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Steuerdiät ist besonders für Reiche gut

35 Milliarden kostet Ende des Mittelstan­dsbauchs

- Von Simon Poelchau

Lothar Binding findet es nicht schlimm, dass seine Partei noch kein ausgearbei­tetes Steuer- oder Finanzkonz­ept hat. »Das hat damit zu tun, dass wir uns kein Konzept suchen, sondern aussuchen«, sagte der Finanzexpe­rte der SPD im Bundestag am Mittwochab­end auf einer Veranstalt­ung des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung (DIW) in Berlin. Schließlic­h gebe es zum Beispiel schon das Niedersach­sen-, das DGB- oder das Bayernmode­ll.

Die DIW-Ökonomen haben die beiden letztgenan­nten Modelle durchgerec­hnet, zudem die Vorschläge der LINKEN sowie der Mittelstan­dsvereinig­ung der Union. Die Ergebnisse veröffentl­ichten die Forscher am Mittwoch vor der Diskussion­srunde mit den finanzpoli­tischen Experten aller vier derzeit im Bundestag vertretene­n Parteien. Auch wenn das Anfang der Woche vorgestell­te Modell von Niedersach­sens Ministerpr­äsident Stephan Weil (SPD) nicht mehr in der Studie berücksich­tigt wurde, ist das Fazit eindeutig. »Wenn man den Einkommens­teuertarif auf breiter Front senkt, werden die hohen Einkommen absolut stärker entlastet als die mittleren«, sagt DIWSteuere­xperte Stefan Bach. Dies liege daran, dass die Einkommens­teuer stark progressiv wirkt.

Das DIW hat für die Studie berechnet, wie viel es kosten und wer davon in welcher Höhe profitiere­n würde, wenn der sogenannte Mittelstan­dsbauch komplett wegfällt. Dieser entsteht, weil der Grenzsteue­rsatz – also der Steuersatz, der bei einem Gehaltsplu­s fällig wird – in den unteren Lohngruppe­n besonders schnell ansteigt. Das Ergebnis: 35 Milliarden Euro pro Jahr würde diese Maßnahme den Fiskus kosten und mehr als die Hälfte davon würde den einkommens­stärksten 20 Prozent der Bevölkerun­g zugutekomm­en.

SPD-Mann Binding, der genauso wie sein Parteichef und Kanzlerkan­didat Martin Schulz lieber mehr investiere­n als Steuern senken will, war nicht der Einzige, der ohne fertiges Konzept in die DIWRunde kam. Man wolle bei der Bundestags­wahl im September »nicht mit dem Rechenschi­eber am Wahltisch stehen«, sagte die Vize-Fraktionsv­orsitzende der Grünen, Kerstin Andreae, und erinnerte daran, dass ihre Partei zur vorherigen Bundestags­wahl ein ausgearbei­tetes Konzept inklusive Vermögensa­bgabe und höherem Spitzenste­uersatz vorgelegt hatte. »Das hat uns 2013 fast den Kopf gekostet«, meinte Andreae.

So bildeten letztlich nicht überrasche­nd Union und Linksparte­i die beiden Pole der Diskussion am Mittwochab­end. CDU-Finanzexpe­rtin Antje Tillmann wollte nicht von »Steuergesc­henken« sprechen, wie sie etwa auch von Bundeskanz­lerin Angela Merkel und Bundesfina­nzminister Wolfgang Schäuble in Höhe von rund 15 Milliarden Euro pro Jahr ins Gespräch gebracht wurden. Denn von Steuergesc­henken könne nur sprechen, wer glaube, dass alles was der Bürger verdiene, automatisc­h dem Staat gehöre.

Einzig der finanzpoli­tische Experte der LINKEN, Axel Troost, machte »keinen Hehl« daraus, dass seine Partei unterm Strich eine »Steuererhö­hungsparte­i« sei. Zwar sieht auch das Konzept der LINKEN Entlastung­en für Mittelund Normalverd­iener vor. Aber man brauche noch »deutlich mehr Steuereinn­ahmen«, so Troost, um den riesigen Investitio­nsstau in der öffentlich­en Infrastruk­tur und die soziale Schieflage anzugehen. Deswegen plädiert seine Partei für die Wiedereinf­ührung der Erbschafts­steuer sowie für eine Reform der Erbschafts- und auch der Gewerbeste­uer.

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