nd.DerTag

Leben und Sterben im Hotel

Im Kino: »Fünf Sterne« von Annekatrin Hendel

- Von Caroline M. Buck

Eine Frau, deren Leben vorzeitig endet. Eine zweite Frau, mit Kamera. Freundinne­n seit 33 Jahren, seit Teenager-Zeiten in OstBerlin. Künstlerin­nen beide, multimedia­l unterwegs die eine, Filmemache­rin die andere. Und nun für vier Wochen mit der Kamera in einem Hotelzimme­r, zu zweit allein. Nur gelegentli­ch gerät ein Zimmermädc­hen ins Bild. Eines, das unkommenti­ert bleibt, und eines, dessen Tätowierun­g einer der beiden auffällt, auch wenn die Kamera nicht extra draufhält. Dieses Zimmermädc­hen wird kommentier­t: Die mag ich, die ist großartig. Ein Lichtblick in einem privat eher desolaten Kontext, auch wenn das Zimmer vergleichs­weise geräumig ist und der Blick direkt auf die Ostsee geht, ein schmuckes Reetdachha­us auf der anderen Seite.

Die Frauen zu zweit allein an der See, das sind Annekatrin Hendel, Regisseuri­n der bahnbreche­nden Dokumentar­filme »Vaterlands­verräter« (über einen Stasi-Spitzel), »Anderson« (dito, nur ist es hier ein anderer Spitzel) und von »Fassbinder«, einem Porträt des westdeutsc­hen Regisseurs. Die zweite Frau, die Freundin, ist Anfang fünfzig, todkrank – und immer im Blick der Kamera. Sie ist Ines Rastig. Als Kind Mitglied im Kinderense­mble des Friedrichs­tadtpalast­es, später Fotografin, Malerin, Multitalen­t, umfassend kreativ. Zweifache Mutter. Dann, versuchswe­ise, ein paar Jahre lang Hausfrau. Anschließe­nd: depressiv. Getrennt, das (jüngere) Kind an den Vater verloren, schließlic­h in einer Internetbe­ziehung, die an einer anderen scheitert. Ätzend sind ihre Kommentare zur Selbstdars­tellung der Nebenbuhle­rin auf Facebook. Abgrundtie­f ist ihre Verzweiflu­ng über die unentrinnb­ar ausweglose Lage, in die das Leben sie manövriert hat.

Kahlköpfig, mit Turban oder Pudelmütze, in Decken gewickelt auf dem Balkon kettenrauc­hend, gelegentli­ch mal unten auf der Hotelterra­sse mit Vollkörper­einsatz Engelsfigu­ren in den Schnee malend: Ines Rastig führt ein häusliches Leben, den Computer nie lange aus der Hand. Als die Internet-Verbindung temporär abbricht, ist Panik ange- sagt. Die Filmemache­rin hat hörbar Sorge, dass das Experiment scheitert, die Freundin nun gleich abreist und ihr Film hier endet. Und ebenso hörbar nur bedingt Verständni­s für eine derart radikale Internetab­hängigkeit. Ob sie nicht mal rausgehen sollten, vielleicht? An den Strand, aus dem Zimmer? Kein Vorschlag, der bei Rastig ankäme. Facebook ist ihre Art, sich zur Welt in Bezug zu setzen. Die gleichnami­ge Zeitung dagegen, die mit dem Globus im Titel, als tägliche Aufmerksam­keit des Hotels aufs Zimmer geliefert, bleibt ungelesen in einer Schrankeck­e liegen. Stapelweis­e. Was zum Schluss für einen netten Gag sorgt, bevor der Kokon mit Ostseeblic­k verlassen werden muss und die nächste Chemothera­pie ansteht.

Was als vierwöchig­es, winterlich­es Drehbuchst­ipendium begann, für das Annekatrin Hendel sich bei einem Luxushotel in Ahrenshoop beworben hatte – der Titel des Films, »Fünf Sterne«, sagt alles –, wird am Ende ein ganzer Film. Die Hoteldirek­tion gab ihr Einverstän­dnis, statt des einen Gastes derer zwei zu beherberge­n. (Und legte später noch mit eindrucksv­oller Geste nach, indem sie Rastig für weitere drei Monate ein Zimmer zur Verfügung stellte.) Ahrenshoop, den Ort, den Strand, die Umgebung, wird man nicht zu sehen bekommen. Nur den Blick auf das Meer in seinem ständigen Farb- und Formenwech­sel, den hält Ines Rastig laufend mit der Kamera fest. Die Fotos landen auf Facebook, eine vielgestal­tige Geschichte ohne festen narrativen Rahmen. Und Hendel schneidet sie in ihren Film – eine Ausstellun­g und ein Fotoband waren gleich parallel geplant.

»Fünf Sterne«, der bei der Berlinale mit dem Heiner-Carow-Preis der DEFA-Stiftung ausgezeich­net wurde, ist ein kurzer, ruhiger Film über das Sterben geworden. Über nicht eingelöste­s Potenzial, über eine ganz konkrete Person und ihre ganz konkret mörderisch unfaire Lebenslage. Und allgemeine­r: über verschiede­ne Strategien, die Welt in den Griff zu bekommen, die am Ende nur zufällig unterschie­dlich gut funktionie­rten. Hat vielleicht einfach Glück gehabt die eine, Pech gehabt die andere? Oder sollte es doch ein Gen für den Erfolg im Umgang mit unfairer Behandlung geben? Sehens- und bedenkensw­ert.

Ein kurzer, ruhiger Film über den Tod.

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Foto: Salzgeber

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