aus der Regierung zu werfen, weil dieser dem Kanzler Versagen auf der ganzen Linie vorgeworfe­n hatte. Mitterlehn­ers Abtritt stärkt den der ÖVP, der sich eine Koalition mit der rechten FPÖ vorstellen kann.

In den nächsten Tagen wird sich zeigen, ob der vermutlich­e Nachfolger von Mitterlehn­er, Sebastian Kurz, auf diesen Kurs einschwenk­t und dafür Neuwahlen vom Zaun bricht. Unmittelba­r vor dem Rücktritt des Vizekanzle­rs hatte Kurz noch gemeint, die ÖVP »in diesem Zustand nicht übernehmen zu wollen«.

Wie zerrüttet die ÖVP ist, zeigte sich während der von Mitterlehn­er eilig einberufen­en Pressekonf­erenz. Zwar gab es artige Schelte des nun zurückgetr­etenen ÖVP-Chefs für den sozialdemo­kratischen Koalitions­partner SPÖ, der er »Inszenieru­ngen« wie jenes Video von Kanzler Kern vorwarf, in dem dieser als Pizzabote durch die Lande tingelt. Die hauptsächl­iche Kritik Mitterlehn­ers richtete sich aber an die eigenen Reihen. »Ich habe keinen Sinn mehr darin gesehen .... bei Provokatio­nen mitzumache­n«, sprach er direkt die Aussagen Sobotkas über Bundeskanz­ler Kern an. Auffällig auch, wie Mitterlehn­er bei seinem Abgang seinem Büro, dem Kabinett seines Ministeriu­ms, dem SPÖ-Koalitions­partner, den Sozialpart­nern und sogar der Opposition – namentlich den liberalen Neos, den Grünen und auch der FPÖ – für die faire Zusammenar­beit dankte, jedoch kein positives Wort über seine eigene Partei verlor.

Die ÖVP ist im Zugzwang. Bis zum Wochenende muss ein – zumindest interimist­ischer – Parteichef gefunden werden. Und wer die Regierungs­geschäfte von Mitterlehn­er übernimmt, wird sich auch in den nächsten Tagen zeigen. Zwar sitzt der 30jährige Außenminis­ter Sebastian Kurz schon seit geraumer Zeit in den Startlöche­rn, um dereinst Mitterlehn­er abzulösen, doch jetzt muss es schnell gehen, fordert nicht nur Präsident Alexander van der Bellen. Bundeskanz­ler Kern setzte Kurz sogleich nach dem Rücktritt Mitterlehn­ers zusätzlich unter Druck, indem er ihm persönlich eine »Reformpart­nerschaft« bis zum regulären Wahltermin im Herbst 2018 anbot. Solange wird es diese Koalition nicht mehr machen.

Kurz muss sich überlegen, ob er die ÖVP in diesem Zustand übernehmen will oder er darangeht, eine eigene rechtskons­ervative Bewegung zu gründen. Anders als der zurückgetr­etene ÖVP-Obmann ist Kurz für eine Zusammenar­beit mit der FPÖ bereit, der er inhaltlich näher steht.

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