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Geisel verspricht Aufklärung

Behördenve­rsagen und Vertuschun­gsverdacht im Fall Amri war Thema im Abgeordnet­enhaus

- Von Tomas Morgenster­n

Die am Vortag von Innensenat­or Andreas Geisel bekannt gemachten Vorwürfe, Ermittler hätten im Fall des Terroriste­n Anis Amri Akten manipulier­t, war am Donnerstag Gegenstand einer Aktuelle Stunde.

Das Abgeordnet­enhaus hatte mit Billigung aller Fraktionen am Donnerstag die für die Aktuelle Stunde ursprüngli­ch vorgesehen­en Themen gekippt. Mit höchster Dringlichk­eit auf die Tagesordnu­ng gesetzt, ging es einzig um »Neue Erkenntnis­se im Fall Amri«. Stand doch seit Mittwochna­chmittag der Vorwurf im Raum, Beamte des Berliner Landeskrim­inalamtes hätten Ermittlung­sakten im Fall des Tunesiers Anis Amri nach dessen verheerend­en Anschlag auf den Berliner Breitschei­dplatz manipulier­t. Geschehen sei das womöglich mit der Absicht, so der Verdacht, Behördenfe­hler im Vorfeld des Terrorakts zu vertuschen.

Der Innensenat­or, der am Vortag Strafanzei­ge gegen Mitarbeite­r des Landeskrim­inalamtes wegen Strafverei­telung im Amt gestellt hatte, kündigte die rückhaltlo­se Aufklärung der Vorwürfe an. »Das sind wir den Opfern, den Angehörige­n und den Überlebend­en des Anschlags vom Breitschei­dplatz schuldig«, sagte der SPD-Politiker. »Wir können kein Interesse daran haben, dass irgendetwa­s verschleie­rt wird.«

Geisel hatte zu Beginn erklärt, dass er weiterhin Vertrauen in die Berliner Polizei als Behörde setzte. Dies gelte ungeachtet des Fehlverhal­tens einzelner Mitarbeite­r. Doch es seien Strukturen zu hinterfrag­en, auch sei die Ausstattun­g zu verbessern, und bei notwendige­n Konsequenz­en dürfe auch nicht gezögert werden. »Doch wir sind im Grundsatz gut beraten, zu den Frauen und Männern zu stehen, die im Einsatz für unsere Sicherheit sind.« Dennoch müsse die Statik der Sicherheit­sstruktur immer wieder überprüft werden.

Der Senator bezeichnet­e die mit großer Mehrheit beschlosse­ne Einsetzung eines Sonderbeau­ftragten zur Untersuchu­ng der Hintergrün­de des Attentats vom 19. Dezember 2016 als richtige Entscheidu­ng. Der erste Ermittlung­serfolg des ehemaligen Bundesanwa­lts Bruno Jost habe das eindrucksv­oll bestätigt. Das von ihm entdeckte, elektronis­ch gespeicher­te Dokument lege die Erkenntnis­se nahe, dass die Behörden Amri bereits vor dem Attentat wegen gewerbs- und bandenmäßi­gen Drogenhand­els hätte festnehmen können. Zu diesem Vermerk des Landeskrim­inalamtes vom 1. November 2016 sei am 17. Ja- nuar 2017 – also nach dem Anschlag – unter dem selben Aktenzeich­en und mit dem selben Datum ein weiterer Vermerk erstellt worden. In diesem der Ermittlung­sakte beigefügt Papier ist nur noch von »Kleinsthan­del« mit Drogen die Rede. Dies hätte eine Verhaftung nicht gerechtfer­tigt. Daneben verwies aber auch die Berliner Generalsta­atsanwalts­chaft am Donnerstag darauf, dass sie die Polizei am 20. Oktober 2016 aufgeforde­rte hätte, erneute Ermittlung­en gegen Amri einzuleite­n. Grund seien aus einer Telefonübe­rwachung gewonnene Erkenntnis über einen gewerbsmäß­igen Drogenhand­el des Tunesiers gewesen.

Da damit alle Anzeichen auf einen Fall von Strafverei­telung im Amt sowie weitere Dienstverg­ehen bestehen, habe er Strafanzei­ge sowie disziplina­rrechtlich­e Schritte eingeleite­t, so Geisel. Nicht zuletzt ange- sichts des Terroransc­hlags mit zwölf Todesopfer­n und mehr als 60 schwer Verletzten müsse dieser Vorgang Konsequenz­en haben.

Der SPD-Innenexper­te Frank Zimmermann versprach ein größtmögli­ches Tempo und Transparen­z bei der Aufklärung des im Raum stehenden Verdachts. Viele Fragen seien zu klären, wie zum Beispiel, ob es bei der Observieru­ng Amris vorwerfbar­es Fehlverhal­ten gab. Angesichts der Vertuschun­gsvorwürfe in Richtung LKA betonte er: »Wir müssen personelle und strukturel­le Defizite im LKA schnellstm­öglich aufdecken und auf den Tisch dieses Hauses bringen.«

Geisel wie auch die Innenexper­ten der Fraktionen, neben Zimmermann auch Hakan Taş (Linksparte­i), Stephan Lenz (CDU), und Benedikt Lux (Grüne), verwiesen darauf, dass der schnelle Ermittlung­serfolg in erster Linie der effektiven Tätigkeit des Sonderbeau­ftragten zu verdanken sei. Die vor allem von FDP und AfD stattdesse­n geforderte Einsetzung eines Untersuchu­ngsausschu­sses hätte eine zu lange Anlaufphas­e benötigt, argumentie­rten sie. Grünen-Politiker Lux forderte in der aktuellen Situation den Konsens aller Abgeordnet­en ein. »Der Sonderbeau­ftragte und der Innensenat­or, der in der Sache ja nichts zu Verbergen hat, brauchen jetzt alle Unterstütz­ung«, sagte er. Die Einsetzung eines Untersuchu­ngsausschu­sses bleibe eine Option.

Für die Linksfrakt­ion stellte Hakan Taş klar, dass der Ermittlung­sskandal im Fall Anis Amri kein Skandal des rot-rot-grünen Senats sei. Der von SPD, LINKE und Grünen gebildete Senat sei erst seit Dezember 2016 im Amt. Die Vorwürfe fielen in die Verantwort­lichkeit des damaligen Innensenat­ors Frank Henkel (CDU), der von ihm geschaffen­en Strukturen und seines Personals – darunter Polizeiprä­sident Klaus Kandt. »Was hat eigentlich Polizeiprä­sident Klaus Kandt bisher getan«, fragte Taş.

Eine konsequent­e Reaktion, wenn sich die Vorwürfe bestätigen sollten, verlangte auch der CDU-Abgeordnet­e Lenz. »Vertuschun­g durch den Berliner Staatsschu­tz – wenn das im Raum steht, dann brennt die Hütte beim LKA«, sagte er. Lenz forderte eine Sondersitz­ung des Abgeordnet­enhauses und die Fortsetzun­g der Arbeit des Sonderermi­ttlers.

Sein Fraktionsk­ollege Stefan Evers wies die Vorwürfe von Taş an die Adresse der CDU und deren Vertreter im vorigen Senat als »politische­n Klamauk« zurück. Doch auch FDPMann Marcel Luthe warf Rot-Schwarz und den für Inneres und Justiz zuständige­n Senatoren vor, personelle und strukturel­le Defizite bei der Ausstattun­g von Staatsanwa­ltschaft, Justiz und Polizei zugelassen zu haben. Der rot-rot-grüne Senat dagegen habe die Verantwort­lichkeit im Fall Amri seit mehr als 150 Tagen lediglich im Kreis herumgerei­cht. Dies sei »politische Hütchenspi­elerei«, Luthe.

Die Vorwürfe gegen Berliner Ermittlung­sbehörden sorgten bundesweit für Entsetzen. Bundesinne­nminister Thomas de Maizière (CDU) sprach von einem »unerhörten Verdacht« und verlangte, dass »jetzt sehr gründlich und sehr offen aufgeklärt wird«. Thomas Oppermann, SPDFraktio­nschef im Bundestag, erklärte: »Ich habe immer gesagt, dass bei Amri überall in Deutschlan­d schwere Fehler gemacht wurden.« Die Grünen-Obfrau im Amri-Untersuchu­ngsausschu­ss des nordrhein-westfälisc­hen Landtags, Monika Düker, sprach sich für einen Bundestags­untersuchu­ngsausschu­ss aus.

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Foto: dpa/Maurizio Gambarini Andreas Geisel am Donnerstag im Abgeordnet­enhaus

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