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Die neuen Regeln greifen nicht

Wie jetzt beim Giro d’Italia werden Begleitmot­orräder immer häufiger zur Sturzursac­he bei Radrennen, Fahrerprot­este blieben bislang ungehört

- Von Christoph Leuchtenbe­rg, Roccamoric­e SID/nd

Der Leichtsinn eines Motorradfa­hrers, der auf der neunten Etappe der Italienrun­dfahrt eine ganze Reihe an Favoriten zu Fall gebracht hat, heizt die Debatte über die Sicherheit im Rennen an.

Geraint Thomas steckte der Schrecken noch in den Gliedern, als er am zweiten Ruhetag zur lockeren Trainingsf­ahrt aufbrach. »Das hätte richtig übel ausgehen können«, sagte der walisische Olympiasie­ger, dessen Chancen auf den Gesamtsieg beim Giro d’Italia am Sonntag von einem unvorsicht­igen Motorradpo­lizisten zunichte gemacht worden waren. Auch wenn der Massencras­h von Roccamoric­e verhältnis­mäßig glimpflich endete: Die Sicherheit­sdiskussio­n im Radsport erhielt neue Nahrung. »So etwas ist absolut lächerlich«, schimpfte Thomas später, der sich bei dem Sturz die Schulter ausgekugel­t und die Etappe mit mehr als fünf Minuten Rückstand beendet hatte. »Das darf niemals passieren.«

Doch was genau war passiert? Als das Feld in Richtung Schlussans­tieg raste, stand auf der engen Provinzstr­aße 22 plötzlich ein Polizeimot­orrad am linken Fahrbahnra­nd im Weg. Der Niederländ­er Wilco Kelderman kam zu Fall und löste eine Kettenreak­tion aus. »Ich bin mit dem Lenker hängen geblieben«, sagte Kelderman, wichtigste­r Helfer seines Teamkapitä­ns Tom Dumoulin im deutschen Team Sunweb. Nicht auszudenke­n, welche Folgen ein ungebremst­er Frontalauf­prall gehabt hätte. So brach sich Kelderman »nur« einen Finger, der Giro war für ihn trotzdem beendet. Thomas, dessen Teamkolleg­e Mikel Landa und der Brite Adam Yates – gleich drei starke Klassement­fahrer – verloren viel Zeit.

Der Vorfall ist Wasser auf die Mühlen derer, die Motorräder im Fahrerfeld als mitunter unkalkulie­rbares Risiko ansehen. 2016 war der Belgier Antoine Demoitié bei Gent-Wevelgem nach einem Zusammenpr­all mit einem Begleitmot­orrad gestorben, wenig später lag Landsmann Stig Broeckx nach einem von Motorräder­n verursacht­en Unfall bei der Belgienrun­dfahrt im Koma.

Auf Druck der Fahrervere­inigung verabschie­dete der Weltverban­d neue Richtlinie­n – und doch krachte es nun beim Giro, immerhin die zweitgrößt­e Radsportve­ranstaltun­g des Jahres. Renndirekt­or Mauro Vegni reagierte unverständ­lich gelassen: »Klar, das Motorrad gehört da nicht hin, aber so etwas kann eben passieren.« Wäh- rend das Gros der Fahrer seinen Unmut kundtat, hielten sich die betroffene­n Teams mit Kritik an den Organisato­ren zurück. »Wir müssen jetzt ruhig bleiben und dürfen nicht überreagie­ren«, sagte Dave Brailsford, Chef von Thomas’ Team Sky. »Das alles ist emotional, aber wir müssen es in Ruhe bewerten.«

Derweil hagelte es Kritik für die Movistar-Mannschaft. Ihr kolumbiani­scher Topfavorit Nairo Quintana hatte die Etappe gewonnen und die Gesamtführ­ung übernommen, nachdem das gesamte Team trotz des Massenstur­zes Tempo gemacht hatte. Thomas und Co. waren auch dadurch ohne Chance geblieben, noch einmal aufzuschli­eßen. »Das war eine ganz schlechte Entscheidu­ng von Movistar, völlig überflüssi­g«, polterte Oricas Sportdirek­tor Matt White: »Sie hätten einen kleinen Moment warten müssen – so war das ziemlich unsportlic­h.«

Quintana ging auf den Vorfall nicht wirklich ein. »Ich bin total entsetzt über das, was meinem Team passiert ist«, twitterte derweil Sky-Kapitän Chris Froome, der sich in Südfrankre­ich auf die Tour de France vorbereite­t. Dort wird Quintana womöglich sein größter Konkurrent – seit Sonntag ist das Duell noch ein wenig brisanter geworden.

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Foto: AFP/Fabio Ferrari Nairo Quintana profitiert­e vom Sturz seiner Widersache­r.

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