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Iran und Wahlen

Soziale Lage und das Atom-Abkommen prägen die Debatten zur iranischen Präsidente­nwahl

- Von Oliver Eberhardt, Teheran

Zwei Reformer und zwei Konservati­ve wollen Präsident werden.

In Iran wird Freitag gewählt. Während Kandidaten und Medien daraus eine Richtungse­ntscheidun­g über den Atom-Deal machen, geht es für die Menschen um Soziales, die Wirtschaft und Bürgerrech­te.

Acht Uhr morgens war am Donnerstag alles vorbei. Gerade noch hatten Aktivisten mit Postern und Flugblätte­rn der Kandidaten für die Präsidents­chaftswahl und die gleichzeit­ig stattfinde­nden Kommunalwa­hlen den chronisch stockenden Verkehr im Stadtzentr­um von Teheran bedrängt, den Fahrern Parolen zugerufen. Nun verschwand­en sie von einer Minute zur anderen.

Denn in Iran ist der Wahlkampf streng reglementi­ert, beginnt zwei Wochen vor der Wahl und endet 24 Stunden, bevor die Wahllokale öffnen. Jeder Kandidat tut gut daran, seine Mitarbeite­r auf die strengen Regeln einzuschwö­ren, denn die Strafen sind ebenso streng. Hatte man bei der Parlaments­wahl Anfang 2016 immer wieder auch beide Augen zugedrückt, geht das Wahlamt, das beim Innenminis­terium für die Durchführu­ng der Abstimmung­en zuständig ist, dieses Mal mit großem Eifer an die Durchsetzu­ng der Vorschrift­en. »Die Wahl soll möglichst frei sein«, sagt Ali Asghar Ahmadi, Chef des Wahlamts: »Wir möchten jeden Vorwurf des Wahlbetrug­s im Keim ersticken. Kein Kandidat, so mächtig er auch sein mag, soll einen Vorteil haben.«

Denn mehrmals war es in der Vergangenh­eit über Vorwürfe von Wahlbetrug zu Massenprot­esten gekommen, die von den Sicherheit­skräften niedergesc­hlagen wurden. Dieses Mal ist die Öffentlich­keit ohnehin schon gespaltene­r als je zuvor in den vergangene­n Jahren. Leidenscha­ftlich wird über den wirtschaft­lichen Kurs gestritten. Immer wieder mussten sich die Kandidaten, darunter auch der den Technokrat­en zugerechne­te Präsident Hassan Ruhani, kritische, oft auch wütende Fragen zu sozialen Themen gefallen lassen.

Die Armut im Land ist groß. Bis zu 30 Prozent der Iraner unter 30 Jahren haben keinen festen Arbeitspla­tz. »Unser Land befindet sich an einem Scheideweg«, sagt Reza, ein 24-jähriger Jurist, der am Morgen auf einem Teheraner Markt Besorgunge­n erledigt. Dort berichten die Händler, die Menschen würden nun besonders hart feilschen: »Viele haben weniger Geld als früher, während die Preise gestiegen sind«, sagt Hamid Ansari, ein Lebensmitt­elhändler. Der Grund dafür, sagt er, sei vor allem, dass die Regierung Subvention­en für Grundnahru­ngsmittel abgebaut hat. Federführe­nd: Präsident Hassan Ruhani, der durch die Aushandlun­g des Atomabkomm­ens mit dem Westen große Hoffnungen auf sich zog.

Vor dem Studienabs­chluss, erzählt Jurist Reza, habe er von einem gut bezahlten Job bei einem ausländisc­hen Unternehme­n geträumt: »Als das Nuklear-Abkommen mit dem Westen unterzeich­net wurde, habe ich mir gedacht, dass ich alles richtig gemacht habe, dass Leute wie ich gebraucht werden.«

Doch anstatt ihre Sanktionen aufzuheben, verhängten die Vereinigte­n Staaten weitere. Sie sorgten so dafür, dass auch europäisch­e Unternehme­n von Investitio­nen in Iran Abstand nehmen. Die Gründe für diese Entwicklun­g sind vielfältig, haben ihre Ursache in den politische­n Konstellat­ionen sowohl in den USA als auch in Iran.

Doch gerade weil sich Präsident Ruhani immer wieder in den Medien zeigen ließ, wie er im Ausland Milliarden teure Verträge für neue Flugzeuge unterzeich­net, hat sich in der Öffentlich­keit das Bild gefestigt, dass die Regierung durch die Freigabe von blockierte­n Guthaben bei europäisch­en Banken im Geld schwimmt, während man die Bevölkerun­g dar- ben lässt. »Ganz ehrlich. Wir brauchen keine neuen Flugzeuge. Es hat keiner das Geld, um irgendwohi­n zu fliegen. Wir brauchen eine verantwort­ungsvolle Politik«, sagt Reza.

Doch wie die aussehen könnte, darüber besteht keine Einigkeit. Menschen sind stehen geblieben, folgen dem Gespräch. Alt, Jung, Männer, Frauen: Jede und jeder will seine Meinung sagen. Dabei geht es nicht nur um die soziale Lage, die Wirtschaft.

Auch die Frage, ob die iranische

»Viele haben weniger Geld als früher, während die Preise gestiegen sind.« Hamid Ansari, Händler

Politik, ob die Revolution­sgarden sich in Syrien, Jemen und Irak einmischen, die Hisbollah die Hamas unterstütz­en sollen, wird kontrovers diskutiert. »Es ist der beste Weg, um uns unsere Feinde vom Leib zu halten«, sagt ein älterer Herr. »Viel zu teuer und viel zu gefährlich«, antwortet ihm eine junge Frau und ergänzt: »Für den Westen und Israel sind wir damit die Herrscher auf der Achse des Bösen, was uns doch über- haupt die Sanktionen eingebrach­t hat.«

Einigkeit besteht in der Erkenntnis, dass es den Menschen vielfach an Informatio­nen mangelt. Denn Medien und Internet werden streng kontrollie­rt. Vor den Wahlen wurden gut zwei Dutzend vor allem online publiziere­nde Journalist­en festgenomm­en. Als Begründung musste das Wahlgesetz herhalten. Für eine freie und faire Wahl, sagt ein Sprecher des Innenminis­teriums, sei auch eine Prüfung von Informatio­nen erforderli­ch: »Fake News sind ein weltweites Problem, und wir müssen dagegen vorgehen, um faire Wahlen zu ermögliche­n.« Wahlamtsch­ef Ahmadi indes will dazu nichts sagen; es sei ein »kontrovers­es Thema«.

Denn auch die Meinungsfr­eiheit wird öffentlich diskutiert. Mit Stolz sprechen die Menschen davon, dass man das Staatsfern­sehen mit öffentlich­em Druck dazu bewegt habe, zwei der drei Wahldebatt­en live zu übertragen, zum ersten Mal überhaupt. »Ich denke«, sagt Reza, »dass der größte Erfolg des Abkommens mit dem Westen ist, dass sich die Menschen mit dem Ausland beschäftig­en, und sich Gedanken über die Zukunft machen. Ich hoffe, dass die Regierung unsere Gedanken nicht ab Samstag wieder verbietet.«

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Foto: dpa/Abedin Taherkenar­eh
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Foto: AFP/Berouz Mehri Iranische Frauen haben sich im Wahlkampf für ihre Rechte eingesetzt.

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