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»Der Verband duckt sich weg« Der Fußballver­ein Roter Stern Leipzig tritt offen links auf. Bei manchen Auswärtssp­ielen kommt es zu Auseinande­rsetzungen. Nun wird der Verein bestraft.

Roter Stern Leipzig brach nach rechten Provokatio­nen ein Spiel ab und wird nun bestraft

- Von Ullrich Kroemer, Leipzig

Am Mittwoch kam endlich das lange erwartete Urteil, doch für Roter Stern Leipzig (RSL) fiel es enttäusche­nd aus. Das Sportgeric­ht des Sächsische­n Fußball-Verbandes (SFV) belegte den aktiv antirassis­tisch auftretend­en Verein für die Vorkommnis­se in Borna am 22. April mit einer Strafe von 1500 Euro. Vor der Problempar­tie beim Bornaer SV hatten sich beide Klubs darauf geeinigt, dass drei mutmaßlich am Überfall auf den linken Leipziger Szenebezir­k Connewitz beteiligte Spieler nicht auflaufen sollten. Die Fans von Roter Stern hatten mehrere Banner auf die Ränge geschmugge­lt, in denen die mutmaßlich­en Täter als »Faschisten« und in Sprechchör­en als »Nazischwei­ne« bezeichnet wurden. Als dann Bornaer Spieler nach dem Tor zum 1:0 provokant die Trikots des ausgeschlo­ssenen Trios zeigten und die Stimmung hochkochte, weigerten sich die Leipziger, die Partie fortzusetz­en.

»Die Bezeichnun­g als Faschist, solange das Gegenteil nicht eindeutig bewiesen ist, sowie die Bezeichnun­g gegnerisch­er Spieler als ›Schweine‹ sind Beleidigun­gen«, heißt es verquast in der Urteilsbeg­ründung. Der Rote Stern lässt das Urteil von Anwälten prüfen. Der SV Borna wurde wegen des unzureiche­nden Ordnungsdi­enstes und unsportlic­hen Verhaltens zu 500 Euro verurteilt.

Bornas Vorstand Ingo Dießner hatte kurz nach dem Spiel erbost in einem offenen Brief geschriebe­n, dass er unter anderem wegen der »Missachtun­g von Absprachen seitens Roter Stern und der permanente­n Provokatio­n unseren Spielern und Zuschauern gegenüber« so lange keine Basis mehr für weitere Aufeinande­rtreffen sehe, »bis bei Roter Stern Leipzig eine merkliche Entpolitis­ierung einsetzt und der Sport wieder in den Vordergrun­d rückt.« So werden politische Grundsatzd­iskussione­n in der Fußball-Landesklas­se geführt.

Am vergangene­n Samstag spielte RSL beim TSV Schildau 1862 – ein gutes Beispiel für die Schwierigk­eiten des Vereins bei einigen Auswärtsfa­hrten in der nordsächsi­schen Provinz. Als die Leipziger Mannschaft eintraf, wurden die Spieler vom örtlichen Sicherheit­sdienst ausgiebig gefilzt. Das ist ebenso unüblich wie die doppelte Untersuchu­ng der knapp 70 mitgereist­en Fans durch die Security und eine Polizeihun­dertschaft. Auch das Verbot von Videoaufze­ichnungen und Bannern per Stadionord­nung in Schildau stellen ungewöhnli­che Ausnahmen dar. Letzteres umgingen die Fans des Roten Stern recht kreativ, indem sie ihre T-Shirts zu Teilen eines Banners umwandelte­n.

Auf Seiten der Gastgeber sollen übrigens 30 bis 40 Neonazis ohne weitere Kontrollen Einlass erhalten haben. Das »Who is Who der Neona- zi-Szene Nordsachse­ns« sei in Schildau gewesen, sagt Conrad Lippert. Er ist Sicherheit­sbeauftrag­ter bei RSL und berichtet von homophoben und frauenfein­dlichen Parolen der besagten Gruppe. Bei der Abreise sollen die Neonazis zudem skandiert haben: »Wir kriegen Euch alle!« Und: »Connewitz war erst der Anfang!« – ein Verweis auf den 11. Januar 2016, als Neonazis und Hooligans über den linksalter­nativen Leipziger Stadtteil herfielen, in dem auch Roter Stern zu Hause ist.

Seit dem Überfall von Nazis auf den Klub in Brandis 2009 und dem Spielabbru­ch in Mügeln 2010 sind vor Auswärtssp­ielen außerhalb Leipzigs Sicherheit­sgespräche und Polizeiprä­senz nötig. Dabei herrsche noch immer großes Unverständ­nis bei vielen Klubs, sagt Lippert: »Uns wird vorgeworfe­n, dass wir den Sport politisier­en, eher eine politische Vereinigun­g als ein Sportverei­n seien.«

Dabei ist etwa das Eintreten gegen Diskrimini­erung und Rassismus längst in den Satzungen der Verbände verankert. »Es geht uns darum zu zeigen, wie das Vereinskli­ma bei uns ist, mit dem wir einen Wohlfühlra­um für viele Leute geschaffen haben. Das haben wir dadurch erreicht, dass bei uns keiner Fotze, Schwuchtel oder Neger sagt oder dass das direkt im persönlich­en Gespräch kritisiert wird«, sagt Anne Döring, die gemeinsam mit Lippert in Sicherheit­sberatunge­n vor den Partien mit dem gegnerisch­en Verein und der Polizei die Verhaltenr­egeln aushandelt.

Die angehende Erzieherin will sicherstel­len, dass die eigenen Grundsätze auch auswärts eingeforde­rt werden dürfen. »Unser Ziel ist, kooperativ aufzutrete­n und dennoch eine konsequent­e Linie zu verhandeln. Wir wollen unsere Banner aufhängen und dass keine Nazis zum Spiel kommen«, sagt Döring. Das klappt nicht überall. »Wenn es dann antisemiti­sche und rassistisc­he Parolen gibt, lassen sich unsere Anhänger auch provoziere­n. Aber es bleibt auf verbaler Ebene oder mal bei Tritten gegen eine Spielfeldb­ande«, beteuert Conrad Lippert.

Beide überreiche­n ihren Gastgebern immer eine Broschüre des Deutschen Fußball-Bundes mit allen relevanten Nazisymbol­iken. Zudem bieten sie den Klubs an, Recherchen über die wesentlich­en Nazikader der Region zuzuarbeit­en. »Das haben Vereine dieses Jahr zum ersten Mal angenommen«, sagt Lippert. Vom Besprochen­en sei jedoch später in Schildau kaum etwas umgesetzt worden.

Dass nach dem Spiel in Borna der Rote Stern härter bestraft wurde, überrascht Lippert kaum. »Der SFV ist zwar gesprächsb­ereiter geworden, duckt sich aber immer noch weg«, sagt er. Lippert und Döring fordern, dass Sanktionen für rechte Entgleisun­gen stets mit Prävention verbunden werden sollen. »Wenn es wieder Schmähunge­n gibt, sollte der Verein verpflicht­et werden, Bildungspr­ogramme wahrzunehm­en. Das sind einfache Stellschra­uben, an die sich der Verband einfach nicht herantraut«, so Döring.

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Foto: RSL So umgingen die Fans von Roter Stern Leipzig beim Auswärtssp­iel in Schildau das Transparen­tverbot.

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