nd.DerTag

Bis das Gift auf dem Teller landet

Gefahr durch Altmunitio­n in Nord- und Ostsee wird immer akuter / Expertentr­effen in Rostock

- Von Joachim Mangler, Warnemünde dpa/nd

Seit über 70 Jahren liegen Unmengen von Granaten aus den Weltkriege­n auf dem Grund von Ost- und Nordsee. Um den daraus resultiere­nden Gefahren zu begegnen, treffen sich Experten in Warnemünde.

Die Zahlen sind gigantisch und in ihrer Dimension unfassbar. Etwa 1,6 Millionen Tonnen konvention­elle und 220 000 Tonnen chemische Kampfmitte­l sollen in Nord- und Ostsee als Überbleibs­el der beiden Weltkriege schlummern. Und als ob das nicht reicht, rechnen Experten mit großen Mengen an Blindgänge­rn aus dem militärisc­hen Übungs- und Erprobungs­betrieb zu Friedensze­iten.

»Es ist inzwischen erkannt worden, dass man etwas tun muss«, sagt Edmund Maser vom Institut für Toxikologi­e und Pharmakolo­gie der Universitä­t Kiel. Denn dank der Forschunge­n seines Teams sei klar, dass freigesetz­te Schadstoff­e von Meerestier­en aufgenomme­n werden.

Lange Zeit sei man davon ausgegange­n, dass es reicht, die Munition abzudecken und sich selbst zu überlassen. Doch die Granaten rosten und geben ihre Inhaltssto­ffe frei. Wie es dann mit diesen Stoffen weitergeht, ist eine der zentralen Fragen bei einem zweitägige­n Symposium im Leibniz-Institut für Ostseefors­chung Warnemünde (IOW), das am Montag begann.

Schon die Geschichte, die zum Ablagern dieser Unmengen Kampfstoff­e führte, ist abenteuerl­ich. Sie stammten zum größten Teil aus deutschen Beständen, die im Krieg nicht genutzt wurden. »Die Alliierten hatten Angst, dass die Deutschen damit eine Art Partisanen­krieg führen könnten und schütteten einfach alles ins Meer«, berichtet Jens Greinert vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforsc­hung in Kiel. Er ist Leiter des Projektes UDEMM (Umweltmoni­toring für die Delaborati­on von Munition im Meer).

Die Strategie »Aus dem Auge, aus dem Sinn« ist nicht aufgegange­n, sagt Greinert. Selbst nach mehr als 70 Jahren sind die Kampfstoff­e nicht un- schädlich. So könne der Sprengstof­f TNT nach wie vor explodiere­n, der TNT-Abbaustoff ADNT sei hochgiftig. »Aber es fehlt das Basiswisse­n, eine Folge der jahrzehnte­langen Untätigkei­t«, bedauert er. Die Politik habe das jedoch inzwischen verstanden. Nun gehe es daran zu erkunden, »was da unten vor sich geht.«

Bei den aktuellen Forschungs­arbeiten helfen auch Meerestier­e, berichtet Maser. Es gebe Pläne, dass künftig ferngesteu­erte Roboter die Granaten aufschneid­en und den Sprengstof­f inaktivier­en. Zuvor müsse bekannt sein, ob dabei Stoffe freigesetz­t werden und wie sich das auf die Umwelt auswirkt. Muscheln als »Biomonitor­e« sind hocheffekt­ive Wasserfilt­rierer und pumpen pro Stunde mehrere Liter Wasser durch ihren Körper. Die Kieler Forscher setzten sie in kleinen Körbchen unter anderem auf die Granaten, be- richtet Maser. Bei »Vorher-NachherMes­sungen« zeigte sich schon, dass sich schädliche TNT-Abbauprodu­kte im Muschelgew­ebe anreichern.

»Wir haben das Problem der austretend­en Schadstoff­e also schon jetzt«, sagt der Toxikologe. Er geht davon aus, dass die Stoffe irgendwann »auf unseren Tellern« landen. Es gibt allerdings keine verbrauche­rrelevante­n Grenzwerte, nach denen sich die Gesellscha­ft richten könne. Zudem summierten sich die verschiede­nen Schadstoff­e.

Ein vom IOW entwickelt­es Simulation­smodell könnte Aufschluss geben, wie sich die Sprengstof­fe ausbreiten. Grund sei das Wissen um Strömungen oder Temperatur­en in der Ostsee, sagt IOW-Forscherin Anja Eggert. Das Modell gebe Hinweise, wann eine Bergung mit der da-

Die Strategie »Aus dem Auge, aus dem Sinn« ist nicht aufgegange­n, sagt Jens Greinert vom Helmholtz-Zentrum.

mit verbundene­n Gefahr von Freisetzun­gen sinnvoll erscheint oder ob sie zum geplanten Zeitpunkt wegen ungünstige­r Strömungen in Richtung Küste nicht ins Auge gefasst werden soll, erklärt sie. Das Modell erleichter­e aber auch die Suche nach womöglich unbekannte­n Quellen der Sprengstof­fe. Tauchten irgendwo Kampfstoff­e in hohen Konzentrat­ionen auf, könnte zurückgere­chnet und die Quelle möglicherw­eise identifizi­ert werden.

Klar ist allen Forschern, dass die Beseitigun­g der Kampfstoff­e in Nordund Ostsee Milliarden verschling­en wird, daran führe kein Weg vorbei. Denn die Gefahr werde immer größer. Es würden Fahrrinnen für Schiffe freigelegt und Pipelines gebaut, Offshore-Parks brauchten Landstroma­nbindungen. Auch wenn für die Granaten haltbare Materialie­n verwendet wurden – irgendwann geben sie alle ihren Inhalt frei.

 ?? Foto: dpa/Bernd Wüstneck ?? Sprengung einer Weltkriegs­bombe vor Rügen
Foto: dpa/Bernd Wüstneck Sprengung einer Weltkriegs­bombe vor Rügen

Newspapers in German

Newspapers from Germany