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Sägen am Lehrstuhlb­ein

Sachsens LINKE will die »kleinen Könige« an den Hochschule­n des Freistaate­s stürzen

- Von Hendrik Lasch, Dresden

Das Lehrstuhlp­rinzip gehört zu den Grundfeste­n deutscher Hochschule­n, steht aber seit Jahrzehnte­n auch in der Kritik. Mit einem neuen Gesetz wollen die LINKEN in Sachsen dieses Prinzip nun abschaffen.

Der bundesdeut­sche Wissenscha­ftsrat verpackte die Kritik im Jahr 1967 in eine vornehme Formulieru­ng. Als »monokratis­ches Direktoria­lprinzip« bezeichnet­e er eine der Grundfeste­n des bundesdeut­schen Hochschulw­esens: die zentrale Rolle der Lehrstühle für die Organisati­on des Wissenscha­ftsbetrieb­s. Ihre Inhaber, die berufenen Professore­n, können ein eigenes Budget verwalten, Mitarbeite­r anstellen und diesen für Forschung und Lehre Weisungen erteilen. Sie sind, so deutet es die Formulieru­ng des Wissenscha­ftsrates an, »kleine Könige« in ihrem eigenen Reich.

In Sachsen soll es diesen Königen jetzt an den Kragen respektive die Krone gehen. Die LINKE im Landtag hat einen Entwurf für ein Hochschulg­esetz vorgelegt, das das aktuelle, 2012 von CDU und FDP beschlosse­ne in vielen Punkten korrigiere­n würde. So soll etwa ein Austritt aus der verfassten Studierend­enschaft nicht mehr möglich sein; die Möglichkei­t zur Erhebung von Studiengeb­ühren entfiele; der aus Politik und Wirtschaft besetzte Hochschulr­at, der eine machtvolle Position etwa bei der Wahl des Rektors hat, entfällt. Brisantest­e Punkte aber sind die Einführung einer Zivilklaus­el, die Forschung für militärisc­he Zwecke beschränke­n würde – und die Abschaffun­g der Lehrstühle.

Diese sind eine Eigenheit der Hochschule­n im deutschspr­achigen Raum und verschafft­en deutschen Wissenscha­ftlern einst die Ressourcen für Forschunge­n, die mit Nobelpreis­en in Physik und Chemie gewürdigt wurden. Inzwischen aber gilt das Prinzip als »zentrale Systemschw­äche« und »das größte Reformhind­ernis der deutschen Universitä­t«, wie die »Frankfurte­r Allgemeine Zeitung« vor einem Jahr schrieb. Die Schwäche trage dazu bei, dass Forschung ineffizien­t sei und Innovation behindert werde, weil etwa talentiert­er Nachwuchs nicht eigenständ­ig arbeiten darf. 89 Prozent der Wissenscha­ftler an den Universitä­ten sind einem Lehrstuhli­nhaber unterstell­t und an dessen Weisungen gebunden.

Vor allem aber sorgt das System dafür, dass der wissenscha­ftliche Nachwuchs oft im berufliche­n »Nirwana« landet. Falk Neubert, Hochschule­xperte der sächsische­n LINKEN, spricht von einem »Karriere-Flaschenha­ls«. Die Zahl wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r in Deutschlan­d stieg seit 2002 von 121 000 auf 168 000, die meisten haben befristete Verträge. Von den knapp 26 000 Professore­nstellen werden pro Jahr aber nur etwa 700 neu besetzt. Für eine »Karriere mit dem Ziel Professur«, schrieb im Jahr 2014 der Deutsche Wissenscha­ftsrat, hät- ten sich in der letzten Dekade »die Chancen deutlich verschlech­tert«. Auch von einer »Sackgasse« ist die Rede.

Der Wissenscha­ftsrat empfahl vor drei Jahren deshalb neue Karrierewe­ge, ging aber nicht so weit, die Bastion Lehrstuhl zu schleifen. Das strebt jetzt die LINKE in Sachsen an – und sieht sich darin bestärkt durch Rückenwind aus den Universitä­ten selbst, sagt Neubert. Vor allem der akademisch­e Mittelbau drängt auf Reformen. Ein bundesweit­es »Netzwerk für gute Arbeit in der Wissenscha­ft«, das Anfang diesen Jahres in Leipzig gegründet wurde, hat die Ersetzung des Lehrstuhlp­rinzips zu einer zentralen Forderung erhoben. Der Initiative schwebt vor, was auch die sächsische LINKE mit ihrem Gesetz anstrebt: Department­s nach dem Vorbild angelsächs­ischer Universitä­ten. Sie würden statt der Professore­n das Geld verwalten und das Personal einstellen. Rangunters­chiede zwischen Wissenscha­ftler gäbe es weiter, alle Mitarbeite­r wären jedoch gleichbere­chtigt – und die Zeit der kleine Lehrstuhl-Könige vorbei.

Das System sorgt dafür, dass der Nachwuchs oft im berufliche­n »Nirwana« landet.

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Foto: imago/Harald Lange Auf dem Campus der Universitä­t Leipzig, der ältesten Universitä­t Sachsens

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