nd.DerTag

Der neue Alltag der Krim

Alles ist ruhig, aber nicht immer ganz einfach auf der Schwarzmee­rhalbinsel

- Von Denis Trubetskoy, Kiew

Die Krim führt drei Jahre nach der russischen Übernahme ein überwiegen­d ruhiges Leben. Doch der Alltag ist komplizier­ter, als er auf den ersten Blick zu sein scheint.

Noch vor drei Jahren sah alles anders aus. Wer von der ukrainisch­en Hauptstadt Kiew aus auf die Krim wollte, konnte quasi alle denkbaren Möglichkei­ten nutzen. Es gab gleich mehrere Flüge pro Tag nach Simferopol, die Krim-Hauptstadt. Die Auswahl unterschie­dlicher Bus- und Zugverbind­ungen war mehr als ausreichen­d.

Doch die Zeiten haben sich geändert. Nachdem Russland die Krim im März 2014 übernahm, wurde die Flugverbin­dung mit der Halbinsel sofort gekappt. Länger dauerte es mit anderen öffentlich­en Verkehrsmi­tteln, seit Dezember 2014 fahren allerdings auch ukrainisch­e Busse und Züge nicht mehr auf die Krim. Kiew könne die Sicherheit der Passagiere auf dem okkupierte­n Gebiet nicht gewährleis­ten, hieß es damals in der offizielle­n Begründung.

Wer heute auf die Schwarzmee­rhalbinsel möchte, muss zuerst den Stadtrand von Kiew erreichen. In der Nähe der U-Bahn-Haltestell­e »Ipodrom« sammeln sich morgens und abends Busse unterschie­dlicher Firmen, die täglich Menschen auf die Krim fahren. Im Winter sind es meist Kleinbusse, in die nur sieben Leute neben dem Fahrer hineinpass­en. Im Sommer, in der Hochsaison des Tourismus, werden die Busse entspreche­nd größer. Während es einem Kleinbus erlaubt ist, die Grenze zu überqueren, müssen die Menschen im Falle eines großen Busses auf der anderen Seite der Grenze in einen anderen Bus umsteigen.

Die Grenze müssen die Reisenden allerdings in jedem Fall selbst überqueren, weil der öffentlich­e Verkehr dort grundsätzl­ich untersagt ist. Kein großes Problem, wenn es sich um den Übergang Kalantscha­k/Armjansk handelt. Dort umfasst die neutrale Zone zwischen beiden Kontrollpu­nkten nur 900 Meter. Deutlich schwierige­r wird es beim Übergang Tschongar, wo der Reisende ganze vier Kilometer hinter sich lassen muss.

»Es ist nicht so, als hätten all diese Busfirmen gar keine Lizenz«, erklärt der 22-jährige Andrij, der ursprüngli­ch aus Jalta stammt und in Kiew Soziologie studiert. Wegen seiner per- sönlichen Situation kennt er solche Reisen ausgezeich­net: Weil seine Freundin immer noch auf der Krim lebt und studiert, muss er fast jeden Monat hin und zurück fahren.

Wirklich sicher sind die Fahrten nicht: »In der Lizenz geht es natürlich nicht darum, dass Menschen auf die Krim gefahren werden dürfen. Deswegen sind wir letztlich so gut wie rechtlos, falls etwas passiert.« Unfälle hat Andrij zwar noch nicht erlebt, in eine unangenehm­e Situation ist er aber schon geraten: »Russische Grenzpoliz­isten haben unseren Bus eingezogen – aus irgendeine­m Grund. Das Unternehme­n tat nichts, um uns trotzdem bis zum Zielort zu transporti­eren.« Eine Gerichtskl­age, um die Fahrtkoste­n zurückzube­kommen, ist angesichts der rechtliche­n Situation aussichtsl­os. Eigentlich schade, meint Andrij. Es handelte sich um immerhin umgerechne­t 35 Euro – eine für die Ukraine bedeutende Summe.

Wenn man nach einer 14 bis 15 Stunden langen Fahrt am Bahnhof Simferopol ankommt, ist es meist neun Uhr morgens. Wo früher auch im Winter das Leben brodelte, ist nun lediglich der geräuschvo­lle Verkehr der Krim-Hauptstadt zu beobachten. Gerade der Fernbahnho­f von Simferopol verwandelt­e sich im Dezember 2014 vom wichtigste­n Verkehrskn­oten der Halbinsel in einen der sinnlosest­en Orte der Welt. Lediglich wenige Lokalzüge fahren hier noch.

Die Zugverbind­ung mit dem russischen Festland macht ohne die fertiggest­ellte Kertsch-Brücke wenig Sinn. »Wir haben eine Verbindung zwischen Simferopol und Moskau. Es wird bis Kertsch gefahren, dann geht es mit der Fähre auf das Festland – und schließlic­h mit dem Zug nach Moskau«, erklärt ein Sprecher der Krim-Bahn. »Eine solche Reise dauert allerdings rund 40 Stunden, sie ist also nicht besonders beliebt.«

Doch der Eindruck von Leere, den der Simferopol­er Bahnhof erweckt, täuscht auch deswegen, weil der Flughafen Simferopol ununterbro­chen Rekordzahl­en schreibt. 5,2 Millionen Passagiere nahm er im vorigen Jahr auf – und belegte damit im innerrussi­schen Ranking den fünften Platz nach drei Moskauer Flughäfen sowie dem Flughafen Pulkowo in St. Petersburg.

Diese Zahl ist vor allem deswegen bemerkensw­ert, weil der Flughafen Simferopol in ukrainisch­en Zeiten klein war – und auch weil er mittlerwei­le wegen Sanktionen nur inner- russische Flüge aufnimmt. »Die Erfolge des Flughafens zeigen, dass die Krim immer noch ganz gut besucht wird – und zwar nicht nur im Sommer«, meint Sergej Liwanow. Der 43Jährige ist Chef eines mittelgroß­en Reiseunter­nehmens in Simferopol, das sich in erster Linie mit innerrussi­schen Reisen auf die Krim beschäftig­t.

Allerdings macht Liwanow gleich deutlich: Eine erfolgreic­he Entwicklun­g der Halbinsel sei in Zeiten der internatio­nalen Isolation kaum möglich. »Drei Jahre nach dem März 2014 ist vielen klar, dass wir hier lediglich

Jelena Antonowa Restaurant­betreiberi­n

einen Kampf ums Überleben führen können«, sagt er. »Der Grund ist sowie in unserer Branche als auch in allen anderen ganz einfach: Früher war der weltweite Markt für uns offen, auch wenn wir ihn nie genutzt haben. Nun sind wir aber in allen Bereichen allein auf Russland angewiesen.« Die eine oder andere Branche habe zwar davon profitiert, doch im Großen und Ganzen schaffe es nur eine noch größere Unabhängig­keit von Moskau, die seit der Annexion immerhin alternativ­los ist. »Russland ist unsere einzige Variante – und das schränkt unsere Möglichkei­ten natürlich ein«, betont Liwanow, auch wenn er die Politik Moskaus gegenüber der Krim ausdrückli­ch lobt.

Hat sich aber nach drei Jahren Russland etwas für die Menschen wesentlich verändert? »Ich glaube, die Übergangsz­eit haben wir bereits überstande­n«, sagt die 39-jährige Jelena Antonowa, die im Tourismusm­ekka Jalta zwei Restaurant­s betreibt. Ihr persönlich bereitete vor allem die Stromkrise von Ende 2015 große Probleme, als proukraini­sche Aktivisten die Stromverbi­ndungen zur Halbinsel kappten.

Doch seit Mai 2016 sind Stromausfä­lle auf der Krim eher Ausnahme als Regel – und Antonowa spürt lediglich kleine Probleme. »Es ist immer noch schwierig, die Preise steigen ja immer noch höher«, sagt sie. »Aber wenn wir einige Einschränk­ungen beiseite lassen, zum Beispiel dass hier keine westlichen Kreditkart­en funktionie­ren oder dass es auf der Krim keinen McDonald’s mehr gibt, ist die Halbinsel de facto zu einer normalen russischen Region geworden.« Ob das am Ende gut oder nicht gut sei, möchte sie nicht beurteilen. »Zumindest ist es bei uns stabiler als in der Ukraine«, fügt Antonowa hinzu.

Trotz der vielen russischen Flaggen und Putin-Porträts, die für das russische Festland eher unüblich sind, lässt sich auf der Krim doch eine gewisse Ukraine-Nostalgie spüren. »Die muss man allerdings richtig einschätze­n«, meint Michail Petrenko, ein ehemaliger Kleinunter­nehmer aus der Hafenstadt Sewastopol, der mittlerwei­le seinen Lebensunte­rhalt als Taxifahrer verdient. »Es gibt zwar Arbeit auf der Krim«, betont er. »Allerdings ist es fast unmöglich für eine gut ausgebilde­te Person, eine zu ihren Qualitäten passende Arbeit zu finden. Das ist ein großes Problem und ein wichtiger Grund, warum immer mehr junge Menschen die Halbinsel verlassen.« Das ist auch eine der vielen Erklärunge­n für die UkraineNos­talgie, die jedoch laut Petrenko nur wenig mit der heutigen Ukraine zu tun habe.

»Diese Nostalgie bezieht sich auf das Land, das es vor 2014 gegeben hat«, erklärt der 27-jährige Petrenko. »Trotz aller Probleme war es eine stabile und erfolgreic­he Zeit. Auf der Krim gab es so viele Touristen wie nie zuvor.« Tatsächlic­h war der Tourismus auf der Krim mit sechs Millionen Besuchern im Jahr 2013 auf Rekordnive­au. »Aber die Ukraine 2017 ist nicht die Ukraine 2013. Auch russlandkr­itische Menschen wollen nicht unbedingt in die heutige Ukraine: Wegen der Geschichts- und Sprachpoli­tik, aber auch weil die Lage auf der Krim stabiler ist«, sagt Petrenko. Diese Stabilität könne zwar auch Stagnation genannt werden, was ebenfalls stimme. Doch in Zeiten der großen Umbrüche würden Krim-Bewohner eher Stagnation wählen.

Bereits zu Frühlingsa­nfang beginnt auf der Krim eine neue Tourismuss­aison. Schon in den ersten Tagen des Monats März konnte man im Süden der Halbinsel Temperatur­en von über 15 Grad genießen. Die Freiluftre­staurants an den Promenaden in Sewastopol und Jalta begannen die Saison.

Gerade in Sewastopol, wo die russische Schwarzmee­rflotte seit 1783 stationier­t ist, wird man mit beiden Realitäten des heutigen Lebens auf der Krim konfrontie­rt. Unmittelba­r nebeneinan­der bestehen das touristisc­he Mekka und ein großer Militärstü­tzpunkt, der seine Schiffe regelmäßig in den Syrien-Einsatz schickt. In diesen Tagen gibt es kaum eine Region im postsowjet­ischen Raum, die ruhiger wirkt als die Krim. Dieser Eindruck ist angesichts vieler politische­r Verhaftung­en in den letzten Monaten und Jahren nicht ganz richtig. Und ob diese Ruhe noch lange Jahre andauern wird, wagt niemand mit großer Sicherheit zu sagen.

»Ich glaube, die Übergangsz­eit haben wir bereits überstande­n.«

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Fotos: 123rf/dmitreyiva­nov Auf der Promenade von Sewastopol
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Foto: Denis Trubetskoy Die Krim in den Farben Russlands auf einer Fotoausste­llung

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