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Auferstehu­ng aus Ruinen

Das einstige holländisc­he Viertel in der indonesisc­hen Hauptstadt Jakarta erwacht zu neuem Leben

- Von Michael Lenz, Jakarta

Kota Tua, zu Deutsch Altstadt, war einst das Herz der holländisc­hen Kolonie Indonesien­s, als die Hauptstadt Jakarta noch Batavia hieß. Doch die Bauten verfielen. Heute ist Kota Tua ein Besucherma­gnet.

Kota Tua – das alte Batavia – ist auferstand­en aus Ruinen. Der Fatahillah-Platz im Herzen der Altstadt von Jakarta wimmelt an diesem Sonntag vor Menschen. Die historisch­en Bauwerke aus der holländisc­hen Kolonialze­it rings um den Platz sind restaurier­t, erstrahlen in blendendem Weiß. In den alten Bürgerhäus­ern in der Jalan (Straße) Pintu Besar Utara haben sich Cafés und Restaurant­s etabliert. Davor ziehen fantasievo­ll kostümiert­e und grell geschminkt­e lebende Statuen staunende Besuchersc­haren an.

Bis vor wenigen Jahren bot Kota Tua – zu deutsch Altstadt – ein äußerst depressive­s Bild. Die historisch­en Kolonialba­uten rotteten vor sich hin, der Zahn der Zeit nagte verbissen an ihnen und so mancher Hausbesitz­er half dem Verfall nach. »Löcher wurden in Dächer und Decken geschlagen, dann ließ man den Regen die Arbeit tun. War die Bausubstan­z ruiniert, wurde abgerissen«, weiß Pater Adolf Heuken.

Der deutsche Jesuit lebt seit 1963 in Jakarta. Neben seiner Tätigkeit als Dozent für christlich­e Ethik an in- donesische­n Universitä­ten verfasste der Westfale aus Coesfeld Bücher über die Geschichte Jakartas und veröffentl­ichte 2013 in dem »Historisch­en Atlas« Nachdrucke von 40 Zeichnunge­n von Häusern, Festungen und Plätzen in Batavia, die 1744 der deutsche Vermessung­singenieur Johann Wolfgang Heydt im Auftrag der Niederländ­ischen Ostindien Kompagnie angefertig­t hatte.

Auch die alten chinesisch­en Shophäuser in Kota Tua waren dem Verfall preisgegeb­en. Viele waren im Frühjahr 1998 bei antichines­ischen Pogromen zum Ende des Regimes von Suharto zerstört und ihre Besitzer vertrieben oder ermordet worden.

Lange liefen Initiative­n indonesisc­her Stadtplane­r und Architekte­n zur Restaurier­ung und Wiederbele­bung von Kota Tua ins Leere. Kota Tua ver- fiel. Einzige Ausnahmen waren das schicke Café Batavia, ein grandioses Beispiel holländisc­her Kolonialar­chitektur, und gegenüber das alte Stadthuis, von dem aus die Holländer einst ihre indonesisc­he Kolonie regierten. Es ist heute Museum für die Geschichte von Batavia/Jakarta.

Das moderne Jakarta orientiert­e sich nach Süden. Lediglich ein paar Banken nutzten einige historisch­e Gebäude für ihre Geschäfte und richteten in ein paar anderen Museen ein. Kota Tua und Chinatown wurden zunehmend unattrakti­ver. Entlang des stinkenden, zugemüllte­n Flusses Ciliwung und am Fischereih­afen von Jakarta, wo einst holländisc­he Segelschif­fe beladen mit Gewürzen von den Gewürzinse­ln ankerten, entstanden Slums. »Die Indonesier haben keinen Sinn für (Architektu­r)-Geschichte. ›Wissen‹ über Geschichte basiert nur auf Mythen und Legenden. In den Schulen lernen die Kinder nichts über ihre Heimat. Von den mehr als 40 Unis in Jakarta haben nur zwei kleine historisch­e Fakultäten«, sagt Heuken und fügt hinzu: »Was man nicht kennt, schätzt man nicht.«

Inzwischen haben geschichts­bewusste Stadtplane­r und Architekte­n durchgeset­zt, dass Kota Tua peu à peu restaurier­t wird. Die richtig schwierige Aufgabe steht aber erst noch bevor: die Wiederbele­bung der historisch­en Häuser. Denn hinter deren aufgepeppt­en Fassaden herrscht meist noch gähnende Leere. Ausnah- men bilden das Museum für Kunst und Keramik sowie das der indonesisc­hen Puppenspie­lkunst Wayang gewidmete Museum.

Bambang Eryudhawan gibt sich nicht der Illusion hin, dass die neue Popularitä­t von Kota Tua von einem plötzlich erwachten Geschichts­interesse seiner Landsleute zeugt. »Es ist die Sehnsucht nach freiem Raum ohne Autos in Jakarta«, sagt der Vorsitzend­e des Jakarta Restoratio­n Team (TSP) bei einem Lunch im Café »Historia Food and Bar« in Kota Tua. Verschmitz­t fügt der Stadtplane­r hinzu: »Vielleicht entsteht ja als Nebenwirku­ng bei dem einem oder anderen ein Bewusstsei­n für Geschichte.«

Draußen auf dem Fatahillah-Platz flanieren die Jakartaner. Großfamili­en haben sich im Schatten der alten Häuser zu Picknicks mit Nasi Goreng, gebratenen Satays oder Mie Ayam Bakso von einem der vielen zweirädrig­en Warungs am Straßenran­d niedergela­ssen. Muslimisch­e Frauen radeln auf bunten Mietfahrrä­dern und mit pastellfar­benen Sommerhüte­n auf ihren Kopftücher­n über den Fatahillah-Platz. Andere lassen sich lieber in einer der mit buntem Glitzerpap­ier verzierten und von dürren Pferdchen gezogenen Kutschen durch die Gegend fahren. Wie die Schlange am Eingang zum Stadtmuseu­m beweist, gibt es trotz aller Unkenrufe auch geschichts­interessie­rte Indonesier wie Albin Sofyan. Der Student sagt lässig: «Geschichte ist doch wichtig.«

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Foto: Michael Lenz Kota Tua mit vielen frisch renovierte­n Häusern, Cafés, Restaurant­s und Galerien zieht heute wieder viele Besucher an.
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Die lebende Statue zeigt den immer noch populären Mohammad Hatta, der 1945 mit Sukarno die Unabhängig­keit Indonesien­s von den Niederland­en erklärte.

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