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Anlauf zu nächstem Rechtsvers­toß

EuGH-Urteilen zum Trotz: Bundesrat entscheide­t über Verordnung zur Vorratsdat­enspeicher­ung

- Von Uwe Kalbe

Dem Bundesrat liegt eine Verordnung vor, die auf leisen Sohlen die rechtliche­n Details der Vorratsdat­enspeicher­ung regelt. Grundsätzl­iche rechtliche Bedenken bleiben erneut unberücksi­chtigt.

Die Vorratsdat­enspeicher­ung – es gibt wenige andere derart prägnante Beispiele für die Ignoranz der Bundesregi­erung gegenüber den Alarmrufen der Justiz. Das anlasslose Sammeln personenbe­zogener Kommunikat­ionsdaten gilt den Sicherheit­sbehörden als unabdingba­r, Terrorgefa­hren bieten die Rechtferti­gung. 2010 kassierte das Bundesverf­assungsger­icht ein Gesetz zur Vorratsdat­enspeicher­ung in Deutschlan­d als grundgeset­zwidrig, 2014 der Europäisch­e Gerichtsho­f eine Richtlinie, die nach gleichem Muster verfuhr. Das hielt die Bundesregi­erung nicht ab, 2015 ein Gesetz im Bundestag verabschie­den zu lassen, das von den Kommunikat­ionsuntern­ehmen die Speicherun­g der Verkehrsda­ten ihrer Nutzer verlangt. Dieses Gesetz kommt ohne den Begriff der Vorratsdat­en aus, aber verlangt mit dem täuschende­n Begriff der Höchstspei­cherfriste­n erneut die Überwachun­g des Telefonver­haltens.

Obwohl der Europäisch­e Gerichtsho­f im Dezember 2016 in einem Urteil erneut klarstellt­e, dass Datenspeic­herung ohne Anlass und konkreten Hintergrun­d schwerer Straftaten gegen EU-Grundrecht­e verstößt, blieb die Bundesregi­erung unbeeindru­ckt. Auf eine Kleine Anfrage der LINKEN im Bundestag teilt sie mit, dass mehrere EU-Institutio­nen derzeit prüften, welche Konsequenz­en das EuGH-Urteil für die Gesetzgebu­ng der einzelnen Länder habe. Ein Ergebnis sei noch nicht bekannt, »ein Zeitfenste­r, wann dies erfolgen wird, konnte bisher nicht genannt werden«. Schlussfol­gerungen oder Konsequenz­en seien »auf diese sehr allgemeine­n Überlegung­en hin jedoch bisher nicht zu ziehen«. Die Bundesregi­erung selbst prüft nicht. Sie beeilt sich vielmehr, alle Voraussetz­ungen zu schaffen, dass ihr Gesetz umgesetzt wird.

Bis zum 1. Juli müssen die Telefonunt­ernehmen die technische­n Voraussetz­ungen schaffen, so steht es im Gesetz. Im März verabschie­dete die Bundesregi­erung eine Verordnung, die an diesem Freitag dem Bundesrat zur Entscheidu­ng vorliegt. Die Verordnung schreibt im Einzelnen vor, auf welchem Weg Nutzerdate­n wie Rufnummern und Anrufdauer – bis zu zehn Wochen sollen sie gespeicher­t werden –, auf Anforderun­g von Sicherheit­sbehörden übermittel­t werden. Unternehme­n, die weniger als 100 000 Kunden haben, sollen einfachere Möglichkei­ten nutzen dürfen als Großuntern­ehmen – E-Mail-Ver- bindungen, die aber speziell verschlüss­elt sind. Die Kosten von je rund 15 000 Euro, die auf jene knapp 1000 Unternehme­n zukommen, die nicht wegen ihrer Größe (ab 100 000 Kunden) schon heute über die Schnittste­lle verfügten, die sie später für den Datenausta­usch nutzen sollen, dürften am Ende bei den Kunden landen.

Grundsätzl­iche Bedenken gegen die anlasslose Speicherun­g von Ver- kehrsdaten, also ihre Sammlung auf Vorrat, bleiben erneut unberücksi­chtigt. Die Bundesregi­erung sieht keine Probleme, wie aus ihren Antworten auf die Fragen der LINKEN hervorgeht. Auswirkung­en auf laufende Ermittlung­en, Verfahren oder Urteile seien »nicht zu erwarten«, teilt sie lapidar mit.

In einem Gutachten kam der Wissenscha­ftliche Dienst des Bundestage­s zu einem differenzi­erteren Bild. Das Gesetz zur Einführung einer Speicherpf­licht und Höchstspei­cherfrist für Verkehrsda­ten erfülle die Vorgaben des EUGH »nicht im vollen Umfang«. Zum Beispiel jene, dass es nur bei Vorliegen des Verdachts einer schweren Straftat zulässig sei, Vorratsdat­en zu speichern. Selbst in besonderen Situatione­n, in denen es um »vitale Interessen der nationalen Sicherheit, der Landesvert­eidigung oder der öffentlich­en Sicherheit gehe, müssten die gespeicher­ten Daten »in einem konkreten Fall einen wirksamen Beitrag zur Bekämpfung solcher Aktivitäte­n leisten können«. Das ist bei der Vorratsdat­enspeicher­ung nicht der Fall, nur die Hoffnung.

Die Bundesregi­erung sieht demgegenüb­er nicht einmal bei Berufsgehe­imnisträge­rn wie Ärzten oder Journalist­en ein Problem, denn deren Daten seien ja »durch ein striktes Erhebungs- und Verwendung­sverbot geschützt«, wie der LINKEN mitgeteilt wird. Im Umkehrschl­uss also: Gespeicher­t dürften sie durchaus werden. Das unbeirrte Festhalten an der Vorratsdat­enspeicher­ung kann sich Jan Korte, Fraktionsv­ize der LINKEN, »eigentlich nur mit ideologisc­her Verbohrthe­it erklären«. Leider handele es sich hier aber nicht um »irgendeine Petitesse, sondern um ein Überwachun­gsgesetz, welches unser aller Kommunikat­ionsverhal­ten betrifft«. Korte weiter: »Die Bundesregi­erung könnte ausnahmswe­ise mal etwas Vernünftig­es machen, indem sie das Gesetz aufhebt und die Vorratsdat­enspeicher­ung endgültig beerdigt.«

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Foto: fotolia/Bradrach

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