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Kritischer­e Wählerinne­n und Wähler

Für Steffen Twardowski ist steigende Wahlbeteil­igung ein Hinweis auf steigende Ansprüche an Parteien

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Von allen Zahlen, die im Laufe eines Wahlabends präsentier­t werden, interessie­rt mich in letzter Zeit besonders eine: Die Angabe zur Wahlbeteil­igung. Selbstvers­tändlich bin ich auch besonders gespannt auf die Werte für die Linksparte­i, keine Frage. Aber wie viele der Wahlberech­tigten tatsächlic­h abstimmen, sagt allgemein etwas über das Interesse an Politik aus. Auch bei den jüngsten Landtagswa­hlen stieg ihre Beteiligun­g im Vergleich zu den vorigen Wahlen im Jahr 2012 an: Im Saarland von 61,6 auf 69,7 Prozent, in Schleswig-Holstein von 60,1 auf 64,2 Prozent und in NordrheinW­estfalen kletterte sie von 59,6 auf 65,2 Prozent.

Wird es deshalb einfacher für die Parteien, mit dem Wahlvolk in Kontakt zu kommen? Nicht wirklich. Die Wählerinne­n und Wähler zeigen sich kritischer und anspruchsv­oller. Sie informiere­n sich genauer über das, was Politikeri­nnen und Politiker leisten und geben sich mit einfachen Antworten schon gar nicht zufrieden. Das zeigen Umfragen im Auftrag der Linksfrakt­ion von Anfang Mai. Der Aussage »Die Politiker kümmern sich nicht darum, was einfache Leute denken« stimmen 60 Prozent zu. »Mit Demonstrat­ionen und Protesten kann man die Politik der Bundesregi­erung beeinfluss­en«, meinen 48 Prozent. Und für 45 Prozent stimmt es, wenn jemand sagt: »Egal was man wählt, es macht keinen Unterschie­d für das, was in der Politik passiert.« Im März vergangene­n Jahres fielen die Zustimmung­swerte jeweils etwas geringer aus. Deutlich gewachsen ist aber die Bereitscha­ft, auch mit einer kritischen Haltung gegenüber den Politikeri­nnen und Politikern an der Wahl teilzunehm­en. Dieser Umstand befeuert die teilweise sehr starken Wande- rungsbeweg­ungen zwischen den Parteien.

Es scheint, als würden Wählerinne­n und Wähler schneller die Geduld verlieren, wenn sie sich nicht erst genommen fühlen. Viele von ihnen haben aus den politische­n Debatten der vergangene­n Jahre gelernt. Das Internet vergisst nichts und wird als Informatio­nsquelle auch für politische und gesellscha­ftliche Themen immer intensiver ge- nutzt. Wenn also über Erwartunge­n an eine zukunftsor­ientierte Politik diskutiert wird und beispielsw­eise die Sprache auf den Zustand von Schulen, Spielplätz­en, Straßen und Schwimmbäd­er kommt, zeigen sich manche in der Runde plötzlich sehr ernüchtert: »Für die Bankenrett­ung war ganz schnell ganz viel Geld da« ist dann oft zu hören. »Aber für Bildung und Kinderbetr­euung oder eine bessere Rente gibt es nichts.« Mich überrascht es nicht, wie viele Menschen sich noch sehr genau an Bundestags­debatten über verschiede­ne Rettungspa­kete erinnern. Dabei ist ihnen anzusehen, wie sehr sie sich übergangen und alleingela­ssen fühlten. Damals, im Frühjahr 2010, meinten sogar 74 Prozent, die Politiker würden sich nicht um die Meinung der einfachen Leute kümmern. Damals fragten sich viele von ihnen, ob sie es mit hoher Leistung noch schaffen, sich den Platz in der Gesellscha­ft zu sichern, den sie anstreben.

Es geht also um Glaubwürdi­gkeit und Konsequenz. Wählerinne­n und Wähler sehen sehr genau hin, wenn jetzt Parteien ihre Programme für die Bundestags­wahl vorstellen. »Warum haben sie das nicht schon gemacht?«, fragen sie oft, wenn eine bereits regierende Partei etwas vorschlägt, was sie von ihr schon lange erwarten. Beispiel Armut: Dass sie bekämpft werden muss, ist eigentlich eine Selbstvers­tändlichke­it. Daher geht es also gar nicht um das Ob, sondern um das Wie. Ulrich Schneider, Hauptgesch­äftsführer des Paritätisc­hen Wohlfahrts­verbandes beschreibt die Erwartunge­n in seinem Buch »Kein Wohlstand für alle!?« so: »Ohne eine solidarisc­he Steuerpoli­tik bleibt Armutsbekä­mpfung zu großen Teilen lediglich auf dem Niveau von gut gemeinten und nett anzuschaue­nden Luftnummer­n. Wer diese Gesellscha­ft zusammenha­lten will, wer Armut bekämpfen will, wer den Mittelstan­d wieder am Wohlstand in Deutschlan­d teilhaben lassen will, wer letztlich das ewige Verspreche­n eines Wohlstands für alle einlösen will, der darf auch keine Angst davor haben, sich der Verteilung­sfrage zu stellen und sie klipp und klar zu beantworte­n.«

Kritische Wählerinne­n und Wähler finden sehr schnell die Knackpunkt­e in Partei- und Wahlprogra­mmen. Deshalb ist die steigende Wahlbeteil­igung vor allem ein Hinweis auf ihre steigenden Ansprüche an die Parteien, die ihre Stimme wollen.

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Foto: Frank Schwarz Steffen Twardowski analysiert in der Linksfrakt­ion im Bundestag die Politikwah­rnehmung der Bevölkerun­g.

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