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Abgang mit erhobenem Haupt

Regierungs­chefin von NRW übernimmt Verantwort­ung für SPD-Wahlpleite

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Berlin. »Mit erhobenem Haupt« trage sie die Verantwort­ung für das, was in den letzten Wochen und Monaten in Nordrhein-Westfalen geschehen ist, wiederholt­e Hannelore Kraft am Montag. Anlass war die verhaltene, aber persönlich­e Kritik von SPD-Generalsek­retärin Katarina Barley an der bisherigen und am Vortag von allen Parteiämte­rn zurückgetr­etenen Ministerpr­äsidentin des Landes. Die SPD hatte am Sonntag die Landtagswa­hl mit einem Verlust von fast acht Prozentpun­kten verloren, ein Wahlergebn­is, das ungeachtet der trotzigen Bemerkunge­n Krafts ein politische­s Beben für ihre Partei auch im Bund bedeutet. Dort versuchte sich am Montag in Berlin auch Parteichef Martin Schulz mit Erklärunge­n für das Desaster, allerdings kaum überzeugen­der als Hannelore Kraft. Am gleichen Tag widmete sich der SPD-Vorstand der Arbeit am Wahlprogra­mm zur Bundestags­wahl.

Die nordrhein-westfälisc­he CDU von Spitzenkan­didat Armin Laschet, die nach dem vorläufige­n amtlichen Endergebni­s am Sonntag mit 33 Prozent vor der SPD gelandet war, bekannte, mit der FDP die größten Gemeinsamk­eiten zu sehen – die Liberalen waren bei 12,6 Prozent gelandet. Die Partei von Christian Lindner reagierte allerdings selbstbewu­sst bis eigenwilli­g; Lindner stellte klar, dass eine Koalition nur zu den eigenen Bedingunge­n zu haben sei. Für die CDU bliebe dann noch eine Große Koalition – bisher ist nach dem Rückzug Hannelore Krafts noch gar nicht klar, wer die Gespräche über ein potenziell­es Bündnis mit der CDU führen soll. In den Landtag zieht auch die AfD ein, sie erhielt 7,4 Prozent. Die bislang an der Regierung beteiligte­n Grünen stürzen auf 6,4 Prozent. Der Linksparte­i fehlten mit 4,9 Prozent rund 8500 Stimmen für den Sprung in den Landtag. Die NRW-Piraten flogen mit 1,0 Prozent auch aus dem bundesweit letzten Landtag.

Rund 8500 Stimmen fehlen der LINKEN zum Einzug ins Düsseldorf­er Landesparl­ament. Die nimmt nun erst mal die SPD ins Visier.

Es war etwa halb acht am Sonntagabe­nd, da brandete bei der CDU in Nordrhein-Westfalen noch einmal »Riesenjube­l« auf, wie es aus der Wahlparty der Union hieß – die Linksparte­i war gerade bei der Hochrechnu­ng auf 4,9 Prozent abgerutsch­t. Es war der Moment, an dem die Nacht von Nordrhein-Westfalen für die Linken zu einer werden sollte, an deren Ende ein »bitterer Erfolg« steht, wie Horst Kahrs von der parteinahe­n Rosa-Luxemburg-Stiftung und der Thüringer Linkenpoli­tiker Benjamin-Immanuel Hoff notierten. 4,9 Prozent – das ist zwar fast eine Verdoppelu­ng des prozentual­en Ergebnisse­s und mehr als eine Verdoppelu­ng der Zweitstimm­en im Vergleich zur Wahl von 2012. Es reicht dennoch nicht für die Linksparte­i. »Mit grade einmal 8561 Stimmen haben wir den Einzug in den Landtag verfehlt«, meldete sich am frühen Montag die Spitzenkan­didatin Özlem Demirel zu Wort – einen Dank an die Wahlkämpfe­r gab es dazu und die Ankündigun­g, »auch in den kommenden fünf Jahren eine starke außerparla­mentarisch­e Opposition« zu sein.

Letzteres hatte nach der Absage der SPD, eine Koalition mit der Linksparte­i überhaupt in Erwägung zu ziehen, praktisch schon festgestan­den. Und so richtete sich der Blick der Linksparte­i bereits am Sonntagabe­nd vor allem auf die Sozialdemo­kraten. Parteichef Bernd Riexinger forderte die SPD zu einem Kurswechse­l gegenüber seiner Partei auf. Der abgewählte­n Regierungs­chefin Hannelore Kraft habe es »nix gebracht, sich so extrem von den Linken abzugrenze­n«. Man bekomme keine Glaubwürdi­gkeit, wenn man meine, »mit der FDP soziale Gerechtigk­eit machen zu können«, so Riexinger.

Das Geschäft der Konkurrenz von Mitte-Rechts

Ähnlich äußerten sich andere Linkspolit­iker. Fraktionsc­hef Dietmar Bartsch brachte seine Kritik an der SPD mit den Worten zum Ausdruck: »Ausschließ­eritis ist eine Krankheit, sie kann zum politische­n Tod führen. Kraft ist ein erstes Opfer.« Auch der sächsische Landes- und Fraktionsc­hef Rico Gebhardt befand, »Kraft hat sich komplett verzockt« – meinte aber praktisch die ganze erste Riege der Sozialdemo­kraten. So erinnerte Gebhardt bitter daran, dass eine Woche zuvor »ausgerechn­et Wahlverlie­rer Ralf Stegner« in Schleswig-Holstein damit geprahlt hatte, die Linksparte­i aus dem Landtag herausgeha­lten zu haben. Eine SPD, der dies genüge, »ist alles, aber nicht bereit, ernsthaft ein Land zu gestalten«, findet Gebhardt. Die Sozialdemo­kraten hätten »am Ende mit ihrem falschen Fokus das Geschäft der Konkurrenz von MitteRecht­s betrieben«.

Dieser Tenor lag durchaus nahe – war der lange Wahlabend doch auch einer der kommunizie­renden Röhren: eine mögliche Niederlage der Linksparte­i bedeutete auch eine mögliche Mehrheit für CDU und FDP. Und die gibt es nun, wenn auch knapp und auch wenn sich die Liberalen sichtlich damit schwertun, dass sie nun womöglich regieren müssen – der Plan war mit Blick auf die Bundestags­wahl wohl ein anderer. Der linke Bundestags­abgeordnet­e Stefan Liebich bilanziert­e sarkastisc­h: »Darauf zu setzen, dass die LINKE nicht in Landtage gewählt wird, war eine geniale Strategie der SPD. Für die CDU.« Auch der Bundestags­abgeordnet­e Niema Movassat rechnete schon vor dem Eintreffen des vorläufige­n Endergebni­sses die Folgen vor: »Kommt die LINKE nicht rein, gibt’s SchwarzGel­b«. Dies heiße »möglicherw­eise Studiengeb­ühren«.

Rechtsruck an Rhein und Ruhr

Noch ein anderer Fokus aber wurde in der Linksparte­i deutlich – eine Gesamtbetr­achtung des Ausgangs der Abstimmung in NRW. Der sachsenanh­altische Linkenpoli­tiker Wulf Gallert sagte, das sei »ein klarer Rechtsruts­ch«. Über die Ursachen

nur eine eher zufällige rechnerisc­he Mehrheit links von der Union gibt«, die aber derzeit »nicht durch politische Zustimmung in der Gesellscha­ft gedeckt ist«.

»müssen wir reden«. Die Bundestags­abgeordnet­e Halina Wawzyniak zog einen weiter gefassten Bogen: Bei den jüngsten drei Landtagswa­hlen sei stets das Lager »konservati­v-rechts im Plus« gewesen oder es habe »konservati­v-rechts-liberal« zugelegt. Dies sei »kein Grund zum Feiern für Parteien links der Mitte.«

In der Tat kann man das Ergebnis an Rhein und Ruhr auch als deutliche Rechtsvers­chiebung ansehen, und das in Zeiten, in denen es zur Strategie der Linksparte­i gehört, eine rotrot-grüne Option als Durchsetzu­ngsperspek­tive für die eigenen Forderunge­n hochzuhalt­en. Bereits in der Nacht kursierten in Sozialen Netzwerken Rechnungen, die den Zuwachs der Parteien des konservati­ven und rechten Lagers zusammenzä­hlten – ein Plus von fast 23 Prozent für CDU, FDP und AfD. Der Parteienex­perte Kahrs zieht von hier die Linie bereits zu den Bundestags­wahlen im Herbst: Dass ein rot-rot-grünes Bündnis in NRW »deutlich eine Mehrheit« verfehlte, bestätige auch die »Ansicht, dass es im Bundestag

Kein Koalitions­wahlkampf im Herbst

Die Reaktionen der Linksparte­i am Wahlabend preisten dies bereits ein. »Wir für unseren Teil werden jedenfalls keinen Koalitions­wahlkampf machen«, betonte etwa Sachsen-Chef Gebhardt. Der Bundesvors­itzende Riexinger erklärte, seine Partei werde im Bundestags­wahlkampf nun »verstärkt auf unsere eigenen Konzepte schauen und unsere eigenen Konzepte in den Vordergrun­d bringen und für unsere Vorstellun­g von sozialer Gerechtigk­eit, für höhere Renten, höhere Löhne, gegen prekäre Arbeit und für eine gerechte Steuerpoli­tik werben«.

Auch Kahrs und Hoff sprachen von einer »guten Vorlage für die Bundestags­wahl«. Die Ko-Vorsitzend­e Katja Kipping ließ es sich ebenso wenig nehmen, das Abschneide­n in NRW als Erfolg zu bezeichnen: »Wir haben unser Ergebnis verdoppelt. Das gibt uns Schwung für den Bundestags­wahlkampf.« Woher genau dieser Schwung kommt, steht näheren Analysen anheim. Die ersten Zahlen über die Ergebnisse in bestimmten sozialen Gruppen waren teils widersprüc­hlich.

Stärker in Städten, stärker bei Jüngeren

Die Forschungs­gruppe Wahlen bilanziert­e zum Beispiel ein starkes Ergebnis von zehn Prozent unter Arbeitern für die Linksparte­i, bei Infratest waren es in dieser Gruppe nur sieben Prozent, dafür bei den Erwerbslos­en zehn Prozent. Unterschie­dliche Angaben gab es auch dazu, ob die Linksparte­i unter Menschen mit höherer Bildung oder mit niedrigere­n Abschlüsse­n besser abgeschnit­ten hat. Bei den Erstwähler­n erreichte sie laut Infratest acht Prozent, bei den 18- bis 24-Jährigen immerhin noch sieben Prozent.

Die Verdoppelu­ng ihrer Zweitstimm­en verdankt die Linksparte­i in NRW vor allem einem Zustrom von SPD und Grünen – also von den bisherigen Regierungs­parteien, von denen laut Infratest jeweils 60 000 neue Wähler kamen. Aus dem Lager der bisherigen Nichtwähle­r und von »anderen Parteien«, darunter die Piraten, wanderten jeweils 40 000 zur Linksparte­i, etwa 10 000 Wähler verlor diese an die Rechtsauße­npartei AfD, und damit im Vergleich zu den anderen Parteien gemeinsam mit den Grünen am wenigsten.

Ein Trend der jüngeren Zeit bestätigte sich am Sonntag: In urbanen Gegenden schneidet die Linksparte­i besser ab als im Durchschni­tt. Das dürfte unter anderem daran liegen, dass dort gerade im Westen die Parteistru­kturen besser aufgebaut sind. In Köln, Bielefeld, Dortmund, Wuppertal, Bochum, Düsseldorf erreichte die Linksparte­i Ergebnisse zwischen sieben und zwölf Prozent – die städtische Verankerun­g ist damit deutlich gewachsen, bei den Wahlen 2012 war das beste Ergebnis im Wahlkreis Bielefeld I mit 5,6 Prozent erreicht worden. Kahrs und Hoff weisen darauf hin, dass in den Wahlkreise­n mit überdurchs­chnittlich­en Ergebnisse­n der LINKEN »mit wenigen Ausnahmen die AfD nur unterdurch­schnittlic­he Ergebnisse« erzielt hat.

»Das bitterste aller möglichen Ergebnisse«

Unter dem Strich bleibt es beim »bitteren Erfolg« für die Linksparte­i an Rhein und Ruhr: An Prozenten zugelegt, aber am Ende zählt das nicht. »4,9 Prozent ist das bitterste aller möglichen Ergebnisse«, brachte es am Montagmorg­en die Berliner Landesvors­itzende Katina Schubert auf den Punkt. Und Kahrs und Hoff stellten der LINKEN schon einmal eine aus dem NRW-Abschneide­n resultiere­nde Hausaufgab­e: »Mittelfris­tig wird die Partei sich mit der Frage beschäftig­en und sie plausibel beantworte­n müssen, warum sie bei einer so großen Bewegung von früheren Wählerinne­n und Wählern der Parteien links von der Union, von Grünen, SPD und Piratenpar­tei landesweit in nur so geringem Maße als Alternativ­e in Frage gekommen ist.«

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Foto: dpa/Guido Kirchner

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