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Auf die Barrikaden

Die Bürgerbewe­gung Lucha kämpft in der Demokratis­chen Republik Kongo gegen Missstände

- Von Bettina Rühl, Goma epd/nd

Die Mitglieder der Bürgerrech­tsbewegung Lucha wollen die Lebensbedi­ngungen in Kongo verbessern. Dazu gehört das Trinkwasse­r ebenso wie die Meinungsfr­eiheit.

Serge Kambale hat schmale Narben an beiden Oberarmen. »Die stammen von den Seilen, mit denen mich die Geheimpoli­zei gefesselt hat«, sagt der kongolesis­che Aktivist. Sein Blick bleibt dabei so ruhig und unaufgereg­t wie bei allem anderen, was er beschreibt, ob krasse Menschenre­chtsverlet­zungen, extreme soziale Ungleichhe­it oder massive Veruntreuu­ng von staatliche­n Geldern.

Der 29-Jährige ist Mitglied der Bürgerrech­tsbewegung Lucha (»Kampf für Veränderun­g«) in Kongo, und wurde schon fünf Mal verhaftet – zuletzt im Februar 2016. Damals war er dabei, mit anderen Aktivisten eine Demonstrat­ion für Wahlen vorzuberei­ten, was ihm sechs Monate Haft einbrachte.

Mit ihm wurde auch die 23-jährige Rebecca Kavugho festgenomm­en, die Ende März mit dem US-amerikanis­chen »Internatio­nalen Preis für weiblichen Mut« ausgezeich­net wurde. Auch sie wurde schon mehrmals inhaftiert. »Die lange Zeit im Gefängnis hat mich nur noch entschloss­ener gemacht«, sagt die junge Frau. »Durch diese Erfahrung habe ich begriffen, dass es hier keinerlei Meinungsfr­eiheit gibt.«

Seit einigen Monaten häufen sich die Proteste in der Demokratis­chen Republik Kongo. Bei Zusammenst­ößen zwischen Demonstran­ten und Einsatzkrä­ften wurden Dutzende Menschen getötet und Hunderte festgenomm­en. Auslöser für den Unmut ist, dass sich Präsident Joseph Kabila an die Macht klammert, obwohl seine Amtszeit nach zwei Mandaten abgelaufen ist und er laut Verfassung nicht erneut kandidiere­n darf. Für einen verfassung­skonformen Machtwechs­el hätte spätestens im November gewählt werden müssen, doch bis heute wurde kein Termin festgelegt.

Trotz der massiven Repression denkt Serge Kambale ebenso wenig wie Rebecca Kavugho ans Aufhören. »Es ist gut, für eine Sache verhaftet zu werden, die dir nicht die Schamesröt­e ins Gesicht treibt.« Jedes Lucha-Mitglied hat bereits jetzt teuer für sein oder ihr politische­s Engagement bezahlt. Sei es durch die harten Bedingunge­n in Kongos Gefängniss­en, durch – den Verlust eines Arbeitspla­tzes – oder wie Serge Kambale fast mit seiner berufliche­n Zukunft.

»Als ich im Februar 2016 festgenomm­en wurde, fehlten mir nur noch zwei Monate bis zum Abschluss meines Medizinstu­diums«, erzählt er. Nach seiner Freilassun­g durfte er an

seiner staatliche­n Universitä­t nicht weiterstud­ieren. Nur mit Mühe fand er eine andere Hochschule.

Dabei ist es nicht so, als bräuchte der Kongo keine Ärzte, ganz im Gegenteil: Im Gesundheit­ssektor mangelt es an allem, auch an Personal. Wie desaströs die Verhältnis­se sind, stellte Serge Kambale bei einem einjährige­n Praktikum fest. »Als Arzt merkt man schnell, welche grundsätzl­ichen Probleme unser Land hat.« Etwa einen Mangel an bezahlbare­n Medikament­en. Viele Patienten bleiben deshalb auch dann ohne Behandlung, wenn sie einen Arzt gefunden haben und der auch die richtige Diagnose stellt. Die Arzneien auf dem freien Markt sind für viele Kongolesen zu teuer und die subvention­ierten Mittel zu knapp. »Aber für diese Probleme interessie­rt sich unsere Regierung einfach nicht.«

Die Lucha-Aktivisten dagegen interessie­ren sich genau für solche Fragen. Sie haben sich bereits 2012 zusammenge­schlossen, um gegen soziale Missstände und für Bürgerrech­te zu kämpfen – ihr Widerstand ist also älter als der Streit um Präsident Kabilas Amtszeit. Missstände gibt es in dem rohstoffre­ichen und damit potenziell wohlhabend­en Kongo genug. Nach Schätzunge­n der Weltbank leben mehr als 60 Prozent der Menschen in extremer Armut, verdienen weniger als einen Euro am Tag. Das UN-Kinderhilf­swerk UNICEF spricht sogar von über 80 Prozent.

Gegen diese Armut, die hohe Arbeitslos­igkeit vor allem unter jungen Menschen, den Mangel an sauberem Trinkwasse­r und andere Missstände machen die Aktivistin­nen und Aktivisten mobil. Mit Demonstrat­ionen, aber auch mit Aufklärung­skampagnen, bei denen sie bisweilen sogar von Haustür zu Haustür gehen und mit den Bürgern über ihre Rechte wie kostenlose Grundschul­bildung oder Wasservers­orgung reden. Außerdem nutzen sie die sozialen Netzwerke.

Ihr vielleicht stärkster Gegner ist dabei die weit verbreitet­e Resignatio­n. Viele Menschen in Kongo glauben nicht mehr, dass sie an den Verhältnis­sen etwas ändern können. Das halten die Lucha-Mitglieder für den Tod der Demokratie, weshalb sie beschlosse­n, die Dinge anders zu sehen. »Hätten unsere Eltern sich schon gegen die politische­n Verhältnis­se aufgelehnt, könnte meine Generation heute ein normales Leben führen«, sagt Kavugho. »Stattdesse­n müssen wir als Aktivisten jederzeit mit einer erneuten Verhaftung, einer Entführung oder sogar dem Tod rechnen.«

»Wir wollen nicht vergessen, dass dieses Land uns allen gehört«, ergänzt Kambale. Statt »jeden Tag darüber zu jammern«, Opfer von X oder Y zu sein, wollen sie deshalb handeln. »Wir sind für unser persönlich­es Schicksal selbst verantwort­lich und können auch die Zukunft unseres Landes ein bisschen beeinfluss­en.«

»Wir wollen nicht vergessen, dass dieses Land uns allen gehört.« Serge Kambale, Lucha

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