Auferstehung aus Ruinen
Das einstige holländische Viertel in der indonesischen Hauptstadt Jakarta erwacht zu neuem Leben
Kota Tua, zu Deutsch Altstadt, war einst das Herz der holländischen Kolonie Indonesiens, als die Hauptstadt Jakarta noch Batavia hieß. Doch die Bauten verfielen. Heute ist Kota Tua ein Besuchermagnet.
Kota Tua – das alte Batavia – ist auferstanden aus Ruinen. Der Fatahillah-Platz im Herzen der Altstadt von Jakarta wimmelt an diesem Sonntag vor Menschen. Die historischen Bauwerke aus der holländischen Kolonialzeit rings um den Platz sind restauriert, erstrahlen in blendendem Weiß. In den alten Bürgerhäusern in der Jalan (Straße) Pintu Besar Utara haben sich Cafés und Restaurants etabliert. Davor ziehen fantasievoll kostümierte und grell geschminkte lebende Statuen staunende Besucherscharen an.
Bis vor wenigen Jahren bot Kota Tua – zu deutsch Altstadt – ein äußerst depressives Bild. Die historischen Kolonialbauten rotteten vor sich hin, der Zahn der Zeit nagte verbissen an ihnen und so mancher Hausbesitzer half dem Verfall nach. »Löcher wurden in Dächer und Decken geschlagen, dann ließ man den Regen die Arbeit tun. War die Bausubstanz ruiniert, wurde abgerissen«, weiß Pater Adolf Heuken.
Der deutsche Jesuit lebt seit 1963 in Jakarta. Neben seiner Tätigkeit als Dozent für christliche Ethik an in- donesischen Universitäten verfasste der Westfale aus Coesfeld Bücher über die Geschichte Jakartas und veröffentlichte 2013 in dem »Historischen Atlas« Nachdrucke von 40 Zeichnungen von Häusern, Festungen und Plätzen in Batavia, die 1744 der deutsche Vermessungsingenieur Johann Wolfgang Heydt im Auftrag der Niederländischen Ostindien Kompagnie angefertigt hatte.
Auch die alten chinesischen Shophäuser in Kota Tua waren dem Verfall preisgegeben. Viele waren im Frühjahr 1998 bei antichinesischen Pogromen zum Ende des Regimes von Suharto zerstört und ihre Besitzer vertrieben oder ermordet worden.
Lange liefen Initiativen indonesischer Stadtplaner und Architekten zur Restaurierung und Wiederbelebung von Kota Tua ins Leere. Kota Tua ver- fiel. Einzige Ausnahmen waren das schicke Café Batavia, ein grandioses Beispiel holländischer Kolonialarchitektur, und gegenüber das alte Stadthuis, von dem aus die Holländer einst ihre indonesische Kolonie regierten. Es ist heute Museum für die Geschichte von Batavia/Jakarta.
Das moderne Jakarta orientierte sich nach Süden. Lediglich ein paar Banken nutzten einige historische Gebäude für ihre Geschäfte und richteten in ein paar anderen Museen ein. Kota Tua und Chinatown wurden zunehmend unattraktiver. Entlang des stinkenden, zugemüllten Flusses Ciliwung und am Fischereihafen von Jakarta, wo einst holländische Segelschiffe beladen mit Gewürzen von den Gewürzinseln ankerten, entstanden Slums. »Die Indonesier haben keinen Sinn für (Architektur)-Geschichte. ›Wissen‹ über Geschichte basiert nur auf Mythen und Legenden. In den Schulen lernen die Kinder nichts über ihre Heimat. Von den mehr als 40 Unis in Jakarta haben nur zwei kleine historische Fakultäten«, sagt Heuken und fügt hinzu: »Was man nicht kennt, schätzt man nicht.«
Inzwischen haben geschichtsbewusste Stadtplaner und Architekten durchgesetzt, dass Kota Tua peu à peu restauriert wird. Die richtig schwierige Aufgabe steht aber erst noch bevor: die Wiederbelebung der historischen Häuser. Denn hinter deren aufgepeppten Fassaden herrscht meist noch gähnende Leere. Ausnah- men bilden das Museum für Kunst und Keramik sowie das der indonesischen Puppenspielkunst Wayang gewidmete Museum.
Bambang Eryudhawan gibt sich nicht der Illusion hin, dass die neue Popularität von Kota Tua von einem plötzlich erwachten Geschichtsinteresse seiner Landsleute zeugt. »Es ist die Sehnsucht nach freiem Raum ohne Autos in Jakarta«, sagt der Vorsitzende des Jakarta Restoration Team (TSP) bei einem Lunch im Café »Historia Food and Bar« in Kota Tua. Verschmitzt fügt der Stadtplaner hinzu: »Vielleicht entsteht ja als Nebenwirkung bei dem einem oder anderen ein Bewusstsein für Geschichte.«
Draußen auf dem Fatahillah-Platz flanieren die Jakartaner. Großfamilien haben sich im Schatten der alten Häuser zu Picknicks mit Nasi Goreng, gebratenen Satays oder Mie Ayam Bakso von einem der vielen zweirädrigen Warungs am Straßenrand niedergelassen. Muslimische Frauen radeln auf bunten Mietfahrrädern und mit pastellfarbenen Sommerhüten auf ihren Kopftüchern über den Fatahillah-Platz. Andere lassen sich lieber in einer der mit buntem Glitzerpapier verzierten und von dürren Pferdchen gezogenen Kutschen durch die Gegend fahren. Wie die Schlange am Eingang zum Stadtmuseum beweist, gibt es trotz aller Unkenrufe auch geschichtsinteressierte Indonesier wie Albin Sofyan. Der Student sagt lässig: «Geschichte ist doch wichtig.«