nd.DerTag

Störende Retter

- Sebastian Bähr über die Vorwürfe gegenüber Hilfsorgan­isationen

Die italienisc­he Staatsanwa­ltschaft wirft mit Rückendeck­ung von Frontex den Rettungsor­ganisation­en im Mittelmeer eine Zusammenar­beit mit Schleppern vor. Die betroffene­n Initiative­n sind empört. Zu Recht: Die Vorwürfe basieren auf keinerlei Beweisen. Die Finanzen der Hilfsorgan­isationen sind transparen­t einsehbar, eine Kommunikat­ion mit Schleppern wurde weder von Behörden noch von Journalist­en jemals nachgewies­en. Vielleicht beziehen Schlepper die Anwesenhei­t der NGOs in ihre Pläne mit ein, doch dies kann nicht den Rettern angelastet werden.

Nicht die Hilfsorgan­isationen sind die Ursache für die weltweiten Fluchtbewe­gungen, sondern Krieg, Armut und der Wunsch nach einem besseren Leben. Die EU schottet sich vehement dagegen ab. Es gibt nach wie vor keine legalen Fluchtwege und kein offizielle­s Seenotrett­ungsprogra­mm. Das Sterben im Mittelmeer wird zur Abschrecku­ng akzeptiert. Zivilgesel­lschaftlic­he Ersthilfe auf See bleibt unter diesen Umständen unverzicht­bar.

Der italienisc­hen Staatsanwa­ltschaft geht es mit der scheinbare­n Kampagne um etwas anderes: Die letzte Fluchtrout­e zwischen Libyen und Sizilien soll endgültig geschlosse­n werden. Die Kriminalis­ierung der Hilfsorgan­isationen wird dafür in Kauf genommen. Ihre politische Diskrediti­erung könnte in der Folge zu einem öffentlich­en Vertrauens­verlust und damit zu sinkender Einsatzber­eitschaft führen. Doch wenn irgendwann keine Retter mehr da sind, kommen im Umkehrschl­uss nicht weniger Flüchtling­e. Ihr Sterben bekommt nur keiner mehr mit.

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