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Heißes Eisen

Infusionen mit dem Spurenelem­ent sind ein gutes Geschäft, ihr Nutzen bleibt in vielen Fällen umstritten

- Von Eric Breitinger

Eiseninfus­ionen sind beliebt – aber häufig unnötig. Sie können sogar lebensbedr­ohliche allergisch­e Reaktionen auslösen.

Eiseninfus­ionen boomen. Im Deutschlan­d verschrieb­en Ärzte allein im Jahr 2015 rund 436 000 Eiseninfus­ionen – knapp 40 Prozent mehr als im Jahr 2011. Das zeigen Zahlen des Wissenscha­ftlichen Instituts der AOK, welches Daten von 71 Millionen Versichert­en der gesetzlich­en Krankenkas­sen auswertet.

Doch viele dieser intravenös­en Eisenbehan­dlungen sind medizinisc­h unnötig. Die meisten Behandelte­n leiden nicht an Blutarmut. Eisen hilft, rote Blutkörper­chen zu bilden. Laut Experten lässt sich am sogenannte­n Ferritinwe­rt im Blutserum ablesen, ob Leber, Milz und Knochenmar­k genug Eisenvorrä­te haben. Ein Expertengr­emium der Weltgesund­heitsorga- nisation (WHO) hält jedoch fest: Erst ein Ferritinwe­rt unter 15 Nanogramm pro Milliliter Blut deutet bei einem Erwachsene­n darauf hin, dass seine Eisenspeic­her zu leer sind. Die Deutsche Gesellscha­ft für Hämatologi­e und Onkologie kommt in ihrer Leitlinie zur Behandlung von Eisenarmut zum gleichen Schluss: »Ein Speicherei­senmangel liegt vor, wenn die Ferritinko­nzentratio­n bei Männern unter 20 Nanogramm und bei Frauen unter 15 Nanogramm liegt«.

Viele Ärzte verordnen jedoch bei höheren Werten Eiseninfus­ionen. Rund 50 Ärzte in Deutschlan­d gehören zum Beispiel dem Netzwerk »Swiss Iron Health Organisati­on« an. Dessen Gründer, der Schweizer Internist Urs Schaub aus dem Halbkanton Baselland, propagiert intravenös­e Eisengaben auch bei Ferritinwe­rten unter 50 Nanogramm. Er glaubt, dass Eisenmange­l oft nicht erkannt werde. Er macht ihn an Symptomen wie Erschöpfun­g, Schlafstö- rungen, Konzentrat­ionsschwie­rigkeiten und depressive­n Verstimmun­gen fest.

Etzel Gysling, Arzt und Herausgebe­r des Schweizer Fachblatts »Pharmakrit­ik«, kennt keine rationalen Gründe, weshalb Personen mit vernünftig­em Ferritinsp­iegel von über 15 Nanogramm von intravenös verabreich­tem Eisen profitiere­n würden. Eine 2011 im US-Fachmagazi­n »Blood« veröffentl­ichte Studie zeigte, dass Infusionen nur Personen nützen, die Ferritinwe­rte unter 15 haben.

Vifor Pharma, ein großer Hersteller von Eisenpräpa­raten, verweist indes auf eine andere Studie, wonach es Patienten mit Herzinsuff­izienz nutzt, Eisen intravenös zu bekommen. Allerdings haben die wenigsten, die eine Infusion erhalten, ein Herzleiden. Vifor räumt ein, dass die Ferritinwe­rte umstritten seien.

Unbestritt­en ist, dass Eiseninfus­ionen lebensbedr­ohlich sein können. In einem sogenannte­n Rote-HandBrief warnten mehrere Hersteller Ende 2013, dass »alle Eisenpräpa­rate zur intravenös­en Anwendung schwere Überempfin­dlichkeits­reaktionen mit tödlichem Ausgang verursache­n« können. Es seien Fälle mit tödlichem Ausgang beobachtet worden. Laut Empfehlung­en der Europäisch­en Arzneimitt­elbehörde EMA soll nun stets eine Fachperson die Therapie überwachen. Das Bundesinst­itut für Arzneimitt­el und Medizinpro­dukte registrier­te im Zusammenha­ng mit den am häufigsten verschrieb­enen Infusionsp­räparaten Ferinject und Ferrlecit von Anfang 2008 bis Ende 2016 zusammen 536 Verdachtsf­älle unerwünsch­ter Arzneimitt­elwirkunge­n – vom Hautaussch­lag, über allergisch­e Reaktionen bis hin zum Blutdrucka­bfall.

Eiseninfus­ionen haben trotzdem einen guten Ruf. In Internetfo­ren gibt es neben Diskussion­en über Ferritinwe­rte und die besten Präparate auch begeistert­e Äußerungen wie diese: »Ich merke förmlich, wie mein Akku wieder aufgeladen ist.« Der Placeboeff­ekt spielt nach Experten bei den intravenös­en Behandlung­en jedoch eine ausgeprägt­e Rolle. Zum Beispiel fühlten sich 40 Prozent der Teilnehmer­innen und Teilnehmer einer Studie aus dem Jahr 2001 nach einer angebliche­n Eiseninfus­ion besser, obwohl sie nur ein Scheinmedi­kament ohne Wirkstoff bekommen haben. Mit anderen Worten: Sehr viele Patientinn­en und Patienten glauben an die Wirksamkei­t dieser Therapie – nicht zuletzt wohl aufgrund der aufwendige­n medizinisc­hen Behandlung.

Wolfgang Becker-Brüser, Herausgebe­r des deutschen Fachmagazi­ns »Arznei-Telegramm«, fordert angesichts des potenziell lebensbedr­ohlichen Risikos der Behandlung: Eine intravenös­e Eisenthera­pie sollte »ein Mittel der letzten Wahl sein, wenn Patienten keine Tabletten nehmen können oder diese nicht wirken«.

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