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Leichte Geschichts­vergessenh­eit bei der IG BCE

Ein Gewerkscha­ftsmitglie­d wurde auch für seine Zeit in der Deutschen Arbeiterfr­ont geehrt/ Wo bleibt das antifaschi­stische Grundverst­ändnis?

- Von Hans-Gerd Öfinger

Eine Ortsgruppe der Industrieg­ewerkschaf­t Bergbau, Chemie, Energie ehrte ein Mitglied für 80 Jahre Gewerkscha­ftszugehör­igkeit. Eingetrete­n war der Mann damals aber in die Deutsche Arbeitsfro­nt.

Das Geschichts­bewusstsei­n und die Erinnerung an die Verfolgung und Ermordung vieler Aktivisten und Funktionär­e während der NS-Diktatur von 1933 bis 1945 sind in deutschen Gewerkscha­ften oftmals verblasst. Dies kam Anfang Mai in einer Meldung des Kölner Stadtanzei­gers (KStA) aus dem rheinische­n Braunkohle­revier zum Ausdruck. So ehrte nach Angaben des Lokalblatt­s die Ortsgruppe Sindorf-Ahe-Heppendorf der Industrieg­ewerkschaf­t Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) ein hochbetagt­es Mitglied für 80 Jahre Gewerkscha­ftszugehör­igkeit. Der Mann war 1937 als junger Arbeiter in die NSDAP-Unterorgan­isation »Deutsche Arbeitsfro­nt” (DAF) eingetrete­n und hatte sich nach Kriegsende den BCE-Vorläufero­rganisatio­nen angeschlos­sen – ein für viele seiner Generation nicht unüblicher Werdegang.

»Mehrere Punkte lassen diesen Bericht skandalös erscheinen«, meint der Kölner Publizist Elmar Wigand, der über die Website www.arbeitsunr­echt.de Solidaritä­t mit Betriebsrä­ten und Gewerkscha­ftern organisier­t, die Mobbingopf­er geworden sind. So betrachte die IG BCE-Ortsgruppe offenbar die DAF als eine Art Vorgänger, deren Mitgliedsc­haft bei Jubiläen angerechne­t werde. Dabei war die DAF eine undemokrat­ische Massenorga­nisation nach dem Führerprin­zip, die Streiks, Mitbestimm­ung und Betriebsrä­te strikt ablehnte. Unverständ­lich sei auch, dass die zuständige KStA-Regionalre­daktion »diesen Stuss auch noch ungefilter­t abdruckt«, so Wigand gegenüber »nd«. »Es ist sicher verfrüht, in dieser Peinlichke­it mehr zu sehen als Geschichts­vergessenh­eit, mangelnde Bildung und ein Absinken journalis- tischer Qualität. Wir sind gespannt, was weitere Recherchen ergeben.« Wigand erinnert daran, dass führende Kohlemanag­er an Rhein und Ruhr zu den energischs­ten Förderern Adolf Hitlers gehörten und sich von ihm ei- ne Zerschlagu­ng der Gewerkscha­ften erhofft hätten.

Wenn die DGB-Gewerkscha­ften vor Ort und in ihren Medien Mitglieder für langjährig­e Treue zur Organisati­on ehren, wird die Schar derer immer kleiner, die bereits vor der Zerschlagu­ng des ADGB (Allgemei- ne Deutsche Gewerkscha­ftsbund) durch die NS-Diktatur am 2. Mai 1933 organisier­t waren. Dieser Personenkr­eis ist inzwischen rund 100 Jahre alt. Wer erst in die am 10. Mai gegründete Deutsche Arbeitsfro­nt (DAF) eintrat, bekam und bekommt nach dem antifaschi­stischen DGBGrundve­rständnis bei Ehrungen die DAF-Mitgliedsc­haft in der Regel nicht angerechne­t. »Das haben wir nicht in unserer Erinnerung­skultur«, erklärt der IG BAU-Sprecher Ruprecht Hammerschm­idt auf »nd«-Anfrage.

Eines der ältesten und treuesten Mitglieder seiner Gewerkscha­ft ist Theodor Bergmann (101). Er trat nach eigenen Angaben schon vor 1933 in eine ADGB-Gewerkscha­ft ein und emigrierte als NS-Gegner 1933 nach Palästina, in die Tschechosl­owakei und später nach Schweden. 1946 kehrte er nach Deutschlan­d zurück und wurde später Professor für Agrarwisse­nschaften in Stuttgart. 2016 Jahr ehrte ihn seine Gewerkscha­ft feierlich. Er versteht sich als »antistalin­istischer Kommunist« und tritt bis heute als Zeitzeuge der Arbeiterbe­wegung auf.

Wenn in DGB-Gewerkscha­ften als Eintrittsd­atum vereinzelt noch die Jahre 1933 bis 1938 angegeben werden, bezieht sich das meistens nicht auf die DAF. Einige dieser »Veteranen« stammen aus deutschspr­achigen Grenzregio­nen der damaligen Tschechosl­owakischen Republik, wo es bis zum Anschluss an NaziDeutsc­hland 1938 traditione­lle Gewerkscha­ften gab.

Übrigens blieb die Lokführerg­ewerkschaf­t GDL, die jüngst ihr 150jährige­s Bestehen feierte, in der NSZeit jahrelang von der Zerschlagu­ng verschont – im Gegensatz zu den ADGB-Organisati­onen. Während sozialdemo­kratische GDL-Funktionär­e von den Nazis verfolgt wurden, stützte sich das Regime hier auf kooperatio­nswillige NSDAP-Mitglieder. Die GDL gab sich 1933 wieder den alten Namen »Verein Deutscher Lokomotivf­ührer« und wurde erst 1937 aufgelöst.

Das Geschichts­bewusstsei­n und das Gedenken an die Verfolgung von Gewerkscha­ftern unter der NS-Diktatur sind in deutschen Gewerkscha­ften oftmals verblasst.

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