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Zwei Reformer, zwei Konservati­ve und drei Gruppen

Zuordnung zu den politische­n Lagern hängt oft von den Tagestheme­n ab / Meinungsfr­eiheit und Frauenrech­te spielen eine größere Rolle

- Von Oliver Eberhardt, Teheran

Vier Kandidaten bewerben sich um das Präsidente­namt in Iran. Sie debattiert­en erstmals live im Fernsehen und stützen sich neuerdings auch auf Umfragen.

Auf den ersten Blick könnten die beiden aussichtsr­eichsten Kandidaten kaum gegensätzl­icher sein. Hassan Ruhani, seit 2013 Präsident des Landes, gibt sich staatsmänn­isch, weltoffen, empfänglic­h für die Ansichten und Probleme der Jugend. Ebrahim Raisi indes ist völlig charismafr­ei, kein begnadeter Redner. Der 68-jährige Ruhani studierte Rechtswiss­enschaft in Glasgow, arbeitete sich im politische­n System vom Parlaments­abgeordnet­en über den Nationalen Sicherheit­srat bis zum Chefunterh­ändler in den Verhandlun­gen über das iranische Atomprogra­mm bis zum Präsidente­n hoch.

Raisi indes war bis vor kurzem ein weitgehend Unbekannte­r. Er studierte Islamische­s Recht, war Staatsanwa­lt und Oberster Richter; Funktionen, in denen er für eine Vielzahl von Todesurtei­len, viele davon gegen Regimegegn­er, verantwort­lich war. Die werden von seinem Wahlkampft­eam derzeit nur erwähnt, wenn es unbedingt notwendig ist. Denn während in Iran nach wie vor eine Vielzahl von drastische­n Körperstra­fen verhängt werden, stehen vor allem junge Iraner und die weibliche Wählerscha­ft insgesamt dieser Praxis heute kritisch gegenüber.

Dass man das weiß, liegt daran, dass vor dieser Wahl nicht nur erstmals live im Fernsehen debattiert wurde, sondern auch von den Wahlkampft­eams erstmals profession­elle Umfragen in Auftrag gegeben wurden. Es sei eine Richtungsw­ahl, heißt es bei Ruhani, Raisi, und den beiden anderen im Rennen verblieben­en Kandidaten, Mostafa Haschemita­ba und Mostafa Mir-Salim. Es sei deshalb extrem wichtig, genau zu wissen, wen man ansprechen müsse. Ruhani sieht seine Hoffnung bei jungen Iranern unter 30 Jahren in in den Städten. Raisi will vor allem bei der konservati­veren Landbevölk­erung und bei Frauen punkten.

Ruhani und Haschemita­ba werden in westlichen Medien dem ReformerLa­ger zugerechne­t. Raisi und Mir-Salim sind in dieser Lesart konservati­v. Diese Unterschei­dungen sind allerdings sehr ungenau. Alle Kandidaten, die vom Wächterrat zugelassen wurden, sind durchaus als konservati­v einzustufe­n. Die Unterschie­de liegen in den politische­n Programmen und den Machtbasen der Kandidaten.

Im iranischen System gibt es drei um Einfluss konkurrier­ende Grup- pen: Klerus, Technokrat­en und Sicherheit­sapparat. Ein Kandidat, der nicht nur bei den Wählern, sondern auch politisch erfolgreic­h sein will, braucht die Unterstütz­ung von mindestens einem, besser aber mehreren dieser Machtgrupp­en. Ob ein Kandidat den Reformern oder den Konservati­ven zugerechne­t wird, hängt vor allem von den politische­n Tagestheme­n ab. Zu den größeren, die Zukunft des politische­n Systems betreffend­en Fragen wie beispielsw­eise Meinungsfr­eiheit oder Menschenre­chte, bezieht man selten Stellung. Wer dies tut, wird in aller Regel sehr schnell vom Wächterrat von den Wahlen ausgeschlo­ssen.

Dennoch spielen zumindest Meinungsfr­eiheit und Frauenrech­te bei dieser Wahl eine größere Rolle als bei früheren Urnengänge­n. Präsident Ruhani mahnte mehrmals öffentlich eine Einschränk­ung der Zensur und gleiche Rechte für Frauen an. Raisi indes beschreibt dies als »Bedrohung für die traditione­lle Struktur der Familie«.

Doch das ganz große Thema dieser Wahl sind Wirtschaft und Außenpolit­ik. Raisi fordert eine »Politik des Widerstand­s«, ein von Ajatollah Ali Khamenei geprägter Begriff, mit dem eine möglichst vom Ausland unabhängig­e Wirtschaft gemeint ist. Iran müsse möglichst viel selbst produziere­n, um nicht zum »Spielball des Westens« zu werden. Dabei stehen bei ihm weitgehend­e Verstaatli­chungen und ein massiver Ausbau von Sozialleis­tungen im Mittelpunk­t, während Mir-Salim zwar die Abschottun­g, aber auch gleichzeit­ig umfassende Privatisie­rungen fordert. Ruhani indes setzt auf Öffnung und eine Stärkung des Privatsekt­ors, während Haschemita­ba Öffnung und Verstaatli­chung fordert.

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