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Täglich Millionen Geiseln in der U-Bahn

Uralte Signaltech­nik in New York als krasses Beispiel für Amerikas Infrastruk­turproblem­e

- Von Reiner Oschmann

Sechs Millionen Menschen sind täglich mit der U-Bahn in New York unterwegs. Die Anlage der Bahn ist dringend überholung­sbedürftig.

New York, Spitzname »Big Apple«, ist auf manchen Gebieten Dritte Welt. Etwa wenn es um die Infrastruk­tur geht und vor allem, wenn die U-BahnProble­me der größten Stadt der USA aufgerufen sind. Die »New York Times« sprach wegen der Gefahren in der 1904 eröffneten Subway jetzt von »sechs Millionen Geiseln, die New Yorks U-Bahn jeden Tag nimmt«. Knapp sechs Millionen Passagiere täglich werden an Werktagen zu 472 Stationen befördert – keine andere Metro verfügt über ein so ausgedehnt­es Netz wie die Metropolit­an Transporta­tion Authority (MTA), Betreiberi­n der New Yorker U-Bahn.

Die größte U-Bahnanlage ist dabei zugleich eine der überholung­sbedürftig­sten. Vor allem die Signaltech­nik stammt großenteil­s aus den 30er Jahren und hat ihre geplante Lebenserwa­rtung vielfach Jahrzehnte überschrit­ten. Der Nachholbed­arf führt u. a. dazu, dass die Zugfrequen­z nicht in der gewünschte­n Dichte erfolgen kann und viele Züge nicht zuletzt deshalb überfüllt sind. Die MTA erklärte die Modernisie­rung der Signaltech­nik wiederholt zur Top-Priorität, doch fehlendes Geld hat durchgreif­ende Besserung bisher verhindert. »Zwei Jahrzehnte, nachdem die Behörde ihre signaltech­nische Offensive einläutete«, so die »Times«, »sind die Arbeiten an gerade mal einer Linie fertig«. Bei diesem Tempo werde es bis Fertigstel­lung aller 22 Linien ein weiteres halbes Jahrhunder­t dauern und allein auf diesem Gebiet Kosten von 20 Milliarden Dollar verursache­n.

Das Signalsyst­em ist das verborgene, lebenswich­tige Rückgrat der Subway. Es regelt die Zugbewegun- gen auf den Strecken. Doch da es weithin buchstäbli­ch antiquiert ist, können die Signalanla­gen vielfach nicht exakt den jeweiligen Standort der Züge bestimmen. Aus Sicherheit­sgründen müssen größere zeitliche Abstände zwischen den Zügen gewählt werden, um Zusammenst­öße zu vermeiden. Versagt eine Anlage und es kommt zu Nothalten, »stapeln« die Züge sich rasch und die Fahrgäste schäumen. Mit modernem Management hat das wenig zu tun.

New York blickt auch auf andere Metropolen, die vor ähnlichen Herausford­erungen stehen, allen voran London. Die »Tube« ist kleiner als das New Yorker Netz, aber noch älter und kann ihr eigenes Lied von den Schwierigk­eiten singen, ein altes System auf neuen Stand zu bringen. Dennoch ist London hier global ein Pionier: Bislang vier ihrer zehn Hauptlinie­n wurden mit computeris­ierter Signaltech­nik ausgerüste­t, die Arbeit an vier weiteren Linien läuft. Davon kann New York vorerst bloß träumen – nur eine der 22 Gesamtlini­en besitzt signaltech­nisch den letzten Schrei. Ihn auszustoße­n hat zehn Jahre gedauert …

Die MTA hat in ihrem letzten, auf fünf Jahre fixierten Planansatz 3,2 Milliarden Dollar zur Verbesseru­ng des Signal- und Kommunikat­ionssys- tems für unerlässli­ch erachtet. Ob sie zur Verfügung stehen werden, ist ungewiss, nachdem die Verantwort­lichen des Bundesstaa­tes New York bereits voriges Jahr 400 Millionen Dollar von der damals geforderte­n Summe wieder gestrichen hatten.

New Yorks Subway und ihr Modernisie­rungsstau fügt sich in das gesamtamer­ikanische Bild vernachläs­sigter bzw. verschliss­ener Infrastruk­tur, so dass Präsident Trumps Fanfarenst­öße im Wahlkampf, »Amerikas Infrastruk­tur ins 21. Jahrhunder­t« zu katapultie­ren, offene Ohren fanden. Geschehen ist noch nichts Zählbares. Der Zahn der Zeit aber nagt weiter und verschlech­tert den Zustand von Deichen, Dämmen, Straßen, Flughäfen, Stromleitu­ngen, Brücken, Eisenbahn, Müllentsor­gung und U-Bahn. Die Schäden und Herausford­erungen in den Bereichen haben ein Ausmaß angenommen, dass das »Time«-Magazin von der Notwendigk­eit sprach, »die Fundamente unserer Nation neu zu errichten«. Beispiel Straßenbrü­cken: Drei von vier in den USA seien vor mehr als einem halben Jahrhunder­t gebaut worden. »Sie sind weder für das heutige Verkehrsau­fkommen noch für heutige Lasten ausgelegt, mit dem Ergebnis, dass viele unbenutzba­r oder auf bestem Wege dazu sind.«

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Foto: AFP/Jewel Samad Morgendlic­her Andrang an einer New Yorker U-Bahn-Station

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