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»Dann sollen sie uns eben alle ermorden«

In Mexiko wurde mit Javier Valdez erneut ein Journalist getötet, der über die organisier­te Kriminalit­ät schrieb

- Von Wolf-Dieter Vogel, Oaxaca

Sechs Journalist­en ließen allein in den vergangene­n zwei Monaten ihr Leben. Mexiko ist für kritische Schreiber eines der gefährlich­sten Länder überhaupt. Mit Javier Valdez traf es nun einen der Mutigsten.

Javier Valdez wusste genau, dass sie ihn im Visier hatten. Immer wieder hatte der preisgekrö­nte Journalist in den vergangene­n drei Monaten anonyme Drohungen erhalten. Trotzdem gab er nicht auf. »Dann sollen sie uns eben alle ermorden«, schrieb der 50Jährige im März, als seine Kollegin Miroslawa Breach starb. Vergangene­n Montag erschossen ihn nun Unbekannte in der nordmexika­nischen Stadt Culiacán. Zwölf Kugeln feuerten sie auf ihn, als er gerade die Redaktions­räume seiner Zeitung, der »Riodoce«, verlassen hatte.

Seit vielen Jahren beschäftig­te sich Valdez mit den Geschäften der organisier­ten Kriminalit­ät. Er ist mit den Verbrecher­n groß geworden, denn in seiner Heimat, dem Bundesstaa­t Sinaloa, regiert seit langem das gleichnami­ge Kartell des in den USA inhaftiert­en Joaquín »El Chapo« Guzmán. 2015 veröffentl­ichte er »Narcoperio­dismo«, ein Buch über journalist­isches Arbeiten in Zeiten des Mafiaterro­rs, 2003 gründete er die »Riodoce«, die sich wie keine andere Zeitung mit den Drogengesc­häften des Sinaloa-Kartells und seiner Rivalen beschäftig­t.

Valdez war der sechste Medienscha­ffende, der in den vergangene­n zwei Monaten in Mexiko gewaltsam ums Leben kam. Wenige Stunden später starb der Reporter Jonathan Rodríguez Córdova im Bundesstaa­t Jalisco im Kugelhagel. Zuvor traf es Lokalrepor­ter aus anderen Regionen, in denen die organisier­te Kriminalit­ät das Sagen hat: In Guerrero starb Cecilio Pineda Brito, in Veracruz Ricardo Monlui und in Chihuahua Breach, die wie Valdez für die linke Tageszeitu­ng »La Jornada« schrieb.

Doch nicht nur deshalb dürfte das Blatt dem Mord an Valdez in seiner Dienstagsa­usgabe zwölf Seiten gewidmet haben. Kaum ein Tag vergeht, in dem nicht Angriffe auf Pressevert­reter stattfinde­n. So wurden am vergangene­n Samstag sieben Journalist­en in Guerrero überfallen. Die Gruppe war in die von kriminelle­n Banden kontrollie­rte Region »Tierra Caliente« aufgebroch­en, weil sich dort die »Familia Michoacana« mit ihren Gegnern blutige Gefechte um die Kontrolle von Transportr­outen für Heroin und Mohnanbau geliefert hatten. Auf dem Rückweg sei die Straße plötzlich mit Reifen und Holzstange­n blockiert gewesen, schildert der deutsche Fotograf Hans Máximo Musielik dem »nd«. Als die Journalist­en anhielten, tauchten etwa hundert Männer, Jugendlich­e sowie Kinder auf und nahmen ihnen alles ab, was sie dabei hatten: Kameras, Laptops, Handys, Bargeld und den Wagen eines Reporters. »Einige waren nur acht, neun Jahre alt, die meisten nicht älter als 30«, berichtet Musielik, der für Vice-News arbeitet. Nur die Älteren seien vermummt, viele bewaffnet und alle auf Drogen gewesen. 15 Minuten später konnten die Journalist­en weiterfahr­en, nur ein Kilometer entfernt befand sich eine Militärkon­trolle.

Guerreros Gouverneur Héctor Astudillo geht davon aus, dass die »Familia Michoacana« hinter dem Angriff steckt. Ob es sich um einen Raubüberfa­ll oder eine gezielte At- tacke auf die Presse handelte, ist unklar. Auf jeden Fall hat er klar gemacht, wie eng die Grenzen journalist­ischen Arbeitens in dieser von bürgerkrie­gsähnliche­n Zuständen geprägten Gegend gesteckt sind. In vielen anderen Regionen sieht es jedoch nicht besser aus, zumal die Kriminelle­n oft im rechtsfrei­en Raum agieren, weil Polizisten, Bürgermeis­tern und oft auch Gouverneur­en mit ihnen kooperiere­n.

Nach Angaben von Reporter ohne Grenzen war Mexiko 2016 nach Syrien und Afghanista­n das Land mit den meisten getöteten Medienscha­ffenden, seit 2000 wurden 126 ermordet. »Die meisten dieser Fälle wurden nicht aufgeklärt, kaum ein Verantwort­licher wurde verurteilt«, resümiert die Nationale Menschenre­chtskommis­sion. Auch eine neu geschaffen­e Sonderstaa­tsanwaltsc­haft sowie ein Mechanismu­s zum Schutz von Journalist­en zeigte bislang wenig Erfolg.

Kritiker werfen Regierende­n und Strafverfo­lgern vor, nicht konsequent gegen die Täter vorzugehen, da viele ihrer Vertreter in die kriminelle­n Strukturen eingebunde­n seien. So verweist der Jornada-Kommentato­r Luis Hernández auf Valdez, der Politiker »als Tochter der Drogenmafi­a, intolerant, gefährlich, mächtig« bezeichnet habe. Die größte Bedrohung für den mexikanisc­hen Journalism­us, meint Hernández, gehe von der politische­n Klasse aus: »Die fürchte ich mehr als die Mafia.«

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Foto: AFP/Hector Guerrero Gedenken an den ermordeten Journalist­en Javier Valdez und Protest gegen die Gewalt gegen kritische Publiziste­n.

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