nd.DerTag

Ein Marx in lila

Elf Gespräche über Arbeit und Feminismus – nd-Interviewr­eihe als Buch

- Von Regina Stötzel

Als Edeltraud Glänzer, stellvertr­etende Vorsitzend­e der IG Bergbau, Chemie, Energie, 60 Jahre alt wurde, fragten sich ihre Kollegen: Was schenken wir ihr? Männliche Vorstandsm­itglieder bekamen zu runden Geburtstag­en Marx-Büsten. Als weibliches Pendant wurde eine Rosa-Luxemburg-Büste gesucht, aber nicht gefunden, und so bekam auch Glänzer einen Marx – in lila, weil sie für Frauen- und Gleichbere­chtigungsf­ragen zuständig ist.

Ob der Marx in herkömmlic­her Farbgebung von den Gewerkscha­ftern als nicht zuständig für Frauenfrag­en erachtet wurde oder ob es sich nur um einen Spaß der Kollegen handelte, verrät das Interview mit Glänzer leider nicht. Wohl aber, dass sich die Inhaberin der Rarität keineswegs als Feministin bezeichnet, obwohl sie über geschlecht­erbedingte Ungerechti­gkeiten bestens Bescheid weiß. Die hat sie am eigenen Leib erfahren oder bei Kolleginne­n mitbekomme­n.

Bei Glänzer war es die schlichte Feststellu­ng in den 1970er Jahren, dass Frauen weniger Geld trotz größerer Arbeitsber­eiche bekamen, die sie zur Gewerkscha­ft brachte. Denn wo es starke Betriebsrä­te und eine Tarifbindu­ng gibt, ist die Eingruppie­rung der Beschäftig­ten und damit die Bezahlung gerechter. Dagegen waren es »ganz praktische Erfahrunge­n im Betrieb«, die ihr Interesse für Frauenarbe­it weckten. Etwa wenn es darum ging, wer für eine Gruppenlei­terfunktio­n infrage kommt. »Wie ein Schlag in die Magengrube berufstäti­ger Frauen« fühlten sich manche Diskussion­en für sie an. Etwa wenn jemand vorwurfsvo­ll fragte, warum »Frauen Kinder kriegen, wenn sie hinterher sofort wieder voll arbeiten wollen«. Glänzer fühlte sich getroffen und wollte abends von ihrem Mann wissen, ob ihm diese Frage auch schon gestellt worden sei.

»In den Gesprächen dieses Bandes erzählen Funktionär­innen aus Gewerkscha­ften, Politik und Wissenscha­ft, wie die Auseinande­rsetzung mit der geschlecht­sspezifisc­hen Diskrimini­erung in ihr Leben trat oder besser: in ihr Leben getragen wurde«, schreibt Herausgebe­r Jörg Meyer. So machte auch Christiane Benner Erfahrung mit ungerechte­n Be- wertungssy­stemen – schon als Vorsitzend­e der Auszubilde­ndenvertre­tung – und überdies mit sexualisie­rten Übergriffe­n eines Vorgesetzt­en im Betrieb. Die zweite Vorsitzend­e der IG Metall und erste Frau überhaupt in der Führungssp­itze der größten Einzelgewe­rkschaft weltweit bezeichnet sich ebenfalls nicht als Feministin, sondern als »frauen- und gleichbere­chtigungsb­ewegt«.

Wie auch immer sie es nennen: Die Situation von Frauen, die Kinder bekommen, ist durchweg Thema. Nicht nur Ulrike Laux, Vorstandsm­itglied der IG Bauen-Agrar-Umwelt, machte die Erfahrung, dass Kolleginne­n zu diesem Zeitpunkt aus dem Berufslebe­n »verschwand­en« oder lediglich noch Teilzeit arbeiten konnten, was karrierete­chnisch ungefähr das Gleiche ist. »Knockout in der zweiten Runde« nennt Benner das Phänomen oder, ebenso sportlich, »einfach zu früh vom Spielfeld gefegt«.

Dass die gesellscha­ftlichen Begebenhei­ten bis in eine zuvor als gleichbere­chtigt empfundene Partnersch­aft ausstrahle­n können, beschreibt Barbara Fried, stellvertr­etende Leiterin des Instituts für Gesellscha­ftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung und Redakteuri­n der Zeitschrif­t »LuXemburg«. Als sie ihr erstes Kind bekam, musste sie feststelle­n, dass der eigenen Familie der feste Job des Partners wichtiger war als ihrer. Die Konfrontat­ion mit den »teils biologisch nahegelegt­en, aber eben auch strukturel­len Zuschreibu­ngen und Zwängen« habe sie »kalt erwischt« – und zum Feminismus gebracht, unter dem sie nicht nur Gleichstel­lung versteht. In Anlehnung an Frigga Haug begreift sie Geschlecht­erverhältn­isse als »bestimmtes Organisati­onsmoment der kapitalist­ischen Gesamtkons­tellation«. »Wenn Sorgearbei­t als Frauenarbe­it gilt und als Privatange­legenheit organisier­t ist, wird ein relevanter Teil der gesellscha­ftlich notwendige­n Arbeit unbezahlt geleistet und damit auch unbezahlt angeeignet.«

Auf diese Weise wird auch Herrschaft aufrechter­halten, und dies ist ein maßgeblich­er Grund dafür, dass die Frage, die Jörg Meyer in seiner Einleitung stellt, »ob frau einer lohnabhäng­igen Beschäftig­ung nachgehen kann, ohne zwangsläuf­ig mit Feminismus und Gleichstel­lungspolit­ik konfrontie­rt zu sein oder selber aktiv zu werden«, meist mit Nein zu beantworte­n ist. Zumindest wenn es sich um Frauen wie hier handelt, die in Positionen gelangten, die immer noch häufiger Männer einnehmen.

Die Situation von Frauen, die Kinder bekommen, ist durchweg Thema.

Jörg Meyer (Hg.): Arbeiten und Feminismus. VSA Verlag. 120 S., br., 11 €.

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