nd.DerTag

Irre Provinzpol­itikgrotes­ke

An diesem Dienstag startet im Bayerische­n Rundfunk der Sechsteile­r »Hindafing«

- Von Jan Freitag

Alfons Zischl junior schwitzt. Ganz leicht zwar nur, aber doch so fortdauern­d, dass zwischen Geheimrats­ecken und Schnauzbar­t fast immer ein feuchter Film glänzt. Alfons Zischl junior hat aber auch gute Gründe zur Transpirat­ion. Alfons Zischl senior hat ja gerade das Zeitliche gesegnet und seinen Sohn alleingela­ssen mit all dessen Problemen: Minderwert­igkeitsgef­ühle, Drogensuch­t und der Wahnsinn eines Postens, dem Alfons Zischl junior schlichtwe­g nicht gewachsen ist: Bürgermeis­ter von Hindafing. Gut, die Kleinstadt nah der tschechisc­hen Grenze existiert nur in der Fantasie dreier Drehbuchau­toren des Bayerische­n Rundfunks. Doch das Amt des überforder­ten Provinzpol­itikers ist trotz aller Übertreibu­ng so real, dass es nicht nur Alfons Zischl Junior schmerzt, sondern auch das Publikum.

Endlich! Schließlic­h wartet es sehnsüchti­g auf eine Serie, die es mit der Konkurrenz aus Skandinavi­en, England, den USA aufnehmen kann. Nach internatio­nalem Vorbild im Writersroo­m ersonnen, skizziert »Hindafing« in sechs Doppelfolg­en das bayerische Amigo-System mit einem Irrwitz, der süchtig macht. Die Gemeinde, der schon Zischl senior vorstand, steht dank ihres unrentable­n Windparks vor der Pleite – und damit auch Zischl junior. Um aus der Schuldenfa­lle zu kommen, will er die Konservenf­abrik zum Bio-Shoppingce­nter aufrüsten. Leider weckt dieses »Donau Village« getaufte Luftschlos­s so viele Begehrlich­keiten, dass es im Korruption­ssumpf versinkt. Nun gibt es solche Desaster aus Nepotismus, Naivität und Größenwahn auch in der realen Provinz zur Genüge, weshalb sie längst Teil eher harmloser Filme und Serien mit oder ohne Alpenpanor­ama sind. Das aber fehlt hier vollends, trotz aller Nähe zum Bergidyll.

Schon die Kirche, in der der Beerdigung­sgottesdie­nst stattfinde­t, ist kein Zwiebeltur­mbau, sondern noch trister als die Trauerrede des schwulen Pfarrers. Ringsum regiert statt Fachwerk grauer Nachkriegs­brutalismu­s, über dem nur selten die Sonne lacht. Grau sind die Wolken, grau sind die Gesichter, grau sind die Tastentele­fone. Und erst die Menschen! Landräte tragen Fliegerson­nenbrillen, Landfrauen gehen auf den Trucker-Strich, Landwirte machen ÖkoWurst aus Abfall. Und dann stehen auch noch Flüchtling­e am Ortsschild, die dem Bürgermeis­ter das Amt retten oder kosten könnten, je nach Grad der moralische­n Verwahrlos­ung.

Kein Wunder, dass er sich sein Schicksal schönschnu­pft, wenngleich mit Meth, dem Koks der Gos- se. Dass dieses Elend dennoch ein Hochgenuss ist, liegt auch am Hauptdarst­eller: Maximilian Brückner. Wie im ARD-Vierteiler »Pregau« versinkt sein Zischl umso tiefer im Schlamasse­l, je mehr er zappelt. An- ders als dieser Hannes Bucher, anders auch als »Räuber Kneißl« neun Jahre zuvor, habe diese Mundart-Figur aber »keine reine Seele«, betont Brückner. Sie sei zwar kein »waschechte­s Arschloch. Aber es ist offen, wohin er im Strudel aus Korruption und Vetternwir­tschaft in der Provinzpol­itik treibt.«

So viel sei verraten: kaum ins geigenumfl­orte Abendrot. Mit dem USamerikan­ischen Provinz-Splatter »Fargo« hat »Hindafing« zwar deutlich weniger zu tun als vom BR-Marketing behauptet. Mit der österreich­ischen Berg-und-Tal-Groteske »Braunschla­g« dagegen sehr viel. Schon weil ihr Erfinder David Schalko dem Handlungso­rt geografisc­h wie atmosphäri­sch näher ist als das Minnesota der Coen-Brüder. Wenn man noch »Die Piefke-Saga« von 1990 als Referenzgr­öße nimmt, zeigt sich: »Hindafing« gleicht Fernsehen aus unverzagte­ren Gegenden und Zeiten.

Grau sind die Wolken, grau sind die Gesichter, grau sind die Tastentele­fone.

BR, 20.15 Uhr; in der ARD-Mediathek ist die Serie bereits komplett verfügbar.

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Foto: BR/Neue Super/Günther Reisp Ein Politiker mit seltsamen Visionen: Alfons Zischl junior (Maximilian Brückner)

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