Iran und Wahlen
Soziale Lage und das Atom-Abkommen prägen die Debatten zur iranischen Präsidentenwahl
Zwei Reformer und zwei Konservative wollen Präsident werden.
In Iran wird Freitag gewählt. Während Kandidaten und Medien daraus eine Richtungsentscheidung über den Atom-Deal machen, geht es für die Menschen um Soziales, die Wirtschaft und Bürgerrechte.
Acht Uhr morgens war am Donnerstag alles vorbei. Gerade noch hatten Aktivisten mit Postern und Flugblättern der Kandidaten für die Präsidentschaftswahl und die gleichzeitig stattfindenden Kommunalwahlen den chronisch stockenden Verkehr im Stadtzentrum von Teheran bedrängt, den Fahrern Parolen zugerufen. Nun verschwanden sie von einer Minute zur anderen.
Denn in Iran ist der Wahlkampf streng reglementiert, beginnt zwei Wochen vor der Wahl und endet 24 Stunden, bevor die Wahllokale öffnen. Jeder Kandidat tut gut daran, seine Mitarbeiter auf die strengen Regeln einzuschwören, denn die Strafen sind ebenso streng. Hatte man bei der Parlamentswahl Anfang 2016 immer wieder auch beide Augen zugedrückt, geht das Wahlamt, das beim Innenministerium für die Durchführung der Abstimmungen zuständig ist, dieses Mal mit großem Eifer an die Durchsetzung der Vorschriften. »Die Wahl soll möglichst frei sein«, sagt Ali Asghar Ahmadi, Chef des Wahlamts: »Wir möchten jeden Vorwurf des Wahlbetrugs im Keim ersticken. Kein Kandidat, so mächtig er auch sein mag, soll einen Vorteil haben.«
Denn mehrmals war es in der Vergangenheit über Vorwürfe von Wahlbetrug zu Massenprotesten gekommen, die von den Sicherheitskräften niedergeschlagen wurden. Dieses Mal ist die Öffentlichkeit ohnehin schon gespaltener als je zuvor in den vergangenen Jahren. Leidenschaftlich wird über den wirtschaftlichen Kurs gestritten. Immer wieder mussten sich die Kandidaten, darunter auch der den Technokraten zugerechnete Präsident Hassan Ruhani, kritische, oft auch wütende Fragen zu sozialen Themen gefallen lassen.
Die Armut im Land ist groß. Bis zu 30 Prozent der Iraner unter 30 Jahren haben keinen festen Arbeitsplatz. »Unser Land befindet sich an einem Scheideweg«, sagt Reza, ein 24-jähriger Jurist, der am Morgen auf einem Teheraner Markt Besorgungen erledigt. Dort berichten die Händler, die Menschen würden nun besonders hart feilschen: »Viele haben weniger Geld als früher, während die Preise gestiegen sind«, sagt Hamid Ansari, ein Lebensmittelhändler. Der Grund dafür, sagt er, sei vor allem, dass die Regierung Subventionen für Grundnahrungsmittel abgebaut hat. Federführend: Präsident Hassan Ruhani, der durch die Aushandlung des Atomabkommens mit dem Westen große Hoffnungen auf sich zog.
Vor dem Studienabschluss, erzählt Jurist Reza, habe er von einem gut bezahlten Job bei einem ausländischen Unternehmen geträumt: »Als das Nuklear-Abkommen mit dem Westen unterzeichnet wurde, habe ich mir gedacht, dass ich alles richtig gemacht habe, dass Leute wie ich gebraucht werden.«
Doch anstatt ihre Sanktionen aufzuheben, verhängten die Vereinigten Staaten weitere. Sie sorgten so dafür, dass auch europäische Unternehmen von Investitionen in Iran Abstand nehmen. Die Gründe für diese Entwicklung sind vielfältig, haben ihre Ursache in den politischen Konstellationen sowohl in den USA als auch in Iran.
Doch gerade weil sich Präsident Ruhani immer wieder in den Medien zeigen ließ, wie er im Ausland Milliarden teure Verträge für neue Flugzeuge unterzeichnet, hat sich in der Öffentlichkeit das Bild gefestigt, dass die Regierung durch die Freigabe von blockierten Guthaben bei europäischen Banken im Geld schwimmt, während man die Bevölkerung dar- ben lässt. »Ganz ehrlich. Wir brauchen keine neuen Flugzeuge. Es hat keiner das Geld, um irgendwohin zu fliegen. Wir brauchen eine verantwortungsvolle Politik«, sagt Reza.
Doch wie die aussehen könnte, darüber besteht keine Einigkeit. Menschen sind stehen geblieben, folgen dem Gespräch. Alt, Jung, Männer, Frauen: Jede und jeder will seine Meinung sagen. Dabei geht es nicht nur um die soziale Lage, die Wirtschaft.
Auch die Frage, ob die iranische
»Viele haben weniger Geld als früher, während die Preise gestiegen sind.« Hamid Ansari, Händler
Politik, ob die Revolutionsgarden sich in Syrien, Jemen und Irak einmischen, die Hisbollah die Hamas unterstützen sollen, wird kontrovers diskutiert. »Es ist der beste Weg, um uns unsere Feinde vom Leib zu halten«, sagt ein älterer Herr. »Viel zu teuer und viel zu gefährlich«, antwortet ihm eine junge Frau und ergänzt: »Für den Westen und Israel sind wir damit die Herrscher auf der Achse des Bösen, was uns doch über- haupt die Sanktionen eingebracht hat.«
Einigkeit besteht in der Erkenntnis, dass es den Menschen vielfach an Informationen mangelt. Denn Medien und Internet werden streng kontrolliert. Vor den Wahlen wurden gut zwei Dutzend vor allem online publizierende Journalisten festgenommen. Als Begründung musste das Wahlgesetz herhalten. Für eine freie und faire Wahl, sagt ein Sprecher des Innenministeriums, sei auch eine Prüfung von Informationen erforderlich: »Fake News sind ein weltweites Problem, und wir müssen dagegen vorgehen, um faire Wahlen zu ermöglichen.« Wahlamtschef Ahmadi indes will dazu nichts sagen; es sei ein »kontroverses Thema«.
Denn auch die Meinungsfreiheit wird öffentlich diskutiert. Mit Stolz sprechen die Menschen davon, dass man das Staatsfernsehen mit öffentlichem Druck dazu bewegt habe, zwei der drei Wahldebatten live zu übertragen, zum ersten Mal überhaupt. »Ich denke«, sagt Reza, »dass der größte Erfolg des Abkommens mit dem Westen ist, dass sich die Menschen mit dem Ausland beschäftigen, und sich Gedanken über die Zukunft machen. Ich hoffe, dass die Regierung unsere Gedanken nicht ab Samstag wieder verbietet.«